Dienstag, 21. Dezember 2010

Über Steuern und die Rückzahlung von Staatsschulden

Heute tauche ich mal wieder kurz aus der Pause auf um ein paar besonders dreiste Lügen richtigzustellen. Ganz schlimm ist Marc Beises Kommentar "Spare in der Zeit" auf Seite 17:

Hinzu kommt, dass diese explizite Staatsverschuldung nur ein Teil des Problems ist. Die implizite Verschuldung, also etwa die Ansprüche der Rentner und Pensionäre gegen die Sozialsysteme, beträgt ein Vierfaches der expliziten Schuld; macht acht Billionen Euro oder mehr als 300 Prozent des BIP.

Die staatliche Rentenversicherung ist ein Umlagesystem. Jeden Monat werden die hereinkommenden Beiträge nach einem Schlüssel verteilt und direkt wieder herausgegeben. Hier von Schulden zu sprechen ist Quatsch.

Das Umlagesystem ist übrigens sehr sinnvoll, schließlich werden die von den Rentnern gekauften realen Güter und Dienstleistungen ja auch im jeweiligen Zeitraum produziert, und nicht etwa in der fernen Vergangenheit oder gar in der Zukunft. Angesichts der Tatsache, dass also jeweils die Produktion der Gegenwart an realen Gütern und Dienstleistungen auf die Verbraucher aufgeteilt werden muss, ist es nur sinnvoll und pragmatisch, auch das Geld, das bei dieser Aufteilung die Vermittlerrolle spielt, in der jeweiligen Gegenwart zu aufzuteilen, und nicht Jahrzehnte früher oder später.

Aber ganz abgesehen davon ob man jetzt ein Umlagesystem bevorzugt, oder lieber ein instabiles, kapitalgedecktes System (Marc Beise würde sicher Letzteres bevorzugen): Bei den Rentenansprüchen in unserem existierenden System von Schulden zu sprechen ist einfach nur unsachlich. Trotzdem gehört diese Volksverdummung zum Standardrepertoire der Neoliberalen.

Guido Bohsem schreibt auf Seite 19 im Artikel "1 791 300 000 000 Euro Schulden":

Wer in Deutschland lebt, hat Schulden – egal wie reich er ist. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes stand Ende November jeder der etwa 81,7 Millionen Bundesbürger mit 21 882 Euro in der Kreide. Die Bundesbürger schuldeten das Geld nicht als Privatleute, sondern Teil des deutschen Staates.

Wie muss ich mir das vorstellen, wenn ich 1000 Euro in Bundesschatzbriefen besitze? Schulde ich mir selbst dann 1000 Euro? Werde ich irgendwannmal 1000 Euro an Steuern zusätzlich bezahlen müssen, damit ich diese 1000 Euro dann wiederbekomme im Tausch für den Bundesschatzbrief?

Betrachten wir einmal ganz nüchtern, was passiert, wenn mein Bundesschatzbrief ausläuft und ich die 1000 Euro aufs Tagesgeldkonto überwiesen bekomme. Höchstwahrscheinlich kaufe ich mir wieder einen neuen Bundesschatzbrief. Dem Rollover meines Geldvermögens entspricht ein Rollover der Staatsschulden, und im Grunde passiert gar nichts.

Aber was passiert, wenn ich die 1000 Euro ausgebe? Nun, dann fließen sie an andere Personen, von denen sie wieder an andere Personen fließen, und in die Gegenrichtung fließen entsprechende Güterströme. Wenn es auf diese Handelsvorgänge keine Steuern gäbe, dann würde sich durch all diese horizontalen Vorgänge die Summe der Reserven bei der Zentralbank nicht verändern, mit der Folge, dass eben jemand anderes Bundesschatzbriefe im Wert von 1000 Euro kaufen würde, um die überschüssige Liquidität abzuschöpfen. In diesem Fall muss der Staat seine Schulden also auch nicht zurückzahlen.

Beobachtung: Rein funktional betrachtet konnte ich mir von meinem Geldvermögen Dinge im Wert von 1000 Euro leisten. Es ist also unsinnig so zu tun, als wären die Staatsschulden Schulden der Bürger. Im Gegenteil handelt es sich bei den Staatsschulden - genauer: bei den sie repräsentierenden Staatsanleihen - um Vermögen der Bürger.

(Kleiner Einschub: Der Glaube, dass Staatsschulden äquivalent zu Schulden der Bürger sind, erinnert mich sehr an den Denkfehler, der auch diesem Puzzle für Kinder zugrundeliegt.)

Aber wie passt das denn jetzt mit Steuern zusammen? Im Beispiel oben bin ich davon ausgegangen, dass keine Steuern anfallen und deshalb nur horizontale Transaktionen anfallen, was natürlich unrealistisch ist. Wenn die Transaktionen besteuert werden, dann verschwindet zumindest ein Teil der ursprünglich 1000 Euro in Form von Steuern, und weniger Bundesschatzbriefe werden gekauft, weil weniger Liquidität abgeschöpft werden muss. Und siehe da: genau diese Steuern sind es, die mit den reduzierten Staatsschulden verrechnet werden können!

Beobachtung: Die Regierung muss kein Geld eintreiben um ihre Schulden zu begleichen. Es ist gerade umgekehrt: Wenn der private Sektor keine Staatsanleihen mehr halten will, dann entstehen die Steuereinkünfte die nötig werden, um den Rückgang der Staatsanleihen in der Bilanz auszugleichen, ganz automatisch.

Jetzt mag sich manch einer die Frage stellen, wozu dann überhaupt Steuern erhoben werden. Die Erklärung dafür ist, dass durch die Steuerschuld überhaupt erst Nachfrage nach Geld entsteht. Ohne Steuern wäre das Geld also einfach wertlos. Die Höhe der Steuern wirkt gewissermaßen als Thermostat bzw. Bremse für die Wirtschaft. Läuft sich die Wirtschaft heiß, so können Steuern erhöht werden um Geld zu entziehen und so zu vermeiden, dass der Wert des Geldes absinkt. Diese Wirkung ist aber asymmetrisch: niedrige Steuern sorgen nicht unbedingt dafür, dass die Wirtschaft wieder warm läuft, wenn sie sich einmal abgekühlt hat.

Als Anmerkung muss ich fairerweise einwerfen, dass meine Analyse in Wirklichkeit nur für ein vernünftig organisiertes Fiatgeldsystem gilt, wie zum Beispiel für die USA, Großbritannien oder Island. Die Eurozone ist zwar ein Fiatgeldsystem, aber eins mit (hoffentlich: noch) vielen Entwurfsfehlern. In der Eurozone gibt es nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Regierungen, die Staatsanleihen anbieten. Die Liquidität, die durch den Ablauf von Anleihen eines Staates entsteht, wird also womöglich durch die Ausgabe von Anleihen eines anderen Staates abgeschöpft. Dadurch können Ungleichgewichte entstehen, die sich wegen dem Fehlen eines aktiven monetären Souveräns kombiniert mit Gerede über potentielle Staatsinsolvenzen durch höhere Renditen und Zinssätze selbst verstärken, bis die ganze Eurozone durch die entstehenden Fliehkräfte auseinanderzubrechen droht.

Mit anderen Worten, was sich heutzutage abspielt, war mit etwas Nachdenken über Geldsysteme vorhersehbar. Übrigens wird mit etwas weiterem Nachdenken auch klar, dass die Einführung von Eurobonds oder einem äquivalenten Mechanismus absolut notwendig für den langfristigen Erhalt des Euros ist.

Das Geld haben die Deutschen in Form von staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Rente, Kindergeld konsumiert oder in den Bau von Straßen, Schwimmbädern, Schulen und Universitäten gesteckt, obwohl sie sich das eigentlich nicht hätten leisten können.

Auch dies ein typischer Denkfehler. Die Kosten staatlichen Handels kann man nicht losgelöst von der Situation der realen Wirtschaft in reinen Geldgrößen betrachten. Das einzig vernünftige Maß für Kosten ergibt sich aus der Frage, welche realen Güter und Dienstleistungen der Staat dabei in Anspruch nimmt, die andernfalls der private Sektor hätte nutzen können.

Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft in Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr ordentlich ausgelastet ist, und angesichts hoher Arbeitslosenquote ist klar, dass der private Sektor bei weitem nicht alle sinnvollerweise nutzbaren Ressourcen in Anspruch genommen hat. Wenn diese Ressourcen dann vom Staat in Anspruch genommen werden, so fallen in Wirklichkeit überhaupt keine Kosten an (wenn man von ökologischen Überlegungen absieht).

In Wirklichkeit zeigt eine nüchterne Betrachtung der Zahlen also, dass wir Deutschen schon seit sehr langer Zeit unter unseren Verhältnissen leben.

Freitag, 3. Dezember 2010

Unwissen und Ideologie auf der Meinungsseite

Eigentlich hatte ich ja vor, zu pausieren. Nach dem heutigen Eintrag werde ich das auch wieder versuchen, aber es hat mich schon in den letzten Tagen in den Fingern gejuckt. Was die SZ-Wirtschaftsredaktion zur Zeit aus ihren Federn fließen lässt gefährdet den Frieden in Europa, da durch die Verbreitung falscher Behauptungen eine sinnvolle Wirtschaftspolitik unterbunden wird. Beim heutigen Kommentar "Die leise Krise" von Marc Beise auf Seite 4 ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Ich muss also wieder einmal Dampf ablassen.

Die Krise der Realwirtschaft war kurz, der Aufschwung ist phänomenal. Die Unternehmen produzieren und verkaufen wie im Fieber.

Die Realität ist, dass die Wirtschaftsleistung den Stand vor der Krise noch nicht wieder erreicht hat, und von einem selbsttragenden Aufschwung ist weit und breit nichts zu sehen - im Gegenteil. Marc Beise scheint, seiner Schreibe nach zu urteilen, jedenfalls ziemlich gut von der Realität isoliert zu sein.


Die Einkommen steigen.

Schön wär's.

Technisch gesehen steigen die Einkommen natürlich, schließlich ist das BIP ein Maß für die Summe aller Einkommen in einer Volkswirtschaft. Allerdings spielt die Einkommensverteilung dabei eine kritische Rolle, und die Lohnentwicklung hat sich in Deutschland bekanntermaßen aufgrund politischer Entscheidungen schon vor vielen Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt.


Nie waren mehr Menschen in Beschäftigung, und weniger Arbeitslose gab es lange nicht.

In der Tat. Aber knapp 3 Millionen Arbeitslose nach der offiziellen Statistik, wohl eher 4 Millionen bei einer ehrlicheren Betrachtung, zusammen mit weiteren Millionen Menschen, die bei gleichem Stundenlohn gerne mehr arbeiten würden, aber nur Teilzeitjobs finden, sind wahrlich Grund zur Sorge.

Danach widmet er sich der absurden Idee von Nord-Euro und Süd-Euro.

Nun propagieren sie (nur) eine Zweiteilung des Euro in einen harten Nord-Euro (mit Deutschland) und einen weichen Süd-Euro – als wäre das so einfach. Eine solche Änderung hätte beinahe revolutionäre Konsequenzen.

...

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären die schwachen Staaten ohne Deutschland oder gar den ganzen Norden verloren. Ihre Zinskosten würden nach oben schnellen, ein Bankrott wäre die Folge.

Ich persönlich halte die Idee von Süd- und Nord-Euro auch für Unsinn. Dass sie Idee nicht gesundem volkswirtschaftlichen Verstand, sondern dumpfen innereuropäischen Ressentiments entspringt erkennt man bereits daran, dass sich der ganz offensichtlichen Frage, wo denn dann Irland dazugehören sollte, niemand so richtig stellen will.

Aber dass die "Südstaaten" ohne Deutschland verloren wären ist vollkommener Unfug und beweist einmal mehr, dass Marc Beise keine Ahnung von der Funktionsweise eines Fiatgeldsystems hat. Denn wenn die "Südstaaten" nach einer solchen hypothetischen Teilung kooperieren würden, könnten sie dem Markt die auf Anleihen bezahlten Zinsen aufdiktieren. Dazu müssten sie sich natürlich wie eine geschlossene geldsouveräne Regierung verhalten, dem diverse politische Hürden entgegenstehen. Aber wenn die jeweiligen nationalen Regierungen die Sachverhalte verstehen würden, könnten diese Hürden schneller verschwinden als Amazon Wikileaks die Serverfarm zudreht. Dann wäre auch ein Bankrott kein Thema mehr, sofern die "Südstaaten" darauf beharren, bestehende Anleihen entweder gar nicht, oder ausschließlich in "Süd-Euro" zu bedienen - was sie in einer solchen Situation vernünftigerweise tun sollten.

Selbstverständlich wäre eine Konsequenz einer Teilung, dass der "Süd-Euro" im Vergleich zum "Nord-Euro" deutlich an Wert verlieren würde. Aber das wäre einfach nur eine natürliche Anpassung an realwirtschaftliche Gegebenheiten. Die südeuropäische Exportwirtschaft würde davon profitieren.

Natürlich basiert der von mir skizzierte Optimismus darauf, dass die "Südstaaten" im Fall der Fälle die ihnen offen stehenden Handlungsmöglichkeiten erkennen und auch wahrnehmen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich eine solche Euro-Teilung für eine Idiotie halte. Denn wenn der Euro gespalten wird, die "Südstaaten" sich aber nach wie vor Sparprogramme aufschwatzen lassen, so ist ihnen auch nur marginal geholfen. Wenn aber umgekehrt die Regierungen ihre Handlungsmöglichkeiten erkennen und einfordern würden, könnten sinnvolle konjunkturfördernde Maßnahmen auch ergriffen werden ohne den Euro aufzulösen.

Deutschlands Exportwirtschaft würde übrigens wegen der Währungsanpassung unter einer Auflösung des Euro massiv leiden - einer der wenigen Fakten, die die Realitätsbarriere in Marc Beises Schädel durchbrochen haben:

... die Währung der Deutschen würde dramatisch aufgewertet, und es wäre bald vorbei mit Wachstumsphantasie und Jobwunder. Zwar kann man theoretisch über eine zu starke Exportabhängigkeit lamentieren, allein: Die Deutschen haben sich noch kein anderes Wohlstandsmodell einfallen lassen.

Tatsächlich würde dann auch die Bevölkerung leiden, weil die Politik in ihrem Exportwahn versuchen würde, die nominale Währungsaufwertung real durch noch schärferes Lohndumping auszugleichen. Die Politik würde also vollkommen unnötig größeres Leid erzeugen.

Der zuletzt zitierte Satz ist nämlich dreiste Geschichtsfälschung. Die Exportfixierung Deutschlands ist eine eher junge Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Bis hinein in die 1970er Jahre wurde in Deutschland der Wohlstand recht erfolgreich durch eine aktive Konjunkturpolitik gewährleistet. Diese wurde dann aus rein ideologischen Gründen aufgegeben. Man müsste lediglich zu diesem Wohlstandsmodell zurückkehren.

Wirtschaftlich ist das problemlos machbar. Allein die herrschende Ideologie steht im Weg.