Mittwoch, 16. Februar 2011

Blindheit in großem Stil: Jobs fehlen

Ein besonders faszinierendes Phänomen kann man in der SZ am heutigen 16.2. wieder auf der Seite 1 im Artikel "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV" von Thomas Öchsner beobachten.

Die Hartz-Reformen haben für knapp eine halbe Million Menschen bisher nichts gebracht. [...] Ziel der Arbeitsmarktreformen unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung war es, unter dem Motto „Fördern und fordern“ die Zahl der Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben, möglichst gering zu halten. [...] Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, sagte: „Die Aktivierung, Förderung und Vermittlung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern ist bisher nicht optimal.“ Der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy kritisierte, dass den Hartz-IV-Beziehern in den Jobcentern oft „stabile Ansprechpartner“ fehlten. Auch reichten die arbeitsmarktpolitischen Hilfen meist nicht aus.

Folgt man diesem Text, so sieht selbst ein Vertreter des DGB die Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit am Versagen der Verwalter der Arbeitslosigkeit. Der Grundtenor ist immer der gleiche: die Vermittlung klappt nicht, die Förderung klappt nicht, die Menschen sind zu faul oder unfähig. Dabei gibt es einen ganz offensichtlichen Grund für die hohe Arbeitslosigkeit, der ungeschrieben bleibt, ja, der dem Verfasser des Artikels vermutlich nicht einmal ansatzweise durch den Kopf gegangen ist: Es gibt zu wenig Arbeitsplätze.

Machen wir einmal ein Gedankenexperiment. Nehmen wir an, von heute auf morgen wären alle Deutschen plötzlich hochmotivierte, körperlich perfekte Intelligenzbestien mit Doktortitel. Sicher hätten wir dann auf einmal noch mehr promovierte Taxifahrer und Kellner, aber würde sich an der Zahl der Arbeitsplätze etwas ändern? Nein - die Nachfrage nach Arbeitskraft ändert sich ja nicht dadurch, dass sich das Angebot ändert. Zwangsläufig würde sich also auch an der Zahl der Arbeitslosen nichts ändern.

(In eingeschränkten Einzelfällen stimmt das natürlich nicht. In bestimmten Bereichen wie z.B. in der Forschung kommt es schon einmal vor, dass ein Arbeitsplatz speziell für einen begehrten Bewerber geschaffen wird. Makroökonomisch ist das aber nicht relevant, da sich ja dadurch nicht das Gesamtbudget für Forschung verändert. Zudem fällt der derart variable Anteil des Arbeitsmarkts sowieso nicht ins Gewicht.)

Sicherlich wäre die Zusammensetzung der Arbeitslosen eine andere. Logischerweise finden sich unter den Arbeitslosen überwiegend gering qualifizierte Menschen, da diese bei Bewerbungen in der Regel hinten anstehen. In unserem Gedankenexperiment wären die Arbeitslosen dann eben diejenigen, die ihre Promotion nicht summa cum laude abgeschlossen haben. Aber die Anzahl der Arbeitslosen wäre die gleiche. Das ist die wichtige makroökonomische Einsicht, an der das überwiegende mikroökonomische Denken versagt.

Fazit: Der offensichtliche Grund für die hohe Arbeitslosigkeit ist ein Mangel an Arbeitsplätzen. Aber dieser Gedanke wird nicht einmal im Ansatz erwähnt. Dieses Maß an Blindheit ist faszinierend.

Bitterböse zynisch ist im gleichen Artikel diese Stellungnahme:

Darin enthalten seien aber auch „Aufstocker“, die wegen ihres geringen Arbeitseinkommens zusätzlich Hartz IV benötigen. [Arbeitgeberpräsident] Hundt sprach hier von Fehlanreizen, welche die Regierung bei der Reform der Hinzuverdienst-Regeln nicht abgebaut habe. „Diese Regeln machen es nach wie vor für viele attraktiv, nur mit einem Minijob in der Fürsorgeleistung zu verharren.“

Der eigentliche Skandal des Aufstockens ist, dass es dadurch für Arbeitgeber attraktiv wird, Menschen zu Dumpinglöhnen einzustellen. Der Staat subventioniert Arbeitgeber, die aktives Lohndumping betreiben. Aber statt die Finger auf diese Wunde zu legen, schiebt Thomas Öchsner den Schwarzen Peter auf die Arbeitnehmer.

Seine Tiraden gegen die Arbeitslosen werden übrigens auf der Meinungsseite im Kommentar "Nach der Einigung ist vor der Aufgabe" noch deutlicher:

Die bittere Erkenntnis, die Jobvermittler zumindest intern aussprechen, ist: Vielen lässt sich nicht mehr helfen. Sie werden selbst in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, weil sie weder psychisch noch physisch einen 35-Stunden-Job aushalten.

Woher weiß er denn bitte, dass diese Menschen einen solchen Job weder psychisch noch physisch aushalten würden? Es wurde ihnen doch niemals die Chance gegeben, sich unter Beweis zu stellen! Und darüber zu spekulieren, was im Fall eines Fachkräftemangels geschehen würde ist müßig. Vom Fachkräftemangel sind wir schließlich Welten entfernt, wie die Zusammensetzung der Arbeitslosigkeit sowie die zurückhaltende Lohnentwicklung zeigt - siehe auch den diesbezüglichen DIW-Skandal im November letzten Jahres.

Irreführendes verbreitet Simone Boehringer im Kasten "Bundesbanker gestern und heute" auf Seite 20:

Dazu wandelt sich mehr und mehr der Rettungsfonds ESFS, der neue Kredite an klamme Staaten vergibt, nach dem Willen der Franzosen jedoch bald auch Staatsanleihen kaufen soll.

Zwischen der Vergabe von Krediten und dem Kauf von Staatsanleihen in Primärauktionen gibt es keinen Unterschied. Der Kauf von Staatsanleihen im Sekundärmarkt hat dagegen auf die finanzielle Situation eines Staates keinen direkten Einfluss, weil ja lediglich Papiere, die nicht mehr im staatlichen Besitz sind, den Besitzer wechseln. Er kann aber natürlich die Zinsstruktur von Anleihen beeinflussen.