Dienstag, 21. Dezember 2010

Über Steuern und die Rückzahlung von Staatsschulden

Heute tauche ich mal wieder kurz aus der Pause auf um ein paar besonders dreiste Lügen richtigzustellen. Ganz schlimm ist Marc Beises Kommentar "Spare in der Zeit" auf Seite 17:

Hinzu kommt, dass diese explizite Staatsverschuldung nur ein Teil des Problems ist. Die implizite Verschuldung, also etwa die Ansprüche der Rentner und Pensionäre gegen die Sozialsysteme, beträgt ein Vierfaches der expliziten Schuld; macht acht Billionen Euro oder mehr als 300 Prozent des BIP.

Die staatliche Rentenversicherung ist ein Umlagesystem. Jeden Monat werden die hereinkommenden Beiträge nach einem Schlüssel verteilt und direkt wieder herausgegeben. Hier von Schulden zu sprechen ist Quatsch.

Das Umlagesystem ist übrigens sehr sinnvoll, schließlich werden die von den Rentnern gekauften realen Güter und Dienstleistungen ja auch im jeweiligen Zeitraum produziert, und nicht etwa in der fernen Vergangenheit oder gar in der Zukunft. Angesichts der Tatsache, dass also jeweils die Produktion der Gegenwart an realen Gütern und Dienstleistungen auf die Verbraucher aufgeteilt werden muss, ist es nur sinnvoll und pragmatisch, auch das Geld, das bei dieser Aufteilung die Vermittlerrolle spielt, in der jeweiligen Gegenwart zu aufzuteilen, und nicht Jahrzehnte früher oder später.

Aber ganz abgesehen davon ob man jetzt ein Umlagesystem bevorzugt, oder lieber ein instabiles, kapitalgedecktes System (Marc Beise würde sicher Letzteres bevorzugen): Bei den Rentenansprüchen in unserem existierenden System von Schulden zu sprechen ist einfach nur unsachlich. Trotzdem gehört diese Volksverdummung zum Standardrepertoire der Neoliberalen.

Guido Bohsem schreibt auf Seite 19 im Artikel "1 791 300 000 000 Euro Schulden":

Wer in Deutschland lebt, hat Schulden – egal wie reich er ist. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes stand Ende November jeder der etwa 81,7 Millionen Bundesbürger mit 21 882 Euro in der Kreide. Die Bundesbürger schuldeten das Geld nicht als Privatleute, sondern Teil des deutschen Staates.

Wie muss ich mir das vorstellen, wenn ich 1000 Euro in Bundesschatzbriefen besitze? Schulde ich mir selbst dann 1000 Euro? Werde ich irgendwannmal 1000 Euro an Steuern zusätzlich bezahlen müssen, damit ich diese 1000 Euro dann wiederbekomme im Tausch für den Bundesschatzbrief?

Betrachten wir einmal ganz nüchtern, was passiert, wenn mein Bundesschatzbrief ausläuft und ich die 1000 Euro aufs Tagesgeldkonto überwiesen bekomme. Höchstwahrscheinlich kaufe ich mir wieder einen neuen Bundesschatzbrief. Dem Rollover meines Geldvermögens entspricht ein Rollover der Staatsschulden, und im Grunde passiert gar nichts.

Aber was passiert, wenn ich die 1000 Euro ausgebe? Nun, dann fließen sie an andere Personen, von denen sie wieder an andere Personen fließen, und in die Gegenrichtung fließen entsprechende Güterströme. Wenn es auf diese Handelsvorgänge keine Steuern gäbe, dann würde sich durch all diese horizontalen Vorgänge die Summe der Reserven bei der Zentralbank nicht verändern, mit der Folge, dass eben jemand anderes Bundesschatzbriefe im Wert von 1000 Euro kaufen würde, um die überschüssige Liquidität abzuschöpfen. In diesem Fall muss der Staat seine Schulden also auch nicht zurückzahlen.

Beobachtung: Rein funktional betrachtet konnte ich mir von meinem Geldvermögen Dinge im Wert von 1000 Euro leisten. Es ist also unsinnig so zu tun, als wären die Staatsschulden Schulden der Bürger. Im Gegenteil handelt es sich bei den Staatsschulden - genauer: bei den sie repräsentierenden Staatsanleihen - um Vermögen der Bürger.

(Kleiner Einschub: Der Glaube, dass Staatsschulden äquivalent zu Schulden der Bürger sind, erinnert mich sehr an den Denkfehler, der auch diesem Puzzle für Kinder zugrundeliegt.)

Aber wie passt das denn jetzt mit Steuern zusammen? Im Beispiel oben bin ich davon ausgegangen, dass keine Steuern anfallen und deshalb nur horizontale Transaktionen anfallen, was natürlich unrealistisch ist. Wenn die Transaktionen besteuert werden, dann verschwindet zumindest ein Teil der ursprünglich 1000 Euro in Form von Steuern, und weniger Bundesschatzbriefe werden gekauft, weil weniger Liquidität abgeschöpft werden muss. Und siehe da: genau diese Steuern sind es, die mit den reduzierten Staatsschulden verrechnet werden können!

Beobachtung: Die Regierung muss kein Geld eintreiben um ihre Schulden zu begleichen. Es ist gerade umgekehrt: Wenn der private Sektor keine Staatsanleihen mehr halten will, dann entstehen die Steuereinkünfte die nötig werden, um den Rückgang der Staatsanleihen in der Bilanz auszugleichen, ganz automatisch.

Jetzt mag sich manch einer die Frage stellen, wozu dann überhaupt Steuern erhoben werden. Die Erklärung dafür ist, dass durch die Steuerschuld überhaupt erst Nachfrage nach Geld entsteht. Ohne Steuern wäre das Geld also einfach wertlos. Die Höhe der Steuern wirkt gewissermaßen als Thermostat bzw. Bremse für die Wirtschaft. Läuft sich die Wirtschaft heiß, so können Steuern erhöht werden um Geld zu entziehen und so zu vermeiden, dass der Wert des Geldes absinkt. Diese Wirkung ist aber asymmetrisch: niedrige Steuern sorgen nicht unbedingt dafür, dass die Wirtschaft wieder warm läuft, wenn sie sich einmal abgekühlt hat.

Als Anmerkung muss ich fairerweise einwerfen, dass meine Analyse in Wirklichkeit nur für ein vernünftig organisiertes Fiatgeldsystem gilt, wie zum Beispiel für die USA, Großbritannien oder Island. Die Eurozone ist zwar ein Fiatgeldsystem, aber eins mit (hoffentlich: noch) vielen Entwurfsfehlern. In der Eurozone gibt es nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Regierungen, die Staatsanleihen anbieten. Die Liquidität, die durch den Ablauf von Anleihen eines Staates entsteht, wird also womöglich durch die Ausgabe von Anleihen eines anderen Staates abgeschöpft. Dadurch können Ungleichgewichte entstehen, die sich wegen dem Fehlen eines aktiven monetären Souveräns kombiniert mit Gerede über potentielle Staatsinsolvenzen durch höhere Renditen und Zinssätze selbst verstärken, bis die ganze Eurozone durch die entstehenden Fliehkräfte auseinanderzubrechen droht.

Mit anderen Worten, was sich heutzutage abspielt, war mit etwas Nachdenken über Geldsysteme vorhersehbar. Übrigens wird mit etwas weiterem Nachdenken auch klar, dass die Einführung von Eurobonds oder einem äquivalenten Mechanismus absolut notwendig für den langfristigen Erhalt des Euros ist.

Das Geld haben die Deutschen in Form von staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Rente, Kindergeld konsumiert oder in den Bau von Straßen, Schwimmbädern, Schulen und Universitäten gesteckt, obwohl sie sich das eigentlich nicht hätten leisten können.

Auch dies ein typischer Denkfehler. Die Kosten staatlichen Handels kann man nicht losgelöst von der Situation der realen Wirtschaft in reinen Geldgrößen betrachten. Das einzig vernünftige Maß für Kosten ergibt sich aus der Frage, welche realen Güter und Dienstleistungen der Staat dabei in Anspruch nimmt, die andernfalls der private Sektor hätte nutzen können.

Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft in Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr ordentlich ausgelastet ist, und angesichts hoher Arbeitslosenquote ist klar, dass der private Sektor bei weitem nicht alle sinnvollerweise nutzbaren Ressourcen in Anspruch genommen hat. Wenn diese Ressourcen dann vom Staat in Anspruch genommen werden, so fallen in Wirklichkeit überhaupt keine Kosten an (wenn man von ökologischen Überlegungen absieht).

In Wirklichkeit zeigt eine nüchterne Betrachtung der Zahlen also, dass wir Deutschen schon seit sehr langer Zeit unter unseren Verhältnissen leben.

Freitag, 3. Dezember 2010

Unwissen und Ideologie auf der Meinungsseite

Eigentlich hatte ich ja vor, zu pausieren. Nach dem heutigen Eintrag werde ich das auch wieder versuchen, aber es hat mich schon in den letzten Tagen in den Fingern gejuckt. Was die SZ-Wirtschaftsredaktion zur Zeit aus ihren Federn fließen lässt gefährdet den Frieden in Europa, da durch die Verbreitung falscher Behauptungen eine sinnvolle Wirtschaftspolitik unterbunden wird. Beim heutigen Kommentar "Die leise Krise" von Marc Beise auf Seite 4 ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Ich muss also wieder einmal Dampf ablassen.

Die Krise der Realwirtschaft war kurz, der Aufschwung ist phänomenal. Die Unternehmen produzieren und verkaufen wie im Fieber.

Die Realität ist, dass die Wirtschaftsleistung den Stand vor der Krise noch nicht wieder erreicht hat, und von einem selbsttragenden Aufschwung ist weit und breit nichts zu sehen - im Gegenteil. Marc Beise scheint, seiner Schreibe nach zu urteilen, jedenfalls ziemlich gut von der Realität isoliert zu sein.


Die Einkommen steigen.

Schön wär's.

Technisch gesehen steigen die Einkommen natürlich, schließlich ist das BIP ein Maß für die Summe aller Einkommen in einer Volkswirtschaft. Allerdings spielt die Einkommensverteilung dabei eine kritische Rolle, und die Lohnentwicklung hat sich in Deutschland bekanntermaßen aufgrund politischer Entscheidungen schon vor vielen Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt.


Nie waren mehr Menschen in Beschäftigung, und weniger Arbeitslose gab es lange nicht.

In der Tat. Aber knapp 3 Millionen Arbeitslose nach der offiziellen Statistik, wohl eher 4 Millionen bei einer ehrlicheren Betrachtung, zusammen mit weiteren Millionen Menschen, die bei gleichem Stundenlohn gerne mehr arbeiten würden, aber nur Teilzeitjobs finden, sind wahrlich Grund zur Sorge.

Danach widmet er sich der absurden Idee von Nord-Euro und Süd-Euro.

Nun propagieren sie (nur) eine Zweiteilung des Euro in einen harten Nord-Euro (mit Deutschland) und einen weichen Süd-Euro – als wäre das so einfach. Eine solche Änderung hätte beinahe revolutionäre Konsequenzen.

...

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären die schwachen Staaten ohne Deutschland oder gar den ganzen Norden verloren. Ihre Zinskosten würden nach oben schnellen, ein Bankrott wäre die Folge.

Ich persönlich halte die Idee von Süd- und Nord-Euro auch für Unsinn. Dass sie Idee nicht gesundem volkswirtschaftlichen Verstand, sondern dumpfen innereuropäischen Ressentiments entspringt erkennt man bereits daran, dass sich der ganz offensichtlichen Frage, wo denn dann Irland dazugehören sollte, niemand so richtig stellen will.

Aber dass die "Südstaaten" ohne Deutschland verloren wären ist vollkommener Unfug und beweist einmal mehr, dass Marc Beise keine Ahnung von der Funktionsweise eines Fiatgeldsystems hat. Denn wenn die "Südstaaten" nach einer solchen hypothetischen Teilung kooperieren würden, könnten sie dem Markt die auf Anleihen bezahlten Zinsen aufdiktieren. Dazu müssten sie sich natürlich wie eine geschlossene geldsouveräne Regierung verhalten, dem diverse politische Hürden entgegenstehen. Aber wenn die jeweiligen nationalen Regierungen die Sachverhalte verstehen würden, könnten diese Hürden schneller verschwinden als Amazon Wikileaks die Serverfarm zudreht. Dann wäre auch ein Bankrott kein Thema mehr, sofern die "Südstaaten" darauf beharren, bestehende Anleihen entweder gar nicht, oder ausschließlich in "Süd-Euro" zu bedienen - was sie in einer solchen Situation vernünftigerweise tun sollten.

Selbstverständlich wäre eine Konsequenz einer Teilung, dass der "Süd-Euro" im Vergleich zum "Nord-Euro" deutlich an Wert verlieren würde. Aber das wäre einfach nur eine natürliche Anpassung an realwirtschaftliche Gegebenheiten. Die südeuropäische Exportwirtschaft würde davon profitieren.

Natürlich basiert der von mir skizzierte Optimismus darauf, dass die "Südstaaten" im Fall der Fälle die ihnen offen stehenden Handlungsmöglichkeiten erkennen und auch wahrnehmen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich eine solche Euro-Teilung für eine Idiotie halte. Denn wenn der Euro gespalten wird, die "Südstaaten" sich aber nach wie vor Sparprogramme aufschwatzen lassen, so ist ihnen auch nur marginal geholfen. Wenn aber umgekehrt die Regierungen ihre Handlungsmöglichkeiten erkennen und einfordern würden, könnten sinnvolle konjunkturfördernde Maßnahmen auch ergriffen werden ohne den Euro aufzulösen.

Deutschlands Exportwirtschaft würde übrigens wegen der Währungsanpassung unter einer Auflösung des Euro massiv leiden - einer der wenigen Fakten, die die Realitätsbarriere in Marc Beises Schädel durchbrochen haben:

... die Währung der Deutschen würde dramatisch aufgewertet, und es wäre bald vorbei mit Wachstumsphantasie und Jobwunder. Zwar kann man theoretisch über eine zu starke Exportabhängigkeit lamentieren, allein: Die Deutschen haben sich noch kein anderes Wohlstandsmodell einfallen lassen.

Tatsächlich würde dann auch die Bevölkerung leiden, weil die Politik in ihrem Exportwahn versuchen würde, die nominale Währungsaufwertung real durch noch schärferes Lohndumping auszugleichen. Die Politik würde also vollkommen unnötig größeres Leid erzeugen.

Der zuletzt zitierte Satz ist nämlich dreiste Geschichtsfälschung. Die Exportfixierung Deutschlands ist eine eher junge Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Bis hinein in die 1970er Jahre wurde in Deutschland der Wohlstand recht erfolgreich durch eine aktive Konjunkturpolitik gewährleistet. Diese wurde dann aus rein ideologischen Gründen aufgegeben. Man müsste lediglich zu diesem Wohlstandsmodell zurückkehren.

Wirtschaftlich ist das problemlos machbar. Allein die herrschende Ideologie steht im Weg.

Dienstag, 23. November 2010

Pause

Ich habe beschlossen, dieses Blog eine Weile ruhen zu lassen. Bei allem Hin und Her zu Griechenland stellt die Presse zwar womöglich langsam fest, dass die Bundesregierung nicht mehr im Interesse der Bürger agiert, und warum, aber in Sachen volkswirtschaftlichen Verständnisses entwickelt sie sich nicht weiter. Das hat zur Folge, dass auch dieses Blog nicht all zu viel Spielraum für Entwicklungen bietet.

Sicher werde ich zu solchen Themen ab und zu auf meinem eigentlichen Blog schreiben. Und falls mich ein besonders blöder Artikel einmal mehr auf die Palme treiben sollte, werde ich mich hier auch wieder zu Wort melden.

Fürs Erste will ich aber nur noch einmal auf ein paar Ressourcen hinweisen, die die geneigte Leserin, die ernsthaft etwas über die wirtschaftlichen Zusammenhänge lernen möchte, nützlich finden könnte. Da wäre als Einstieg das Buch "7 Deadly Innocent Frauds" von Warren Mosler. Tiefer gehend ist das billy blog von Bill Mitchell. Ich kann auch das Totholz-Buch "Understanding Modern Money" von Randall Wray empfehlen.

Speziell aus dem deutschsprachigen Raum empfehle ich die NachDenkSeiten. Sie widmen sich einer allgemeinpolitischen Alternative zur gängigen Medienlandschaft, aber enthalten auch immer wieder progressive volkswirtschaftliche Analysen. Sie ignorieren die Lektionen der Modern Monetary Theory leider, sind aber trotzdem empfehlen, weil die meisten volkswirtschaftlichen Zusammenhänge ja nicht zwangsläufig damit zu tun haben, ob wir Fiat-Geld verwenden oder nicht.

Samstag, 20. November 2010

Scheuklappen

Nach seinem Kommentar "Seil für Europa" auf Seite 23 müssen wir wohl auch Martin Hesse zu den Menschen in der SZ-Redaktion, deren Blick für die eigentlichen Probleme und Möglichkeiten in der jetzigen Situation verstellt ist, zählen.

Die Notenbank aber muss politisch unabhängig agieren können, um ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen: für einen stabilen Euro zu sorgen.

Das Mantra eines stabilen Euros als oberstes Ziel in der Wirtschaftspolitik ist tief verwurzelt und ein großer Teil des Problems. Man vergleiche diese dogmatisch einseitige Ausrichtung mit der deutlich weiseren Zielsetzung des Magischen Vierecks.

Staaten wie Portugal, Griechenland und Irland sind ... nicht wettbewerbsfähig. Um es zu werden, müssten sie Preise, Pensionen und Löhne drastisch senken – oder aus der Euro-Zone austreten, um die Währung abwerten zu können.

Ein typischer Fall von Scheuklappen der Angebotsökonomen. Würde die deutsche Regierung dafür sorgen, dass in Deutschland der Lohnanteil am Gesamteinkommen wieder steigen und dadurch die Nachfrage im Binnenmarkt anregen, so würde das über deutsche Importe aus den betroffenen Staaten ganz wesentlich zur Entschärfung der Situation beitragen. Aber dazu müsste man auf die Nachfrageseite schauen - ein pragmatischer Schritt, dem sich die Mainstreamökonomen aber aus ideologischen Gründen widersetzen.

Immerhin, was die politische Zielsetzung angeht bin ich mit dem Autor einig:

Statt die Währungsunion aufzugeben, sollte die EU die Fiskal- und Wirtschaftspolitische Union folgen lassen.

Wenn er nur auch die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge richtig verstehen würde!

Ziemlich unsympathisch ist der Artikel "Drei Männer, eine Krise" auf Seite 25. Man kann von sachlichen Diskussionen durchaus ablenken, indem man sie zu Diskussionen ums Personal macht, aber Qualitätsjournalismus sieht anders aus. Dominique Strauss-Kahn vom IWF ist jedenfalls hoffnungslos im Gedankenkäfig der Neoliberalen gefangen:

Europa, so Strauss-Kahn weiter, solle auch die Reform des Jobmarktes voranbringen, da es unter einer chronisch hohen Arbeitslosigkeit leide. „Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir eine verlorene Generation haben – vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt.“

Das Gefahr der "verlorenen Generation" ist sehr real. Aber Reformen des Jobmarktes haben damit überhaupt nichts zu tun, es sei denn, man würde z.B. das Renteneintrittsalter senken.

Das Problem ist im Grunde sehr einfach. Es gibt weniger Arbeitsplätze als arbeitende Menschen. Als Beispielrechnung: wenn die gesamte arbeitende Bevölkerung aus 40 Millionen Menschen besteht, es aber nur 35 Millionen Arbeitsplätze gibt, dann gibt es logischerweise 5 Millionen Arbeitslose.

Die typischen neoliberalen Reformkonzepte ändern daran nichts. Durch größere Stigmatisierung der Arbeitslosen oder verstärkte Schulungsmaßnahmen werden keine Arbeitsplätze geschaffen (gut, irgendjemand muss die Schulungen durchführen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein).

Die einzigen Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, und damit zur Vermeidung einer "verlorenen Generation", sind die Größe der arbeitenden Bevölkerung zu reduzieren (durch längere Schulzeit oder ein früheres Renteneintrittsalter) oder die Anzahl der Arbeitsplätze zu vergrößern.

Letzteres erreicht man am Besten durch expansive Fiskalpolitik.

Mittwoch, 17. November 2010

Es kriselt

Es ist einmal wieder so weit (und ich habe es mehr oder weniger deutlich vorhergesehen): die Euro-Krise bringt es zum Leitartikel auf Seite 1, "Europäische Union ist in Überlebenskrise". Dankenswerterweise beschränkt sich der Artikel weitgehend auf die Fakten. Aber er zeigt uns gleichzeitig, dass die deutsche Regierung ein Problem bei der Wahrnehmung der Realität hat:

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ... wies Kritik etwa des griechischen Premiers Giorgos Papandreou zurück, durch die deutsche Forderung, private Gläubiger zu beteiligen, sei eine Schuldenspirale in Gang gesetzt worden. Solidarität sei keine Einbahnstraße, mahnte er. Die Spekulationen „haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun“. Die neuen Regeln würden erst von 2013 an gelten.

Versetzen wir uns einmal in die Lage eines Portfoliomanagers, der die zur Zeit ungewöhnlich undankbare Aufgabe hat, für den Fonds oder die Versicherung, die ihn anstellt, Anleihen der Euro-Länder zu kaufen. Früher war das eine denkbar einfache Aufgabe: Staatsanleihen waren ein ausfallsicheres Geschäft, es ging also nur darum, möglichst höhe Gewinne herauszuschlagen. Dafür gibt es herzlich einfache Formeln, die man sich mit ein wenig Arithmetik selbst herleiten kann.

Heute ist die Lage anders. Anleihen von Griechenland, Irland, und einigen anderen Ländern versprechen rekordverdächtig hohe Renditen. Das Problem ist nur, dass die deutsche Regierung seit einiger Zeit sehr deutlich macht, dass Anleihen zukünftig nicht mehr ausfallsicher sein sollen - und natürlich sind gerade die Länder, deren Anleihen besonders hohe Renditen versprechen gleichzeitig diejenigen, bei denen eine etwaige Insolvenz am wahrscheinlichsten ist, wenn sie - und danach sieht es im Moment aus - politisch gewollt ist.

Ein Portfoliomanager kann daher auch Schäubles Aussage, neue Regeln würden erst ab 2013 gelten, auch nicht ernst nehmen. Die Politik hat seit der Griechenland-Krise sehr klar gezeigt, dass auf sie kein Verlass ist. Eine Insolvenz könnte daher lange vorher eintreten - wenn sie denn politisch gewollt ist. Und selbst wenn Schäuble mit seinem Zeitfenster bis 2013 Recht behalten sollte ist das - aus Sicht des Managers - keine Beruhigung, denn bei einer Insolvenz sind auch ältere Forderungen nicht sicher. Es ist also kein Wunder, dass die Zinsen auf 10-jährige Anleihen mancher Euro-Staaten zur Zeit explodieren.

Es ist übrigens auch kein Wunder, dass im gleichen Zeitraum die Zinsen auf deutsche 10-jährige Anleihen auf ein Rekordtief gesunken sind, eben weil besagte Portfoliomanager hin zu diesen als sicher geltenden Anleihen getrieben werden. Das Bundesfinanzministerium steht dadurch so gut da wie selten zuvor.

Ich habe mehrfach betont, dass eine Staatsinsolvenz politisch gewollt sein muss, denn es gibt eine Alternative - das lehrt uns die Modern Monetary Theory. Die Finanzminister der Euro-Zone könnten die EZB dazu verpflichten, für die Sicherheit der Staatsanleihen der Euro-Staaten zu garantieren. Das geht ganz pragmatisch mit wenigen Eingriffen in das System, und ohne Geldtransfer zwischen den Mitgliedsstaaten. Keiner der anderen Mitgliedsstaaten würde für diese Aktion auch nur einen Euro hergeben.

Das würde nicht bedeuten, dass den Euro-Regierungen beliebig große Defizite ermöglicht würden. Vielmehr bedeutet es, dass zwischen Regierungen, EZB und Europäischem Parlament eine Höhe der Schuldenaufnahme ausgehandelt wird, für die die EZB garantiert.

Ein solches Vorgehen wäre volkswirtschaftlich unproblematisch, würde die Schuldenkrise mit einem Schlag beenden und die europäische Integration in Hinblick auf eine abgestimmte Wirtschaftspolitik voranbringen. Es würde vor allem eine Zuwendung zu den eigentlichen Problemen ermöglichen - nämlich zur Wirtschaftskrise und der skandalös hohen Arbeitslosigkeit.

Da haben wir also den Weg, den die Bundesregierung geht, und eine Alternative. Ich bin mir sicher, dass Schäuble diese Zusammenhänge versteht. Schließlich ist er Finanzminister und damit der Chef über die Bundesfinanzagentur, die für die Ausgabe der Bundesanleihen zuständig ist. Wie unser Geldsystem funktioniert müsste ihm inzwischen jemand erklärt haben.

Es bleibt nur eine Erklärung. Wolfgang Schäuble, Mitglied der angeblich so europafreundlichen CDU, nimmt den Kollaps der Euro-Zone - und damit womöglich der Europäischen Union - in Kauf, um sich selbst einen persönlichen politischen Vorteil zu verschaffen - denn das Bundesfinanzministerium steht in der ganzen Situation zweifellos glänzend da.

Richtig traurig macht der Kommentar von Alexander Hagelüken auf Seite 4, "Der Preis des Euro".

Wenn Merkel ihre Pläne einstampft, wären Investoren und unsolide Regierungen im Paradies. Die Spekulanten könnten jederzeit hohe Zinsen auf irische oder griechische Staatsanleihen kassieren ohne Verlustrisiko – im Notfall würde ja allein der Steuerzahler einspringen. Und die Griechen könnten ihre Rekordverschuldung fortsetzen, weil sie von den Finanzmärkten keinen Druck mehr bekämen und von den Europartnern im Notfall doch Hilfe.

Ich habe schon weiter oben eine solidere Lösung des Problems angeschnitten, aber an dieser Stelle sollte ich weiter ausholen. Was keiner der Kommentatoren in der SZ versteht ist, dass in einem soliden Fiat-Geldsystem Staatsanleihen nicht der Finanzierung der Regierungsausgaben dienen. Die Regierung könnte Geld einfach ausgeben, und wenn die Regierung ein inflationsneutrales Defizit fährt dann liegt das einfach daran, dass der private Sektor Geld sparen will. Staatsanleihen dienen dann dazu, den Sparern eine verzinste Alternative zu Geld anzubieten. Dementsprechend steht es der Regierung eines Fiat-Geldsystems frei, die Zinsen, die auf Anleihen bezahlt werden, so zu wählen wie sie es will. Sie will 5% zahlen? Kein Problem. Sie will nur 1% zahlen? Auch kein Problem.

Der Haken bei der Eurozone ist, dass sie keine Regierung hat. Es wird auch äußerst schwierig sein, eine solide Regierung in hinreichend kurzer Zeit aufzubauen. Deshalb wäre es sinnvoll, die Aufgaben einer Euro-Regierung zumindest übergangsweise auf die nationalen Regierungen aufzuteilen. Eine dieser Aufgaben ist es, dem zyklischen Sparwillen des privaten Sektors mit einem entsprechenden Defizit entgegenzukommen. Aber wenn man diese Aufgabe auf nationale Regierungen übertragt, dann muss man ihnen auch einen Schutzschild gegen den Finanzmarkt geben. Dieser Schutzschild muss über Garantien der EZB bzw. Garantien eines noch zu schaffenden Euro-Finanzministeriums aufgebaut werden.

Das ist ein Teil des theoretischen Hintergrunds, der hinter meinem oben skizzierten Vorschlag steckt.

Europas Politiker sollten vereint Demonstranten in Athen oder demnächst Dublin klarmachen, dass es zu harten Sparhaushalten keine Alternative gibt.

Diese Art von Quatsch wird auch dann nicht wahrer, wenn man ihn täglich nachbetet. Die momentane Wirtschaftskrise zeichnet sich durch stillstehende Produktionskapazitäten - und ganz besonders hoher Arbeitslosigkeit - wegen mangelnder Nachfrage aus. In dieser Situation staatliche Ausgaben zurückzufahren wird die Nachfrage, und damit auch die Einkommen, noch weiter reduzieren. Und wenn die Einkommen des privaten Sektors weiter sinken, sinken auch die Ausgaben des privaten Sektors und damit die Nachfrage weiter - die Summe aller Einkommen ist gleich der Summe aller Ausgaben - wodurch die Steuereinnahmen weiter sinken und das Defizit weiter steigt.

Man kann eine stabile Wirtschaft auch erreichen, indem man die Wirtschaftsleistung auf Null fallen lässt.

Schön aber falsch rechnet Thomas Öchsner auf auf Seite 6 im Artikel "Mehr Geld für Rentner":

Die 20,4 Millionen Rentner in Deutschland können in den nächsten 15 Jahren auf erfreuliche Rentenerhöhungen hoffen. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die gesetzlichen Altersbezüge bis 2024 um durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr steigen.

Dummerweise sind das nominale Rentenerhöhungen. Wenn man die Inflation berücksichtigt, sehen diese Zahlen alles andere als rosig aus. Besonders kritisch wird das vor dem Hintergrund, dass die Bundesbank ein Inflationsziel von 2% anstrebt. Sollte sie damit erfolgreich sein, würde das jährlich einen Rückgang der realen Renten um 0,1% bedeuten.

Den ein oder anderen Aha-Effekt dürfte der Artikel "Eine These, die nicht passt" auf Seite 17 auslösen.

Es wäre schön gewesen, mit Klaus Brenke zu sprechen. Der Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine Studie mit einer brisanten These verfasst: Einen grundlegenden Mangel an Fachkräften gebe es in Deutschland nicht, lautet sie. Ursprünglich sollte die Untersuchung am Dienstag erscheinen. Noch am Morgen hatte die Pressestelle des Instituts das angekündigt. Am Mittag hieß es dann aber, die Studie werde erst am Donnerstag vorgelegt. Es müssten einige redaktionelle Änderungen vorgenommen werden. Autor Brenke war bis zum Nachmittag nicht erreichbar. Später sagte er am Telefon, er dürfe heute nicht reden. Eine hausinterne Vereinbarung stehe dem entgegen.

Da sieht man mal, wie ernst es dem "Institut für Wirtschaftsforschung" mit der Forschung ist. Vielleicht sollten sie sich in "Institut für Wirtschaftsdogmatik" umbenennen?

Schön ist, dass im Gastbeitrag "Gefährliche Ungleichheit" auf Seite 18 einmal zu Wort kommt, dass die in den letzten drei Jahrzehnten deutlich gewachsene Ungleichheit in Deutschland zu großen Teilen für die Krise verantwortlich ist. Warum aber auch hier vom

... XXL-Wachstum ...

geschwafelt wird, wird mir ein Rätsel bleiben.

Donnerstag, 11. November 2010

"Geld pumpen"

Auf Seite 1 steht heute im Artikel "Merkel verwahrt sich gegen Obamas Kritik":

Obama verteidigte in dem Brief auch die Entscheidung der US-Notenbank, Milliarden Dollar in die lahmende US-Wirtschaft zu pumpen, um den Aufschwung zu beflügeln.

Was wird dort unter "Geld pumpen" überhaupt verstanden? Und steckt darin das Potential, einen Aufschwung zu beflügeln? Lesen wir weiter:

Merkel zeigte sich besorgt angesichts der Entscheidung der US-Notenbank, Staatsanleihen im Wert von 600 Milliarden Dollar anzukaufen.

Aha! In Wirklichkeit wird also überhaupt kein Geld in die Wirtschaft gepumpt! In Wirklichkeit werden finanzielle Mittel mit langer Laufzeit und Zinsen (Anleihen) gegen finanzielle Mittel mit kurzer Laufzeit und ohne Zinsen (Geld) eingetauscht. Das hat natürlich zur Folge, dass die kurzfristigen Zinsen sinken.

Was sich die Monetaristen davon erhoffen ist, dass dann mehr Kredite von Banken an die Wirtschaft vergeben werden. Diese Kredite werden von der Wirtschaft verwendet um die Auslagen zu bezahlen, die zur Produktion benötigt werden. Sie überbrücken also die Zeit zwischen Einkauf von Input und Verkauf von Output.

Die Kehrseite davon ist: diese Kredite werden - ganz unabhängig von der Höhe der Zinsen - nur aufgenommen, wenn die Wirtschaft realistische Hoffnungen hat, den dadurch ermöglichten Output auch verkaufen zu können. Aber genau daran hakt es in der jetzigen Krise: die Nachfrage nach Produkten ist einfach zu niedrig, um die realen produktiven Kapazitäten der Wirtschaft auszulasten. Dadurch entsteht Arbeitslosigkeit.

Die Politik der Fed wird also nichts dazu beitragen, die Krise zu beenden. Wenn die Krise durch eine erleichterte Kreditvergabe beendet werden könnte, dann wäre das schon vor langer Zeit geschehen, als die Zentralbanken weltweit ihre Leitzinsen gesenkt haben. Es ist nicht passiert, also wird es auch zukünftig nicht passieren.

Auf Seite 4 zeigt Nikolaus Piper in seinem Kommentar "Amerikas Schwäche" überraschende Einsicht - mal sehen, wie lange sie anhalten wird:

Derzeit ist immer noch Deflation das größere Risiko als eine Teuerungswelle. Vermutlich werden die jüngsten Aktionen der Notenbank sogar weitgehend folgenlos bleiben.

Den Irrwitz der ganzen Währungsdiskussion hat er aber auch nicht kapiert:

Ohne Aufwertung des Yuan ist an einen Abbau der globalen Ungleichgewichte nicht zu denken.

Das ist so unsinnig. Wenn die USA einen aufgewerteten Yuan wollen haben sie zwei Möglichkeiten. Entweder sie lästern - wie es jetzt passiert - wirkungslos herum in der Hoffnung, eine Aufwertung des Yuan entgegen der natürlichen Entwicklung der Devisen-Märkte zu erreichen.

Oder sie kommen der chinesischen Regierung - die ganz offenbar US$ bunkern will - entgegen und geben ihren Bürgern einfach genug Geld in die Hand, um so lange Produkte aus China zu kaufen bis die chinesische Regierung keine Lust mehr hat und damit aufhört, US$ aufzukaufen.

Bei der zweiten Option folgt die Aufwertung des Yuan als natürliche Entwicklung auf den Devisen-Märkten, und nebenbei profitieren dabei noch die Bürger der USA von den Importen. (Eine ähnliche Analyse würde grob auch auf Deutschland zutreffen, wäre Deutschland nicht an den Euro gebunden. Ein weiterer Unterschied ist, dass Deutschland primär Investitionsgüter, China aber Konsumgüter exportiert.)

Aber warum den einfachen Weg gehen, wenn man auf komplizierte Weise nichts erreichen und trotzdem viel Lärm machen kann?

Während in der SZ von "tö" in "Weise Worte ohne Wirkung" auf der gleichen Seite noch vom

... Superboom ...

fabuliert wird, wird andernorts bereits ein anderes Bild gezeichnet. Möglich, dass sich das noch erholt, aber unwahrscheinlich. Und auch bei dem "Sparvorbild" Irland zeichnet sich inzwischen - wie vorherzusehen war - ab, dass Sparen einfach nicht funktioniert, siehe "Dublin Blues" auf Seite 26. Unkenntnis der Funktionsweise des Systems ist auch hier zu finden:

Ein Auseinanderbrechen der Eurozone, wie vor allem in London gerne kolportiert, sieht er nicht. Auch Meißner hält den Euroraum für „extrem attraktiv“, auch vor dem Hintergrund der Schwächen anderer Währungszonen.

Das ist Unsinn. Der Euro unterscheidet sich von allen anderen Währungen dadurch, dass es in ihm keine souveräne Regierung gibt, die unabhängig von Finanzmärkten als Stabilisator auftreten kann.

Dadurch ist das Euro-System unabwendbar instabil. Schon ein kleiner Ausreißer in den Anleihemärkten kann zu einer selbstverstärkenden Rückkopplung führen, die in einem Staatsbankrott endet. Diese Rückkopplungsschleife funktioniert so. Nehmen wir an, ein Euro-Mitglied leidet besonders unter einer Krise und muss besonders viele Schulden aufnehmen. Dies kann zu Skepsis auf den Anleihemärkten führen, d.h. Investoren meiden die Anleihen dieses Landes. Deshalb muss dieses Land höhere Zinssätze auf die Anleihen bezahlen, wodurch es natürlich letztlich noch mehr Schulden aufnehmen muss, und der Kreis schließt sich.

Souveräne Staaten wie z.B. die USA leiden nicht unter einer solchen Rückkopplungsschleife. Sie können dem Markt die Zinsraten ihrer Anleihen aufdiktieren. Die Finanzmärkte werden die Anleihen in jedem Fall kaufen um überschüssige Reserven loszuwerden, solange die Zinsrate der Anleihen über der auf überschüssige Reserven von der Zentralbank bezahlten Rate liegt. Diese Zusammenhänge sind einfach zu verstehen, wenn man sich einmal mit der Funktionsweise von Zentralbanken und der Bedeutung von Anleihen in einem vernünftigen Fiat-Geldsystem auseinandergesetzt hat.

Verstärkt wird diese Rückkopplungsschleife in der Euro-Zone übrigens noch ganz extrem durch den "Stabilitätspakt" - welch Ironie! Befindet sich die Wirtschaft eines Landes in der Krise, so ist die angemessene Reaktion des Staates darauf in der Regel eine expansionäre Fiskalpolitik - also ein höheres Defizit. Dieses höhere Defizit wird aber durch den Stabilitätspakt untersagt. So wird die Regierung dazu gedrängt, das Defizit zu reduzieren und dadurch die Wirtschaft des Landes weiter abzuwürgen - genau das passiert gerade in Irland.

Die Katastrophe ist also vorprogrammiert. So gesehen kann man Griechenland für die Griechenland-Krise keine Schuld zuweisen. Wenn Griechenland besser aufgestellt gewesen wäre, dann hätte es eben ein anderes Euro-Land erwischt. Aber irgendjemand musste dran glauben, das wurde durch die Instabilität des Marktes unausweichlich.

Montag, 8. November 2010

Der Albtraum kommt wieder

Voller Schrecken las ich heute in der SZ, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, einen Goldstandard einzuführen. Dabei müsste man nach den Lehren des letzten Jahrhunderts ganz deutlich sagen: "Nie wieder soll die Handlungsfähigkeit souveräner Staaten derart eingeschränkt werden!"

Zur Erinnerung: Goldstandard bedeutet, dass Regierung sich daran binden, Geld zu einem festen Preis gegen Gold einzutauschen. Wenn der Markt mehr Gold verlangt als die Regierung zur Verfügung stellen kann zwingt das die Regierung dazu, die Wirtschaft durch Steuern und andere Maßnahmen abzuwürgen und dadurch ihren eigenen Bürgern unnötiges Leid aufzuzwängen. Dieses Regime wurde vor 40 Jahren aus guten Gründen endgültig abgeschafft.

Schon im Aufmacher der Seite 2 konzentriert sich die kollektive Idiotie der zur Zeit handelnden Politiker:

Die US-Notenbank pumpt gerade viele neue Milliarden in den Markt. Dadurch verliert der Dollar schnell an Wert, die US-Wirtschaft erhält bessere Exportchancen. Werden andere Staaten nun auch ihre Währung verbilligen? Drohen Inflation und neue Turbulenzen in der Weltwirtschaft?

Warum, um alles in der Welt, wollen alle unbedingt so viel exportieren? Handel ist gut, klar. Aber Exporte sind realwirtschaftlich gesehen ein Verlust. Wer exportiert sendet Waren ins Ausland, die dadurch den Bürgern im eigenen Land entgehen. Das kann sich lohnen, wenn man im Gegenzug auch begehrte Waren importiert. Aber diese Kehrseite von Exporten wird totgeschwiegen.

Tatsächlich sollten die USA einfach die einmalige Situation, dass ihnen die halbe Welt ohne Gegenleistung Waren senden will, genießen. Gerne sollen sie von mir aus 600 Milliarden US$ drucken - wenn sie dieses Geld dann direkt ausgeben würden um Arbeitsplätze zu schaffen und das Geld so unter die Bevölkerung zu bringen. Das würde die US-Importe vermutlich kurzfristig noch weiter steigen, und ja, der US$ würde dann vermutlich an Wert verlieren um den Außenhandel wieder auszugleichen - aber zwischenzeitlich hätten die US-Bürger davon massiv profitiert.

Dass es in Deutschland noch keine Revolution gegen den Exportwahn gegeben hat ist auch nur dadurch zu erklären, dass die Bevölkerung nicht versteht, dass Nettoexporte einen ganz konkreten realen Verlust von Lebensstandard bedeuten.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: jedem Deutschen entgehen im Schnitt jährlich 1500€ an Importen, die er oder sie im Falle eines ausgeglichenen Außenhandels mehr genießen könnte.

Ich kann der ganzen Themen-Seite nichts, aber auch gar nichts Gutes abgewinnen. Da steht so viel Unfug drin, zum Beispiel wieder einmal die absolut unsachliche Gleichsetzung von Staatsschulden mit privaten Schulden. Am schlimmsten ist mir heute aber das hier aufgestoßen:

Zu viel Geld in Umlauf treibt die Preise, und dauerhafte Inflation enteignet die Sparer. Knappheit ist daher die wichtigste Eigenschaft von Geld; zumal, wenn dieses selbst keinen materiellen Wert mehr hat wie eben Gold, Muscheln, Kamele oder was immer die Menschen als Zahlungsmittel ersannen.

Die Erwähnung von Inflation im Kontext des Goldstandards ist geradezu lächerlich. Seit der Auflösung des Goldstandards mit dem Ende von Bretton Woods ist die Inflation sehr konsistent niedriger als vorher. Auch die Phasen niedriger Inflation im 19. Jahrhundert in den USA haben mehr mit kontraktionärer Fiskalpolitik zu tun als mit dem Goldstandard. Wenn man also irgendeine Verbindung zwischen Goldstandard und Inflation sehen wollte, dann eher umgekehrt: die Inflation war in Zeiten des Goldstandards höher als heutzutage.

In Wirklichkeit hat die Vorstellung, der Goldstandard habe irgendwas mit Inflation zu tun, nur sehr wenig mit der Realität zu tun.

Übrigens ist auch die Erwähnung von Muscheln vollkommen unsachgemäß. Muscheln wurden nie wegen ihres intrinsischen Wertes als Zahlungsmittel verwendet, sondern wegen ihrer Fälschungssicherheit. Das gleiche gilt entgegen konventioneller Weisheiten auch für Edelmetalle: die Verwendung von Edelmetallen in Münzen war historisch meist eine Maßnahme zur Erhöhung der Fälschungssicherheit und hatte mit dem Metallwert an sich nichts zu tun.

Die SZ-Wirtschaftsredaktion demonstriert unterdessen am lebenden Beispiel, dass man politische Ideologien auch unterstützen kann, indem man bestimmte Dinge einfach totschweigt. Während sie die Zerstörung staatlicher Souveränität durch den Goldstandard zum Leitthema auf Seite 2 hochjubelt, ist ihr die dringend notwendige Diskussion über Junckers Vorschlag, Euro-Anleihen einzuführen - ein wichtiger Schritt in Richtung Wiederherstellung von Souveränität - gerade einmal die Randnotiz "Streit um Europa-Anleihe" auf Seite 21 wert.

Samstag, 6. November 2010

Die Ja-Sager

Ein ganz und gar erstaunlicher Vorgang ist der Artikel "Wie Deutsche künftig ihr Einkommen versteuern" auf Seite 23. Darin wird ganz offen so getan, als wäre der Vorstoß zur Umgestaltung der Einkommenssteuer von Schäuble bereits beschlossene Sache - dabei regt sich sowohl aus der Regierungskoalition als auch von Seiten der Kommunen ganz schön heftiger Widerstand.

Ohne Rücksicht auf demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien macht sich die Wirtschaftsredaktion der SZ hier gewissermaßen zum Propagandaarm des Finanzministers. Ich fühle mich erinnert an den vorauseilenden Gehorsam bei der Umsetzung der geplanten Hartz IV-Änderungen lange vor deren endgültigem Beschluss.

Mir bleibt nur Kopfschütteln.

Erfreulicher ist die Botschaft im Artikel "Europäer sollen gemeinsam für Schulden geradestehen" auf Seite 25.

Der Sprecher der 16 Euroländer, Jean-Claude Juncker, will die Solidarität der Partner untereinander stärken und gemeinschaftliche Anleihen einführen.

...

Künftig sollen die Euroländer solidarisch für einen Teil der Gesamtschulden haften. Die Grenze soll bei dem Schuldenstand liegen, der 60 Prozent der Wirtschaftskraft jedes Eurolandes entspricht – so viele Schulden sind nach EU-Regeln gerade noch erlaubt. Diese Schulden sollten gebündelt und kollektiv garantiert werden, fordert Juncker. Für alle darüber liegenden Schulden müssten die Länder national haften.

Noch steht der genau vorgeschlagene Mechanismus nicht fest, aber das ist ganz klar ein Schritt in die richtige Richtung. Ich schreibe schon länger, dass die Einrichtung einer zentralen Euro-Fiskalregierung notwendig ist, um die Eurozone langfristig am Leben zu erhalten. Die Ausgabe gemeinsamer Anleihen ist ein kleiner, aber wesentlicher Schritt in diese Richtung.

Enttäuschend ist die Begründung, die Juncker verwendet:

Es sei richtig und nachvollziehbar, die Steuerzahler zu entlasten. Nötig sei es jedoch auch, die Finanzmärkte zu beachten. „Wir müssen eine kluge europäische Lösung finden, die beider Interessen berücksichtigt“, sagte Juncker.

Die Notwendigkeit gemeinsamer Anleihen hat nichts mit dem Finanzmarkt zu tun, sondern mit der grundlegenden Funktionsweise eines Fiat-Geldsystems. Das Zitat weckt in mir daher nicht gerade Hoffnung, dass Juncker die Lage wirklich versteht. Wir können trotzdem gespannt sein, was die Zukunft bringt. Vielleicht wird aus der Eurozone ja doch irgendwann mal ein vernünftiges System. Schön wäre es jedenfalls.

Freitag, 5. November 2010

Neue Defizite braucht das Land!

Kurze Meta-Präambel: Wenn ich Posts wie den folgenden schreibe habe ich immer ein wenig schlechtes Gewissen. Für jemanden, der noch nicht in Sachen Modern Monetary Theory aufgeklärt ist, der die allseits verbreiteten makroökonomischen Unwahrheiten absorbiert hat ohne sie jemals zu hinterfragen, für den lesen sich solche Texte bestimmt nicht unbedingt glaubwürdig. Das ist schade, andererseits habe ich dieses Blog ja ganz bewusst ins Leben gerufen, um Dampf abzulassen - denn wenn man zu viel Schmarrn täglich um sich herum liest, sammelt sich leider viel Dampf an. Das ermöglicht mir dann, im echten Leben etwas weniger hitzköpfig zu sein. Und online gibt es ja noch mein anderes Blog, für das ich mir mehr Zeit nehme - mit entsprechenden Folgen für die Blogfrequenz - und auf dem ich stets bemüht bin, sachlich ruhig und ausführlich zu argumentieren.

Ich versichere also hoch und heilig: alles, was ich hier schreibe, meine ich ernst - und ich kann das auch im ruhigen, sachlichen Dialog ausführlich begründen. Aber ab jetzt gilt: immer feste druff!


Heute verbreitet Nikolaus Piper im Kommentar "Gelähmte Weltmacht" auf Seite 4 wieder einmal gefährlichen Unfug.

Rational würde bedeuten: Zunächst noch einmal mit zusätzlichem Geld Arbeitsplätze und Investitionen fördern und dafür sogar kurzfristig ein höheres Defizit in Kauf zu nehmen. Die Perspektive auf eine Wende müsste aber bereits jetzt klar sein. Die USA bräuchten eine überzeugende Strategie, um mittelfristig ihr Staatsdefizit abzubauen. Mit dem Wahlergebnis ist es nun sehr unwahrscheinlich geworden, dass es dazu kommt, um es vorsichtig auszudrücken.

Der Autor fabuliert davon, dass man das Staatsdefizit reduzieren müsse. Ja, warum denn? Was ist an einem Staatsdefizit denn eigentlich so schlimm?

Als Privatperson muss man immer erst Geld einnehmen, bevor man es ausgeben kann. Im Zweifelsfall kann man natürlich Kredite aufnehmen, aber lange geht das nicht gut.

Nur: ein souveräner Staat wie die USA unterliegt solchen Limits nicht. Die US-Bundesregierung kann so viel Geld ausgeben wie sie möchte. Überhaupt kein Problem. Wie, ihr glaubt mir das nicht? Dann denkt doch mal in Ruhe über das hier nach - aus dem gleichen Artikel, wohlgemerkt:

Fast gleichzeitig verkündet die Notenbank Federal Reserve, dass sie weitere 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft pumpen wird.

Hier wird sehr klar demonstriert, dass nichts, aber auch gar nichts, die US-Bundesregierung daran hindern kann, mal auf die Schnelle 600 Milliarden US$ auszugeben. Sicher, die Transaktion wird von der Fed durchgeführt - aber letztlich ist die Fed einfach nur einer von vielen Armen der US-Regierung. Mehr über die Struktur der Regierung und das Verhältnis von Treasury und Zentralbank findet man bei billy blog.

Ist es eine gute Idee, wenn die Regierung beliebig viel Geld ausgibt? Natürlich nicht. Aber sowohl ein zu geringes wie auch ein zu hohes Staatsdefizit haben schädliche Auswirkungen.

Im konkreten Fall der USA sieht die Situation so aus, dass das Wachstum in den USA seit dem Ende der 1990er zu einem sehr großen Teil durch Verschuldung privater Haushalte ermöglicht wurde - durch Kreditkarten, vor allem aber durch Hypotheken. (In diesem Zusammenhang übrigens interessant: 9,5% aller deutschen Haushalte gelten als überschuldet, siehe Seite 28, "Fast jeder Zehnte ist überschuldet"; angesichts der noch frischen Erfahrung mit der Finanzkrise wird sich da aber wohl eher keine Blase entwickeln,) Da aber private Haushalte - im Gegensatz zu souveränen Regierungen - irgendwann an ihre finanzielle Belastbarkeitsgrenze geraten, ist der Hypothekenmarkt dann zusammengebrochen und hat ganz kräftig dazu beigetragen, die weltweite Finanzkrise ins Rollen zu bringen. Als rationale Folge davon versuchen private Haushalte in den USA jetzt, zu sparen - das heißt konkret: zunächst Rückbezahlung von Krediten, dann Aufbau eines kleinen Sicherheitspolsters. Der private Sektor will also sparen.

Gleichzeitig ist die USA eine extreme Importnation, was bedeutet, dass US$ und äquivalente Mittel ins Ausland abfließen.

Für Geld gilt aber Flusserhaltung: die Abflüsse ins Ausland und in privates Sparen müssen irgendwoher kommen - und als Quelle bleibt nur noch die Regierung übrig - siehe auch eine Einführung in die Sectoral Balances. Weigert sich die Regierung, als Geld-Quelle herzuhalten, so führt dies unweigerlich zu einem Wettkampf um US$, bei dem jede Menge Menschen leer ausgehen werden. Landläufig nennt man diese Menschen dann "Arbeitslose".

Die richtige Politik für die US-Regierung (und übrigens für praktisch alle westlichen Staaten zur Zeit) wäre also, die Fluttore zu öffnen um massiv Geld in die Hände der breiten Bevölkerung zu bringen - wir reden hier über Maßnahmen in Billionen-Höhe. Dies würde sinnvollerweise in Form von Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Infrastruktur geschehen.

Und nein, Pläne für einen späteren Ausgleich dieser Defizite muss man keine aufstellen. Wenn ein entsprechender Ausgleich irgendwann volkswirtschaftlich angemessen sein sollte, so wird dies schon deutlich genug sichtbar werden: durch Vollbeschäftigung (weniger als 2% Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitig null Unterbeschäftigung), durch automatische Reduzierung des Defizits durch automatische Stabilisatoren (steigende Steuereinnahmen, sinkende Sozialausgaben), und im Zweifelsfall durch echte Preissteigerungen - und damit meine ich nicht die lächerlichen 2%, bei denen die Monetaristen in den Zentralbanken dieser Welt immer sofort vom Weltuntergang fabulieren. Aber wann dieser Fall eintreten wird, kann niemand vorhersagen.

Wie ist in diesem Zusammenhang das Öffnen der Fluttore durch die Fed einzuschätzen? Im Großen und Ganzen ist es Augenwischerei im großen Stil. Dort werden keine handfesten Investitionen getätigt, wie dies z.B. bei Infrastrukturprogrammen der Fall wäre, sondern nur riesige Summen in Bilanzen hin- und hergeschoben. Der genaue Effekt solcher Maßnahmen ist praktisch unvorhersehbar, vermutlich wird er insgesamt gering bleiben. Lediglich ein paar geschickten Spekulanten wird es vielleicht gelingen, bei einem Umsatz von einer halben Billion US$ noch ein paar goldene Näschen mehr zu verdienen. Und mit etwas Pech entsteht eine Aktienblase, die dann in nicht all zu ferner Zukunft spektakulär zerplatzt - aber dafür müssen die Kurse erst noch hinreichend steigen.

Und weil eine Portion Quatsch in einem Kommentar ja nicht genug ist, liefert Nikolaus Piper dann auch gleich noch die Soße dazu - und zwar nicht zu knapp.

Es geht heute um weit mehr als um Verschwendung und Bürokratie, es geht um ein fundamentales Strukturproblem. Die Vereinigten Staaten müssen, wie andere Industriegesellschaften auch, damit fertig werden, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt.
...
Die Rechnung wird jetzt fällig.

Die neoliberale Propaganda ist inzwischen so weit, dass Meister Piper die Lüge gar nicht mehr beim Namen nennen muss - jeder kennt sie, und die meisten Menschen nehmen sie für bare Münze. Die Wahrheit ist: die demographische Entwicklung ist für einen souveränen Staat unter keinen Umständen ein finanzielles Problem. Wenn eine souveräne Regierung beschließt, dass sie für die Alten im Land sorgen will, dann kann sie immer genug Geld ausgeben um dies auch zu tun - vorausgesetzt, die dafür nötigen Waren und Dienstleistungen können von der Wirtschaft bereitgestellt werden.

Und genau da liegt der Hund begraben: wenn überhaupt, dann ist die demographische Entwicklung ein realwirtschaftliches Problem.

Die einzige Methode, sich volkswirtschaftlich auf demographischen Wandel einzustellen ist, die Wirtschaft dazu fit zu machen, dass sie auch zukünftig die benötigten realen Waren und Dienstleistungen produzieren kann. Wenn sie dann dazu in der Lage ist, kann eine souveräne Regierung jederzeit genug Geld ausgeben, um die angebotenen Waren und Dienstleistungen für die Alten auch zu kaufen.

Wenn aber umgekehrt die Realwirtschaft zu schwach aufgestellt ist, dann helfen den zukünftigen Rentnern die größten Sparvermögen nichts. Dann werden diese Sparvermögen nämlich höchstens zu einer Nachfrage beitragen, die in Wettkampf um zu wenige Waren tritt.

Die unweigerliche Folge ist - wenn die Regierung nicht handelt - Inflation, wodurch die Sparvermögen deutlich an Wert verlieren gegenüber dem, was die Sparer sich erhofft haben. Wenn die Regierung handelt, indem sie Steuern erhöht, so kann sie die Inflation zwar verhindern. Irgendjemand leidet dennoch darunter, vermutlich dann eben die arbeitende Bevölkerung, wer weiß - das liegt an der genauen Ausgestaltung der Steuern.

Fakt ist jedenfalls: die demographische Entwicklung kann genau dann bewältigt werden, wenn die Realwirtschaft gut genug dafür aufgestellt ist. Die Finanzen haben damit überhaupt nichts zu tun - sie sind nur ein Werkzeug, mit dessen Hilfe der Output der Realwirtschaft auf die Menschen verteilt wird. Ein souveräner Staat unterliegt im Einsatz dieses Werkzeugs keinen Beschränkungen, wenn denn nur der politische Wille da ist.

Und jetzt kommt die Ironie der Geschichte: wie können wir dafür sorgen, dass die Realwirtschaft gut dasteht? Am besten geht das, indem wir für eine weitgehende Auslastung der Realwirtschaft bei fortlaufendem Wettbewerb sorgen, denn dann sind die Voraussetzungen für Investitionen und Forschung und Entwicklung ideal.

Die geradezu idiotische, wenn nicht gar bösartige, neoliberale Politik (das Komma ist wichtig - oder kennt irgendjemand gutartige neoliberale Politik?) erreicht genau das Gegenteil. Der Sparkurs der Regierungen würgt die Realwirtschaft ab, verschlechtert also unsere Zukunftschancen. Gleichzeitig fördert sie eine private Versicherungswirtschaft, von der nur die Akteure des Finanzmarkts profitieren, um Sparvermögen aufzubauen, die - wenn sie nicht durch Finanzkrisen sowieso zerstört werden - womöglich angesichts einer schwächelnden Realwirtschaft äußerst enttäuschend sein werden.

Und wenn ich gerade dabei bin, auszuteilen: wie kann man nur so dumm und verlogen sein, in einem Land mit 9,8% Arbeitslosenquote das Rentenalter auf 67 Jahre anzuheben - wie es in Frankreich geschehen ist? Dadurch wird das Problem der Arbeitslosigkeit logischerweise nur noch weiter verschärft, weil sich noch mehr Menschen für eine gleichbleibende Anzahl Arbeitsplätze bewerben.

Gleichzeitig werden effektiv dadurch die Renten gekürzt. Gut, man kann eine Rentenkürzung politisch wollen - auch wenn es objektiv gesehen dafür in Frankreich nun überhaupt keinen Grund gibt. Aber dann sollte man wenigstens die Cojones haben, öffentlich dazu zu stehen. Aber daran mangelt es dem Petit Président ganz offensichtlich.

Im Wirtschaftsteil wird es dann nicht unbedingt besser. Auf Seite 21 behauptet Claus Hulverscheidt in "Warum 61 Milliarden Euro wenig Geld sind":

Anschaulicher wird die Situation, wenn man sie auf eine Familie überträgt, die ein Haus gebaut hat und deshalb hoch verschuldet ist. Weil es seinem Unternehmen besser geht als erwartet, erhält der Familienvater überraschend einen Bonus. Was wird er tun? Das Geld im Spielkasino verjubeln? Oder wird er zur Bank gehen und sein Sondertilgungsrecht in Anspruch nehmen, um die drückende monatliche Zinslast wenigstens ein bisschen abzumildern?

Und täglich grüßt die idiotische Analogie von Staatshaushalt und Privathaushalt. Man beachte auch die unglaublich parteiische Nennung des "Spielkasinos". Das ist schon ein sehr dreister Fall von tendenziöser Berichterstattung - man beachte: es handelt sich hier nicht um einen Kommentar, sondern um den Leitartikel des Wirtschaftsteils! - und die einzige brauchbare Botschaft, die darin enthalten ist, ist die ideologische Grundhaltung des Autors.

Es ist nun tatsächlich richtig, dass Deutschland kein souveräner Staat ist und daher - im Gegensatz zu den USA - finanziellen Beschränkungen unterworfen ist. Aber da hört die Analogie auf. Denn die Vorstellung, man könne die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Verhaltens der Bundesregierung einfach so ignorieren ist vollkommen absurd. Die Ausgaben der Bundesregierung stellen einen signifikanten Teil des BIP, und wenn diese Ausgaben steigen oder sinken ist dies ein unübersehbares Signal an die Wirtschaft zu wachsen bzw. zu schrumpfen. Das ist der Grund, weshalb jeder klar denkende Mensch zu dem Schluss kommt, dass sich eine Regierung antizyklisch verhalten muss.

Das ist auch der Grund, weshalb die ganzen Sparpakete, die zur Zeit weltweit umgesetzt werden, nach hinten losgehen werden. Die Sparpakete werden die schwächelnde Erholung abwürgen, und am Ende werden die Defizite eher größer als kleiner. Schließlich haben Regierungen keinen nennenswerten Einfluss auf ihre Defizite, die in Wirklichkeit zu einem ganz wesentlichen Teil durch automatische Stabilisatoren - also an die Konjunktur gekoppelte Steuern und Sozialsysteme - bestimmt werden.

Aber bis zu den neoliberalen Hohlköpfen unserer Zeit dringt diese Botschaft nicht.

Eine kleine Notiz am Rande steht auf Seite 23 unter dem Titel "Brüderle ruft 'Dekade der Industrie' aus".

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will sich mehr um die Industrie kümmern. „Der deutschen Industrie dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden“, sagt er bei der Vorstellung eines Grundsatzpapiers aus seinem Hause.

Bei Ex-Kanzler Schröder hat sich das so ähnlich angehört. Was folgte waren viele Jahre der Zerstörung unserer Sozialsysteme und damit indirekt des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Das ist doch mal zukunftsweisendes Denken!

So richtig abartig und ungeil wird's aber erst danach:

Schließlich hätten insbesondere Industrieunternehmen der deutschen Wirtschaft den Weg aus der Krise gebahnt.

Geht's noch? Erstens ist die Krise noch längst nicht vorbei - wobei natürlich auch irgendwie verständlich ist, dass der Jubelrainer seine Augen gegenüber der Realität so lang wie womöglich verschließen will. Zweitens ist die Behauptung, deutsche Industrieunternehmen hätten auch nur einen Finger für die wirtschaftliche Erholung gekrümmt, ein schlechter Witz. Wahr ist, dass die deutsche Wirtschaft extrem exportabhängig ist. Dadurch war der Einsturz bei uns besonders tief, und die vorläufige Erholung naturgemäß auch besonders groß. Aber das ist einfach im ersten Fall Pech und im zweiten Fall Glück, und wenn die Exportwirtschaft, die ursächlich an den strukturellen Problemen Deutschlands Schuld ist, dafür auch noch gelobt wird, dann fehlen einem dafür doch irgendwie die Worte.

Donnerstag, 4. November 2010

Minsky

In "Deutschland, deine Gründer" auf Seite 22 steht über Kredite:

In den meisten Fällen lehnte die Bank einen neu beantragten Kredit ab. Überwiegend haperte es an fehlenden Sicherheiten, mangelnder Bonität oder an eigenem Kapital des Kreditnehmers. Auch wurde häufig an der Rentabilität des Projekts gezweifelt. Die Fachleute sind sich einig darüber, dass diese Finanzierungsschwierigkeiten andauern werden. Licht bezeichnete die hohe Ablehnungsquote der Bankkredite als problematisch. Dieses Niveau sei kaum zu verschlechtern, sagte er. Auch Bretz geht davon aus, dass die Zeiten eines einfachen und günstigen Bankkredits nicht wiederkommen und verwies auf die strengeren Regeln für die Banken, durch die sich Kredite verteuern und Prüfungen der Neuheiten auf Rentabilität verschärfen.

Natürlich werden die Zeiten einfacher Bankkredite wiederkommen. Schließlich wollen Banken Gewinne einfahren, und das können sie nur, indem sie Kredite vergeben.

Die ganze Situation wird deutlich klarer, wenn man sich die Theorie über die Entstehung von Finanzkrisen von Hyman Minsky näher ansieht. Grob zusammengefasst beschreibt er ein von der menschlichen Psychologie getriebenes dynamisches System. In Zeiten von wirtschaftlichen Folgen machen Banken gute Erfahrungen mit Krediten und reduzieren aus Profitgier die Anforderungen, die sie an Kreditnehmer stellen. Dadurch werden wirtschaftliche Entwicklungen weiter erleichtert, neue Erfolge stellen sich ein, und die Anforderungen an Kreditnehmer werden weiter aufgeweicht - bis die Kreditvergabe irgendwann zu locker wird. Dann schnellt auf einmal die Anzahl der faulen Kredite in die Höhe, es kommt zur Krise, und die Banken werden aus gutem Grund sehr, sehr vorsichtig bei der Kreditvergabe.

Erst wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung erholt werden die Banken wieder mutiger und der Zyklus beginnt erneut. Daraus können wir zwei Dinge lernen:

  1. Diese Art von Zyklus wird es immer geben, er folgt zwingend aus der Natur der beteiligten menschlichten Akteure. Regulierung kann diesen Zyklus nicht verhindern, aber sie kann beeinflussen, auf welchem Niveau der Zyklus abläuft und wie tief der Absturz am Ende wird.

  2. Es ist naiv darauf zu hoffen, dass die wirtschaftliche Erholung durch eine Lockerung der Kreditvergabe durch Banken ausgelöst wird. Nur umgekehrt kann es funktionieren: eine initiale wirtschaftliche Erholung von außerhalb kann die Angststarre der Banken lösen und dadurch einen positiven Kreislauf anstoßen.


Woher kann dieser externe Impuls kommen? Der Schlüssel dazu liegt, wie so oft, in der Nachfrage. Niemand will Kredite an Firmen vergeben, für deren Produkte keine Nachfrage existiert. Wenn aber erst einmal die Nachfrage gesichert ist, dann ist auch die Kreditvergabe kein Problem mehr.

Grober Unfug wird auf Seite 23 in "Großinvestoren müssen mehr Aktien kaufen" erzählt:

Ohnehin erwartet der DWS-Manager künftig stärkere Konjunkturschwankungen: „Die Staaten können es sich finanziell nicht mehr leisten, den Abschwung durch Fiskalpolitik abzufedern, ...

Das mag auf Deutschland zutreffen, da Deutschland keine eigene Währung mehr hat. Für Island, Großbritannien, oder die USA trifft es aber nicht zu. Diese Staaten sind in ihrer eigenen Währung souverän und unterliegen daher keinerlei finanziellen Beschränkungen. Wer nicht einmal diese einfache Tatsache versteht, sollte sich mit Investment-Ratschlägen besser zurückhalten.

Freitag, 29. Oktober 2010

Ceterum censeo

Nach gestrigem sehr impulsiven und frustrierten Kommentar heute einfach Back to the Basics. Aus Seite 19 analysiert Nikolaus Piper im Kommentar "Neues Spiel in Washington" die kommenden Wahlen in den USA aus seiner Perspektive. Dabei behauptet er:

Außerdem lassen sich die Haushaltsprobleme der USA ohne Steuererhöhungen auf mittlere Sicht kaum lösen.

Die US-Bundesregierung hat keine Haushaltsprobleme. Die US-Bundesregierung ist geldtechnisch souverän und finanziert ihre Ausgaben daher weder aus Schulden noch aus Steuern. Insbesondere der Punkt mit den Staatsschulden ist wichtig, daher wiederhole ich ihn mal wieder.

Funktional sind die Schulden der US-Regierung einfach Sparguthaben von Anlegern in einem Sparkonto bei der Regierung. Diese Schulden zurückzuzahlen bedeutet für die Regierung nichts anderes, als das Guthaben von dem Sparkonto auf ein Tagesgeldkonto bei der Fed zu überweisen. Das sind einfach nur Zahlenverschiebungen in einem Computersystem und daher vollkommen unproblematisch.

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive könnte man sich höchstens über die Zinszahlungen für diese Schulden Gedanken machen. Dabei muss man sich aber klarmachen, dass die US-Regierung jederzeit beschließen könnte, ihre Zinszahlungen zu beenden. Sie müsste dazu lediglich alle existierenden Treasury Bonds auslaufen lassen ohne neue Bonds auszugeben.

Das Geld würde dann eben auf Tagesgeldkonten bleiben.

Volkswirtschaftliche Auswirkungen hätte das vermutlich schon, es könnte z.B. kurzfristig die Preise von klassischen Investitionsgütern wie z.B. Immobilien hochtreiben. Ob das schlecht ist oder nicht muss man von Fall zu Fall aus politischen Gesichtspunkten abwägen.

Wichtig ist aber, dass Nikolaus Piper hier einen Mythos verbreitet. Die Wahrheit ist, dass die US-Bundesregierung kein Haushaltsproblem hat. Außerdem ist es unsinnig, die Höhe von Steuern von finanziellen Überlegungen abhängig zu machen; die Höhe von Steuern sollte nur von realwirtschaftlichen Überlegungen abhängen, und die Art der Steuern sollte genutzt werden um, nun ja, zu steuern.

Zum systematischen Betrug der Bundesbürger in Sachen Vollbeschäftigung trägt auf der gleichen Seite der Artikel "Vollbeschäftigung frühestens 2020" bei:

Die Nürnberger Bundesagentur dämpft demgegenüber die Euphorie. Frühestens 2020 werde es Vollbeschäftigung in Deutschland geben, sagte Weise am Donnerstag. Was hieße: eine dauerhafte Arbeitslosenquote zwischen drei und vier Prozent.

Diese Definition von Vollbeschäftigung ist ein dreister Fall von politisch-ideologischer Manipulation. In der Bundesrepublik und in vielen anderen westlichen Staaten gab es eine 15-jährige oder längere Phase der Vollbeschäftigung in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die Arbeitslosigkeit lag damals (nahezu) konsistent unter 2%. Das war Vollbeschäftigung - accept no substitutes.

Übrigens: Damals wurde die Arbeitslosenquote auch noch nicht so effizient schöngerechnet wie heutzutage - war ja politisch auch gar nicht nötig, da es echte Vollbeschäftigung gab. Auf einige dieser Schönfärbereien macht der Artikel auch aufmerksam, und man muss ja auch loben, wo Lob angemessen ist:

Hinzu kommt, dass 1,15 Millionen Menschen im Oktober statistisch nicht als arbeitslos erfasst wurden, obwohl sie eine Beschäftigung suchen. Das sind Erwerbslose über 58 Jahren, Ein-Euro-Jobber oder Menschen, die gerade in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme stecken. Die meisten von ihnen wollen über kurz oder lang aber wieder auf den Arbeitsmarkt. Vor allem aber sind da jene Menschen, deren Chancen immer kleiner zu werden scheinen.

Auch ist die BA die einzige offizielle Institution, die einen halbwegs realistischen Blick auf die Gefahren für die Konjunktur, die sich weltweit zusammenbrauen, hat. Und noch etwas:

Es fehlt an Jobs für Geringqualifizierte. Das sind aber die meisten der 800 000 Menschen, die derzeit nach Angabe von BA-Vorstand Heinrich Alt länger als ein Jahr und damit langzeitarbeitslos sind. „Wir brauchen gute Ideen für diese Menschen“, sagte Alt. Viele von ihnen hätten Suchtprobleme, Schulden, keine Ausbildung oder andere soziale Defizite. „Ich löse kein Suchtproblem, indem ich jemanden weiterbilde“, sagte Alt. „Da muss vorher etwas passieren.“

Eine solche gute Idee ist eine Jobgarantie. Das Problem, in dem sich die genannten Menschen wiederfinden ist, dass sie wegen ihrer Probleme vom privaten Sektor keinen Job bekommen. Ein echter Job wäre aber der beste Weg, um ihre Probleme zu lösen. Ein typischer Fall von Teufelskreis, der vom Staat aufgebrochen werden sollte. Auch das ist eine wichtige Motivation für die Jobgarantie.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Der Untergang der Europäischen Union

Wenn im nächsten Jahrtausend Historiker nach den Ursachen des Zusammenbruchs der Europäischen Union forschen werden, könnte die Seite 2 der heutigen SZ eine ergiebige Quelle sein. Dort wird über die Verhandlungen zu neuen Regeln im Stabilitätspakt berichtet.

Normalerweise suche ich mir einzelne Zitate aus Artikeln heraus um die darin zu findenden Denkfehler aufzuzeigen und zu erklären. Das ist hier schwierig, weil einfach hinten und vorne nichts stimmt an der Sichtweise von Politik und Medien auf die aktuelle wirtschaftliche Lage. Deswegen hole ich etwas weiter aus.

Was wir zur Zeit erleben ist im Wesentlichen eine Wiederholung des Beginns der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Damals hat ein Crash der Finanzmärkte die reale Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, und die Regierungen haben ziemlich herumgeeiert trotz der mahnenden Worte von Keynes. Sobald einzelne Regierung eine expansive Fiskalpolitik betrieben haben, hat sich die Situation verbessert - aber getrieben von der Angst vor Staatsschulden haben zum Beispiel die USA gegen Ende der 1930er Jahren wieder auf eine massiv kontrahierende Politik gesetzt in Form von Sparpaketen, wie wir sie auch heute wieder sehen. Die Folge war, dass die Wirtschaftsleistung wieder gefallen und die Arbeitslosenzahlen gestiegen sind. Erst mit der unausweichlichen Ankurbelung der Nachfrage durch den Zweiten Weltkrieg wurde die Weltwirtschaftskrise endgültig überwunden.

Auch 2007 gab es eine Krise an den Finanzmärkten - die übrigens von Vertretern von Modern Monetary Theory vorhergesehen wurde - die auf die reale Wirtschaft übergesprungen ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht so beeindruckend groß ist wie in den 1930er Jahren verdanken wir im Wesentlichen der Tatsache, dass unsere Staaten heute einen deutlich größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen, dass starke soziale Sicherungssysteme dafür sorgen, dass die Gesamtnachfrage nicht zu stark fällt, und dass die Verwaltungen besser im FälschenBeschönigen von Statistiken geworden sind.

Die diversen Stimuluspakete, die umgesetzt wurden, haben auch geholfen - aber zu glauben, dass der Spuk schon vorbei wäre und man jetzt die Bremse in Form von Sparpaketen ziehen könnte ist so unglaublich dumm, dass es mir die Sprache verschlägt. Wenn unsere Regierungen nicht bald umdenken, steht uns zumindest eine neue Europawirtschaftskrise bevor, an der sowohl der Euro als auch schlimmstenfalls die EU zerbrechen könnte.

Wie gesagt: die letzte Wirtschaftskrise dieser Größenordnung konnte wegen der Dummheit der beteiligten Regierungen nur durch einen Weltkrieg beendet werden. Ich hoffe sehr, dass dieser Kelch dieses Mal an uns vorbeigeht.

Was hat das alles nun mit dem Stabilitätspakt der Euro-Zone zu tun?

Man muss sich zunächst einmal klar machen, dass die Regelungen des Stabilitätspakts frei erfunden sind und keinerlei vernünftige volkswirtschaftliche Begründung haben. Ein Defizit von 3% des BIP, ein Schuldenstand von 60% des BIP, diese Zahlen fallen einfach vom Himmel und sind frei jeglicher Bedeutung.

Außerdem muss man sich klar machen, dass eine Regierung keine Kontrolle über ihr Haushaltsdefizit hat. Das Defizit wird ganz wesentlich durch sogenannte automatische Stabilisatoren bestimmt: in einem Abschwung sinken die Steuereinnahmen von ganz alleine, und die Staatsausgaben steigen von ganz alleine. Geht es der Wirtschaft wieder besser, wie zur Zeit in Deutschland, so tritt der umgekehrte Effekt ein und das Haushaltsdefizit sinkt - ganz ohne, dass die Regierung auch nur einen Finger krümmt.

Es ist geradezu kafkaesk, Länder mit hohem Defizit dafür zu bestrafen. Noch verrückter ist, dies mit einer Geldstrafe zu tun: dadurch werden dem Land die Mittel genommen, mit der es seine Wirtschaft wieder in Gang bringen könnte. Eine Abwärtsspirale ist also vorprogrammiert.

Aber dann kommt die Stelle, an der ich doch auf ein Zitat Bezug nehmen kann:

Seitdem die Finanzkrise über die EU gekommen ist, sind die Bürger mit Begriffen wie Rettungsschirm, Stabilitätspakt und Krisenmechanismus konfrontiert und verstehen eigentlich nur, dass sie am Ende die Rechnung begleichen müssen.

Das ist falsch.

Es ist unsinnig, dass der Rettungsschirm für Griechenland von den Euro-Staaten getragen wird. Die Beteiligung des IWF ist noch absurder und zeigt einmal mehr, dass unsere Politiker die Funktionsweise eines Fiat-Systems nicht verstehen (wollen).

Der Rettungsschirm für Griechenland könnte einfach von der Europäischen Zentralbank getragen werden. Mit einem einfachen Eintrag in ihre Computersysteme könnten sie Griechenland von allen Sorgen befreien. Kein einziger EU-Bürger und keine EU-Regierung müsste einen Cent hergeben.

Falls man sich Sorgen darüber macht, dass ein solches Vorgehen unsauberes Wirtschaften seitens Regierungen fördern würde, dann könnte die Europäische Zentralbank stattdessen einfach jedem Euro-Staat eine feste Pro-Kopf-Summe zuweisen, sagen wir 5000€ pro Bürger.

Um die dadurch entstehenden Reserven wieder aus dem System zu entfernen, könnte die EZB eigene Schuldscheine herausgeben - quasi EZB-Anleihen.

Das wäre ein erster Schritt hin zu eine Euro-weiten Wirtschaftspolitik, dem die Einrichtung einer echten Euro-Regierung, kontrolliert durch das Europäische Parlament, möglichst schnell folgen sollte. Das klingt radikal, aber in Wirklichkeit ist es einfach ganz pragmatische progressive Politik - und nebenbei der einzige Weg, die Euro-Zone vor einer sehr langen Krise mit vermutlich fatalen Folgen zu bewahren.

Darum sehen die Berliner Pläne im Kern vor, dass bei einem faktischen Staatsbankrott wie in Griechenland erst einmal die Gläubiger, also die Finanzinvestoren, zur Kasse gebeten und europäische Mittel nur „ergänzend“ geleistet werden.

Die Inhaber von Staatsanleihen als "Finanzinvestoren" zu bezeichnen ist auch ein schöner Fall von Volksverdummung. Staatsanleihen werden nicht nur, aber zum großen Teil von institutionellen Anlegern wir Versicherungen und Altersvorsorge gehalten - eben weil sie prinzipiell sicher sind.

Die Bundesregierung will hier also anderen Euro-Ländern zuerst die Fähigkeit nehmen, für ihre eigenen Bürger zu sorgen (indem sie diesen einen harten Sparkurs aufzwingt), und als nächstes will sie dann auch noch die private Absicherung dieser Bürger zerschießen.

Und das einmal ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit der Insolvenz eines Euro-Staates nur zur Folge haben wird, dass Anleger noch stärker in Richtung der vermeintlich sichereren Staatsanleihen drängen werden. Mit anderen Worten, die Zinsrate von deutschen Bundesanleihen wird weiter sinken - und die Bundesregierung kann sich dafür auf die Schulter klopfen - während die Zinskonditionen für Staaten wie Griechenland und Irland noch schlechter werden.

Es ist geradezu unglaublich. Ich schäme mich, dass mein Land eine solche Politik vertritt.

Auf der anderen Seite besteht zumindest in dieser Hinsicht die Hoffnung, dass irgendjemand aus den betroffenen Staaten das abgekartete Spiel als solches erkennt und sich gegenüber den deutschen Forderungen eine unüberwindbare Front bildet. Allerdings ist nicht erkennbar, dass konstruktive Gegenvorschläge wie die oben genannten kommen werden. Alles in allem sieht die Situation also trotzdem düster aus.

Kleine Nachbemerkung: Angesichts der aktuell recht stabilen politischen Lage habe ich persönlich nicht das Gefühl, dass es zu einem Knall mit Weltkrieg kommen wird - auch im Falle einer langfristigen Wirtschaftskrise. Viel wahrscheinlicher erscheint mir ein schleichendes Dahinsiechen, an dessen Ende - vielleicht in hundert, vielleicht in zweihundert Jahren - niemand mehr so richtig erklären kann, warum eigentlich alles zugrunde ging. Der Vergleich mit dem Römischen Reich drängt sich geradezu auf.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Meister Unsinn

Einer der schlimmsten Volksverdummer kommt heute mal wieder zu Wort, auf Seite 19 im Artikel "Ifo-Chef gegen Lohnplus":

Der Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hat trotz des rasanten Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland vor raschen Lohnerhöhungen gewarnt.
[...]
Der Wirtschaft insgesamt könne das [...] schaden. Der derzeitige Aufschwung werde vor allem durch die Binnennachfrage getragen, die vor allem von den Investitionen der Firmen lebe. „Diese Binnennachfrage würde man kaputt machen“, warnte Sinn.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Warum investieren deutsche Firmen? Wenn man Investitionen haben will, die durch steigenden Konsum und damit steigenden Lebensstandard motiviert sind, dann wären Lohnerhöhungen genau das Richtige, um hier eine positive Spirale des Aufschwungs einzuleiten. Lohnerhöhungen fördern Nachfrage fördern Investition - ganz einfach. In Wirklichkeit sind die Investitionen, die hier stattfinden und kurzerhand als "Binnennachfrage" bezeichnet werden, selbst nicht durch Binnennachfrage motiviert, sondern durch Nachfrage aus dem Ausland.

Nochmal ganz deutlich: die stattfindenen Investitionen sind zu einem sehr großen Teil durch steigende Auslandsnachfrage motiviert. Dabei von Binnennachfrage zu sprechen ist also zynisch und ein leicht durchschaubarer Fall von Wortverdrehung à la 1984 mit dem klaren Ziel, die berechtigte Kritik die von Christine Lagarde, Paul Krugman und anderen an der deutschen Wirtschaftspolitik geäußert wird, einfach so wegzuwischen.

Dabei ist offensichtlich, dass diese Art der "Binnennachfrage" genauso exportabhängig ist wie der Export selbst. Wenn nächstes Jahr die weltweiten Sparpakete anfangen zu greifen, wird es da sehr schnell zappenduster aussehen.

Die richtige Reaktion in der jetzigen Situation wäre also tatsächlich, die momentan gute Ausgangslage in Deutschland beim Schopf zu greifen um sehr, sehr deutliche Lohnerhöhungen durchzusetzen um mit dem Rest von Europa gleichzuziehen. Die folgende Wiederbelebung des (echten) Binnenmarktes könnte - mit etwas Glück - den durch die weltweiten Sparpakete zu erwartenden Kollaps zumindest in Deutschland etwas dämpfen.

Gleichzeitig könnten wir dadurch endlich einmal davon profitieren, dass wir über viele Jahre hinweg wie die Deppen Güter ins Ausland geschickt haben ohne irgendwas Greifbares dafür zu bekommen.

Montag, 25. Oktober 2010

Beton

Auf Seite 23 wird in "Gefährliches Ungleichgewicht" praktisch Unmögliches gefordert:

Führende Ökonomen halten die Glaubwürdigkeit des Euro für „gefährdet“ und warnen vor einer weiteren Belastung der gemeinsamen Währung durch eine verwässerte Reform des EU-Stabilitätspaktes.
[...]
Nötig sei es, staatliche und private Schulden abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen.

Rein buchhalterisch ist der Euro-Kreislauf geschlossen. Wenn die Euro-Staaten ihre Schulden abbauen wollen, dann muss dafür rein rechnerisch netto irgendwoher Geld kommen. Wenn der private Sektor seine Schulden abbauen will, dann muss dafür rein rechnerisch netto irgendwoher Geld kommen.

Aber woher könnte das Geld denn kommen? Es bleibt nur der Rest der Welt übrig. Sowohl staatliche als auch private Schulden gleichzeitig abzubauen ist rein rechnerisch nur möglich, wenn ein Exportüberschuss erreicht wird. Das ist keine volkswirtschaftliche Theorie sondern unausweichliche buchhalterische Realität.

Nur: zur Zeit versuchen ja selbst die USA, die bisher fröhlich Exporte aller Länder aufgesaugt haben, ihre Importe zu verringern bzw. mehr zu exportieren. Es ist schlicht unmöglich, dass alle Staaten gleichzeitig einen Exportüberschuss aufweisen. Egal wie "wettbewerbsfähig" die Volkswirtschaften weltweit sind: solange sich niemand findet, der die Exporte aufsaugt, ist ein Exportüberschuss unmöglich. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Exportüberschuss nichts anderes bedeutet, als reale Güter und Dienstleistungen ins Ausland zu schicken ohne einen realen Gegenwert zu erhalten, und daher ohnehin keine besonders kluge Politik ist.

In ihrem Wahn drängen die selbsternannten Experten - Scharlatane wäre ein besseres Wort - darauf, brutale Lohnsenkungen durchzudrücken, und zwar weltweit. Die Folge ist eine vollkommen unnötige Abwärtsspirale, an deren Ende wir alle mit einem niedrigeren realen Lebensstandard dastehen werden.

Tatsache ist, dass die Staatsschulden der Euro-Länder weitgehend egal wären, wenn die Euro-Länder die EZB dazu bringen würden, für die Schulden zu garantieren. Dann wäre auch ein Abbau der privaten Schulden und ein Aufbau privaten Vermögens möglich - denn rein buchhalterisch stehen Staatsschulden zwangsläufig private Vermögen gegenüber. Aber die neoliberalen Betonköpfe auf allen Ebenen zerstören viel zu gerne, als dass sie konstruktive Politik zulassen würden.

Freitag, 22. Oktober 2010

Renten, Wechselkurse, und das Euro-System

Über Schulhofdramen in der großen Politik wird heute auf Seite 1 im Artikel "Westerwelle fühlt sich von Merkel übergangen" berichtet.

Der FDP-Chef sagte, um die Existenz des Euro dauerhaft zu sichern, sei „ein Stabilitätspakt mit Autorität, mit Durchsetzungskraft“ vonnöten. Dazu gehört nach seinem Dafürhalten, dass EU-Staaten mit zu großen Haushaltslöchern künftig automatisch mit Geldstrafen belegt werden und Kungeleien der Defizitsünder untereinander nicht mehr möglich sind.

Wie wäre es mit einem Gedankenspiel: Deutschland vor dem Euro, aber ohne Bundesregierung und ohne Länderfinanzausgleich. Das ist so ziemlich genau die Situation der Euro-Zone heutzutage. In diesem Gedankenspiel wäre Bayern ungefähr in der Position von Deutschland, und Griechenland in der Situation von Bremen. Würde ernsthaft jemand argumentieren, automatische Geldstrafen einzuführen?

Nein, viel vernünftiger ist ein geregelter Finanzausgleich, da in einem solchen System die Krisenanfälligkeit vorprogrammiert ist - die Regierungen trifft da gar nicht unbedingt eine Schuld. Solange die Regierungen ein Defizit über die Aufnahme von Schulden finanzieren müssen, konkurrieren sie gegeneinander in einem zwangsläufigen Nullsummenspiel. Wenn ein Land erfolgreich auch nur ein wenig mehr Schulden aufnimmt als es eigentlich müsste (was aus einzelwirtschaftlicher Sichtweise sinnvoll ist, da es sich dadurch für die Zukunft absichern kann), dann bedeutet das zwangsläufig, dass ein anderes Land bei der Aufnahme von Schulden in Schwierigkeiten gerät - unabhängig davon, wie umsichtig es wirtschaftet.

Damit stürzt dieses Land ohne eigenes Verschulden in eine Abwärtsspirale: das Vertrauen der Geldgeber in die Sicherheit der Schuldpapiere des Landes sinkt, weshalb es höhere Zinsen bezahlen muss, was es natürlich in eine noch schwierigere Situation bringt. Zudem wird der Regierung damit in einer Rezession verwehrt, eine effektive anti-zyklische Politik umzusetzen, wodurch sich die ganze Situation noch weiter verschärft.

Diese Instabilität ist fest im Euro-System verankert und kann nur durch eine grundlegende Veränderung der Spielregeln repariert werden. Das mikroökonomische Denken unserer Politiker ist dabei leider wenig hilfreich:

Außerdem habe Merkel Sarkozy im Gegenzug das Zugeständnis abgerungen, dass beide Länder gemeinsam dafür eintreten, ein Insolvenzrecht für Staaten einzuführen. Dies sei für die Stabilität des Euro viel bedeutender, schone die Steuerzahler in der EU und nehme stattdessen
die Krisengewinner in die Pflicht.

Ginge es wirklich um die "Schonung der Steuerzahler", dann müsste die Politik die EZB darauf drängen, für die Schulden der Euro-Staaten garantieren. Nur so kann es Staaten wie Irland und Griechenland wirksam gelingen, ihre Zinszahlungen - die letztendlich nichts weiter als eine massive Umverteilung zu Gunsten von Wohlhabenden sind - wieder zu reduzieren.

Zudem ist ein Insolvenzrecht genau die falsche Richtung. Es würde die Aufgabe von Souveränität der Mitgliedsstaaten weiter zementieren, ohne gleichzeitig auf Euro-Ebene eine souveräne Regierung zu etablieren.

Dabei kann die Stabilität der Euro-Zone nur durch eine handlungsfähige souveräne Regierung gewährleistet werden: entweder durch die Stärkung der Souveränität der Mitgliedsstaaten, oder durch Schaffung einer neuen souveränen Regierung auf Euro-Ebene.

Halbwegs erfreut war ich über den Kommentar "Seehofers Tabubruch" auf der Meinungsseite, denn er benennt endlich einmal viele der Kritikpunkte an der Rente mit 67, zum Beispiel:

Nötig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, welche Chancen ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben. Und hier sieht es teilweise noch düster aus: Obwohl viele Unternehmen verstärkt Ältere einsetzen, hat nur ein Viertel der 60- bis unter 65-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job.

Danach geht es aber leider mit den ewig gleichen neoliberalen Floskeln weiter:

Die Unternehmen sollten deshalb noch mehr für die Weiterbildung und Förderung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun.

Nichts gegen Weiterbildung und Gesundheitsmaßnahmen. Aber diese Maßnahmen lösen das eigentliche Problem nicht: es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze! Solange Deutschland eine so enorm hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung hat, ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, die Menschen so lange arbeiten zu lassen. Lasst sie in Ehren ergrauen, denn verdient haben sie es, und ganz offensichtlich werden sie im regulären privaten Arbeitsmarkt nicht unbedingt gebraucht.

Sollte irgendwann in der Zukunft einmal wieder Vollbeschäftigung erreicht werden (d.h. unter 2% Arbeitslosigkeit ohne Unterbeschäftigung), und die vorhandene Arbeitskraft nicht zur Versorgung aller Menschen in Deutschland mehr ausreichen, dann kann man darüber nachdenken, das Rentenalter anzuheben. Aber erst dann - vorher ist das höhere Rentenalter nichts anderes als ein politisches Werkzeug um versteckt die Renten zu kürzen und um die Arbeitslosenquote zu vergrößern.

Nachdenklich stimmen sollte auf Seite 19 so manches im Artikel "Atempause im Währungsstreit":

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle [FDP] [...] werde beim Treffen in Südkorea drauf dringen, dass die Wechselkurse die ökonomischen Fundamentaldaten widerspiegeln müssten.

Zur Erinnerung: die FDP, das ist die Partei, die immer sagt, man müssen den Markt alles regeln lassen. Und einer deren Spitzenleute behauptet jetzt de facto, man müsse die Wechselkurse explizit steuern, anstatt einfach den Markt machen zu lassen. Also, wem das nicht sauer aufstößt...

Tatsache ist, dass es irreführend ist zu behaupten, der Yuan, um den es hauptsächlich geht, sei unterbewertet. Zu Zeiten von Bretton Woods, oder auch im EWS - siehe die Geschichte zum Black Wednesday - hatte man sich politisch auf feste Wechselkurse geeinigt, die irgendwann die Realität des Marktes nicht mehr widergespiegelt haben - und dementsprechen unter- oder überbewertet waren.

Heute gibt es aber keinen festen Wechselkurs zwischen Yuan und US$. Der Wechselkurs reflektiert einfach den relativen Preis der Währungen auf dem Weltmarkt, und da die chinesische und übrigens auch andere Regierungen - aus welchen Gründen auch immer - gerne in US$ sparen anstatt sich mit ihren US$ amerikanische Güter zu kaufen, bleibt der US$ im Vergleich teuer. Das ist ganz normales Marktverhalten.

Die US-Regierung könnte sich einfach darüber freuen, dass die Chinesen ihnen ihre Waren schicken wollen, und könnte mittels vernünftiger Fiskalpolitik dafür sorgen, dass die US-Bürger sowohl die von China produzierten Waren als auch in den USA produzierte Güter und Dienstleistungen genießen können. Stattdessen setzt sie auf kontraproduktives Säbelrasseln und lässt nebenbei die eigene Bevölkerung verarmen. Meine Güte.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Würden sie nur ihrem eigenen Rat folgen...

Marc Beise lobt heute in seinem Kommentar "Die andere Koalition" auf Seite 19 das Sparprogramm der britischen Regierung in den Himmel. Was ich davon halte, habe ich schon des öfteren geschrieben. Wenn die Regierung einfach so mal eine halbe Million Menschen entlässt und auf einen die Wirtschaft noch stärker kontrahierenden Kurs schwenkt, dann wird es wohl bald mindestens eine halbe Million Arbeitslose mehr geben. Es ist zum Heulen. Und dann schreibt dieser Mensch das hier:

Das britische Experiment verdient es, in den kommenden Wochen und Monaten aufmerksam beobachtet zu werden.

Stimmt. Wenn nächstes Jahr die inzwischen fast unausweichlichen Hiobs-Botschaften aus Großbritannien kommen, sollte man diese in der Tat aufmerksam beobachten. Ob dann auch Marc Beise endlich kapiert, wie Volkswirtschaften funktionieren? Irgendwie bezweifle ich es.

Montag, 18. Oktober 2010

Inselunsinn

Andreas Oldags Kommentar "Spardiktat mit Risiken" auf Seite 17 offenbart wieder einmal, dass von der SZ-Wirtschaftsredaktion bis in die britische Regierung die Grundlagen von Modern Monetary Theory nicht verstanden werden.

Schatzkanzler George Osborne und Regierungschef David Cameron wissen, dass es für die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU kaum eine Alternative gibt. Die horrenden Staatsschulden, die sich infolge der Wirtschaftskrise sowie teuerer Banken-Hilfen unter der früheren Labour-Regierung angehäuft haben, müssen gekappt werden. Andernfalls droht den Briten eine Abstrafung durch die internationalen Finanz- und Kapitalmärkte mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des Pfund Sterling. Eine Erfahrung, die das ungleich kleinere Euro-Mitglied Irland gerade macht und dabei erkennen muss, wie rasch ganze Volkswirtschaften unter die Guillotine des Marktes geraten können.

Der Vergleich mit Irland ist grober Unfug. Irland ist als Mitglied der Euro-Zone kein souveräner Staat und muss sich deshalb durch Steuern bzw. Staatsschulden finanzieren. Großbritannien ist kein Euro-Mitglied sondern ein souveräner Staat und kann deshalb nicht in Finanzierungsschwierigkeiten geraten. Wenn die ach so bösen "internationalen Finanz- und Kapitalmärkte" keine Schuldscheine der britischen Regierung mehr kaufen wollen, dann kann ihr das herzlich egal sein.

Aber da war doch noch was? Ach ja, die Angst vor den bösen Währungsspekulanten:

Den Briten sitzt dabei auch noch immer der „schwarze Mittwoch“, jener 16. September 1992, im Nacken. Damals gelang es dem US-Milliardär George Soros mit Wetten gegen das Pfund, die Währung in einen Abwertungsstrudel zu treiben und Stützungsaktionen der Bank of England zu durchkreuzen. Sie musste daraufhin das Pfund aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) herausnehmen.

Der letzte Satz ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was damals passiert ist. Mit dem Beitritt zum EWS hat Großbritannien das Pfund zu einem festen Wechselkurs an andere europäische Währungen gebunden. Das hat dazu geführt, dass sich der Wechselkurs des Pfund nicht mehr angemessen für die relative wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Staaten frei bewegen konnte. Tatsächlich war das Pfund bereits lange unterbewertet, bevor Soros und andere ihre Spekulation durchgeführt haben - nur deshalb konnte die "Spekulationsattacke" von Soros überhaupt erfolgreich sein: sie hat die Abwertung des Pfunds höchstens zeitlich vorverlegt.

Da das Pfund heutzutage frei gehandelt wird, besteht diese Gefahr für Großbritannien nicht mehr in dieser Form. Auch wenn richtig ist, dass große Devisenhändler durch ihre Transaktionen die Wechselkurse vorübergehend beeinflussen können, so ist es immer noch grober Unfug, das mit dem Haushaltsdefizit oder den Staatsschulden in irgendeiner Weise in Verbindung zu bringen. Solange sich die Regierung nur in Pfund und nicht in ausländischen Währungen verschuldet, besteht durch solche Wechselkursschwankungen keine Gefahr.

Die Lehre, die aus dieser Geschichte gezogen werden sollte ist, dass es für Staaten tödlich sein kann, ihre Währung an die Währung anderer Staaten zu koppeln. Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür ist die Argentinien-Krise, die ganz wesentlich dadurch entstanden ist, dass Argentinien den Peso an den US$ gekoppelt hat.

Ach, und was die britische Sparwut angeht: angesichts der weltweiten Sparwut schneiden sich die Briten - genau wie alle anderen - hier nur ins eigene Fleisch. Das Traurige daran ist, dass die ohnmächtigen, ärmeren Teile der Bevölkerung unter dieser Fehlentscheidung am meisten leiden werden.

Enttäuschend ist der Artikel "Ohne Sitzblockaden" auf Seite 19. Es ist erstaunlich, wie penetrant die Proteste gegen Stuttgart 21 als reines "Dagegen!" porträtiert werden. Dabei wird vollkommen ignoriert, dass Stuttgart 21 nun wirklich nichts ist, auf das man als Deutscher guten Gewissens stolz sein kann - wegen massiver Planungsmängel, zu deren Aufklärung die Medien eigentlich beitragen müssten.

P.S.: Hier noch kurz der Hinweis auf "Kein Schutzschirm für Reiche mehr" auf Seite 19, in dem geschildert wird, wie in Frankreich die Menschen belogen wurden um Geschenke des Staates für Reiche durchzuboxen. Ach, wie schön wäre es, wenn die deutschen Medien darüber aufklären würden, wie die Menschen in Deutschland belogen werden, um Geschenke an die Reichen durchzuboxen...

Freitag, 15. Oktober 2010

Monetaristisches Absurdistan

Im Artikel "Chinesische Verhältnisse" auf Seite 17 widmet sich die SZ dem Herbstgutachten. Im Grunde ist bereits die Überschrift absurd, wenn man das Wirtschaftswachstum von China mit dem Deutschlands vergleicht. Abgesehen davon sind chinesische Verhältnisse ja auch nicht unbedingt erstrebenswert. Dann steht dort zu Zinsen und der wirtschaftlichen Entwicklung:

Glaubt man den Wirtschaftsforschern, so hat die Europäische Zentralbank einen großen Anteil am ungewöhnlich dynamischen Aufschwung in Deutschland. Weil sich der Zinssatz an den Wirtschaftsdaten des Euroraums insgesamt orientiert, liegt das aktuelle Zinsniveau für den Wachstumsprimus Bundesrepublik deutlich unter dem angemessenen Niveau. Das deutsche Wachstum wird dadurch über dass notwendige Maß hinaus stimuliert. Für andere Länder wie zum Beispiel Spanien und Griechenland ist das Zinsniveau hingegen noch viel zu hoch.

Dazu gibt es verschiedenes zu sagen:

  1. Der Leitzins der EZB ist zur Zeit bei 1,0%. Wie viel tiefer muss der Zins noch sinken, bis die Mainstream-Ökonomen einsehen, dass Geldpolitik nur begrenzt wirkfähig ist? Glauben diese Leute ernsthaft, ein niedrigerer Leitzins würde Spanien und Griechenland helfen? Wenn ja, warum wird der Leitzins dann nicht gesenkt?

    Zudem hat der Artikel zwei Sätze später überhaupt kein Problem damit, dass vor ein paar Jahren noch bei deutlich höheren Zinsen einerseits Deutschland gebremst, aber genau die Länder trotz noch höherer Zinsen geboomt haben, die heute unter den hohen Zinsen angeblich so leiden. Die Geschichten, die da erzählt werden, verändern sich so schnell wie die Propagandalinie des Wahrheitsministeriums in 1984.

    Der Hintergrund dabei ist allerdings einigermaßen klar. In Wirklichkeit ist die Geldpolitik nämlich ein sehr stumpfes Instrument.

    Von niedrigen Zinsen profitieren Kreditnehmer, während Kreditgeber darunter leiden. Wie sich niedrigere Zinsen insgesamt auf die Wirtschaft auswirken hängt daher ganz stark davon ab, wie diese beiden gegenteiligen Effekte verteilt sind. Das kann von Land zu Land und von Situation zu Situation verschieden sein, und genau darin liegt eine riesige Schwäche der Geldpolitik.

    Die Politik muss endlich einsehen, dass sie sich nicht immer nur auf Geldpolitik verlassen kann.

  2. Es ist schön, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgeht. Aber die Unterbeschäftigung liegt immer noch deutlich über 4 Millionen (präzise aktuelle Daten liegen nur bis März 2010 vor, aber die Unterbeschäftigung im September 2010 liegt sogar ohne Berücksichtigung von Kurzarbeit über dieser Grenze). Und selbst wenn man nur die zählt, die überhaupt keine Arbeit finden, kommt man noch auf über 3 Millionen Menschen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund davon zu sprechen, dass über das notwendige Maß stimuliert wird, ist einfach nur zynisch.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Ökologie und die Ursachen der Krise

In der heutigen SZ schreibt Andreas Kraemer vom Ecologic Institute auf Seite 22 in "Falsche Maßstäbe":

In künftigen Schulbüchern wird diese Weltwirtschaftskrise einen wichtigen Platz einnehmen als die erste, die durch Knappheit natürlicher Rohstoffe, vor allem bei Öl und Gas, ausgelöst wurde.

Ich hoffe, dass künftige Schulbücher die Ursachen der Krise korrekt wiedergeben werden, denn das würde zur einer allgemeinen volkswirtschaftlichen Aufklärung beitragen, von der auch dieser Autor profitieren könnte.

Die These von Kraemer ist nämlich verlockend, aber falsch. Sie ist verlockend angesichts eines flüchtigen Blicks auf den Ölpreis, der kurz vor der Krise einen irrwitzigen Höhepunkt erreicht hatte.

Aber zu viel ist an dieser These unstimmig. Der Ölpreis leidet ganz offensichtlich einfach nur unter Spekulation, schließlich ist er schon lange wieder auf Vorkrisenniveau. Und bei einer Krise, die durch Versorgungsengpässe entsteht, müssten die Preise steigen - gerade wenn ein so grundlegender Rohstoff wie Öl knapp wird. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil: lange Zeit standen die Zeichen auf Deflation, und diese Gefahr ist auch bei weitem noch nicht aus der Welt.

Wodurch ist die Krise wirklich ausgelöst worden? Kurz gesagt durch eine globale Überschuldung privater Haushalte und den darauf folgenden Zusammenbruch der weltweiten Nachfrage. Eine ausführlichere Analyse findet ihr hier.

Der Artikel ist um so enttäuschender, als unsere Abhängigkeit von Öl tatsächlich ein massives Problem ist. Wir müssen das in den Griff bekommen, ganz unabhängig davon ob die Wirtschaftskrise nun dadurch ausgelöst wurde oder nicht. Es gibt so viele gute Argumente für eine Reduktion des Ölverbrauchs, dass man ihnen nicht auch noch schlechte Argumente hinzufügen sollte - dadurch untergräbt man nur die eigene Glaubwürdigkeit.