Freitag, 29. Oktober 2010

Ceterum censeo

Nach gestrigem sehr impulsiven und frustrierten Kommentar heute einfach Back to the Basics. Aus Seite 19 analysiert Nikolaus Piper im Kommentar "Neues Spiel in Washington" die kommenden Wahlen in den USA aus seiner Perspektive. Dabei behauptet er:

Außerdem lassen sich die Haushaltsprobleme der USA ohne Steuererhöhungen auf mittlere Sicht kaum lösen.

Die US-Bundesregierung hat keine Haushaltsprobleme. Die US-Bundesregierung ist geldtechnisch souverän und finanziert ihre Ausgaben daher weder aus Schulden noch aus Steuern. Insbesondere der Punkt mit den Staatsschulden ist wichtig, daher wiederhole ich ihn mal wieder.

Funktional sind die Schulden der US-Regierung einfach Sparguthaben von Anlegern in einem Sparkonto bei der Regierung. Diese Schulden zurückzuzahlen bedeutet für die Regierung nichts anderes, als das Guthaben von dem Sparkonto auf ein Tagesgeldkonto bei der Fed zu überweisen. Das sind einfach nur Zahlenverschiebungen in einem Computersystem und daher vollkommen unproblematisch.

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive könnte man sich höchstens über die Zinszahlungen für diese Schulden Gedanken machen. Dabei muss man sich aber klarmachen, dass die US-Regierung jederzeit beschließen könnte, ihre Zinszahlungen zu beenden. Sie müsste dazu lediglich alle existierenden Treasury Bonds auslaufen lassen ohne neue Bonds auszugeben.

Das Geld würde dann eben auf Tagesgeldkonten bleiben.

Volkswirtschaftliche Auswirkungen hätte das vermutlich schon, es könnte z.B. kurzfristig die Preise von klassischen Investitionsgütern wie z.B. Immobilien hochtreiben. Ob das schlecht ist oder nicht muss man von Fall zu Fall aus politischen Gesichtspunkten abwägen.

Wichtig ist aber, dass Nikolaus Piper hier einen Mythos verbreitet. Die Wahrheit ist, dass die US-Bundesregierung kein Haushaltsproblem hat. Außerdem ist es unsinnig, die Höhe von Steuern von finanziellen Überlegungen abhängig zu machen; die Höhe von Steuern sollte nur von realwirtschaftlichen Überlegungen abhängen, und die Art der Steuern sollte genutzt werden um, nun ja, zu steuern.

Zum systematischen Betrug der Bundesbürger in Sachen Vollbeschäftigung trägt auf der gleichen Seite der Artikel "Vollbeschäftigung frühestens 2020" bei:

Die Nürnberger Bundesagentur dämpft demgegenüber die Euphorie. Frühestens 2020 werde es Vollbeschäftigung in Deutschland geben, sagte Weise am Donnerstag. Was hieße: eine dauerhafte Arbeitslosenquote zwischen drei und vier Prozent.

Diese Definition von Vollbeschäftigung ist ein dreister Fall von politisch-ideologischer Manipulation. In der Bundesrepublik und in vielen anderen westlichen Staaten gab es eine 15-jährige oder längere Phase der Vollbeschäftigung in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die Arbeitslosigkeit lag damals (nahezu) konsistent unter 2%. Das war Vollbeschäftigung - accept no substitutes.

Übrigens: Damals wurde die Arbeitslosenquote auch noch nicht so effizient schöngerechnet wie heutzutage - war ja politisch auch gar nicht nötig, da es echte Vollbeschäftigung gab. Auf einige dieser Schönfärbereien macht der Artikel auch aufmerksam, und man muss ja auch loben, wo Lob angemessen ist:

Hinzu kommt, dass 1,15 Millionen Menschen im Oktober statistisch nicht als arbeitslos erfasst wurden, obwohl sie eine Beschäftigung suchen. Das sind Erwerbslose über 58 Jahren, Ein-Euro-Jobber oder Menschen, die gerade in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme stecken. Die meisten von ihnen wollen über kurz oder lang aber wieder auf den Arbeitsmarkt. Vor allem aber sind da jene Menschen, deren Chancen immer kleiner zu werden scheinen.

Auch ist die BA die einzige offizielle Institution, die einen halbwegs realistischen Blick auf die Gefahren für die Konjunktur, die sich weltweit zusammenbrauen, hat. Und noch etwas:

Es fehlt an Jobs für Geringqualifizierte. Das sind aber die meisten der 800 000 Menschen, die derzeit nach Angabe von BA-Vorstand Heinrich Alt länger als ein Jahr und damit langzeitarbeitslos sind. „Wir brauchen gute Ideen für diese Menschen“, sagte Alt. Viele von ihnen hätten Suchtprobleme, Schulden, keine Ausbildung oder andere soziale Defizite. „Ich löse kein Suchtproblem, indem ich jemanden weiterbilde“, sagte Alt. „Da muss vorher etwas passieren.“

Eine solche gute Idee ist eine Jobgarantie. Das Problem, in dem sich die genannten Menschen wiederfinden ist, dass sie wegen ihrer Probleme vom privaten Sektor keinen Job bekommen. Ein echter Job wäre aber der beste Weg, um ihre Probleme zu lösen. Ein typischer Fall von Teufelskreis, der vom Staat aufgebrochen werden sollte. Auch das ist eine wichtige Motivation für die Jobgarantie.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Der Untergang der Europäischen Union

Wenn im nächsten Jahrtausend Historiker nach den Ursachen des Zusammenbruchs der Europäischen Union forschen werden, könnte die Seite 2 der heutigen SZ eine ergiebige Quelle sein. Dort wird über die Verhandlungen zu neuen Regeln im Stabilitätspakt berichtet.

Normalerweise suche ich mir einzelne Zitate aus Artikeln heraus um die darin zu findenden Denkfehler aufzuzeigen und zu erklären. Das ist hier schwierig, weil einfach hinten und vorne nichts stimmt an der Sichtweise von Politik und Medien auf die aktuelle wirtschaftliche Lage. Deswegen hole ich etwas weiter aus.

Was wir zur Zeit erleben ist im Wesentlichen eine Wiederholung des Beginns der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Damals hat ein Crash der Finanzmärkte die reale Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, und die Regierungen haben ziemlich herumgeeiert trotz der mahnenden Worte von Keynes. Sobald einzelne Regierung eine expansive Fiskalpolitik betrieben haben, hat sich die Situation verbessert - aber getrieben von der Angst vor Staatsschulden haben zum Beispiel die USA gegen Ende der 1930er Jahren wieder auf eine massiv kontrahierende Politik gesetzt in Form von Sparpaketen, wie wir sie auch heute wieder sehen. Die Folge war, dass die Wirtschaftsleistung wieder gefallen und die Arbeitslosenzahlen gestiegen sind. Erst mit der unausweichlichen Ankurbelung der Nachfrage durch den Zweiten Weltkrieg wurde die Weltwirtschaftskrise endgültig überwunden.

Auch 2007 gab es eine Krise an den Finanzmärkten - die übrigens von Vertretern von Modern Monetary Theory vorhergesehen wurde - die auf die reale Wirtschaft übergesprungen ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht so beeindruckend groß ist wie in den 1930er Jahren verdanken wir im Wesentlichen der Tatsache, dass unsere Staaten heute einen deutlich größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen, dass starke soziale Sicherungssysteme dafür sorgen, dass die Gesamtnachfrage nicht zu stark fällt, und dass die Verwaltungen besser im FälschenBeschönigen von Statistiken geworden sind.

Die diversen Stimuluspakete, die umgesetzt wurden, haben auch geholfen - aber zu glauben, dass der Spuk schon vorbei wäre und man jetzt die Bremse in Form von Sparpaketen ziehen könnte ist so unglaublich dumm, dass es mir die Sprache verschlägt. Wenn unsere Regierungen nicht bald umdenken, steht uns zumindest eine neue Europawirtschaftskrise bevor, an der sowohl der Euro als auch schlimmstenfalls die EU zerbrechen könnte.

Wie gesagt: die letzte Wirtschaftskrise dieser Größenordnung konnte wegen der Dummheit der beteiligten Regierungen nur durch einen Weltkrieg beendet werden. Ich hoffe sehr, dass dieser Kelch dieses Mal an uns vorbeigeht.

Was hat das alles nun mit dem Stabilitätspakt der Euro-Zone zu tun?

Man muss sich zunächst einmal klar machen, dass die Regelungen des Stabilitätspakts frei erfunden sind und keinerlei vernünftige volkswirtschaftliche Begründung haben. Ein Defizit von 3% des BIP, ein Schuldenstand von 60% des BIP, diese Zahlen fallen einfach vom Himmel und sind frei jeglicher Bedeutung.

Außerdem muss man sich klar machen, dass eine Regierung keine Kontrolle über ihr Haushaltsdefizit hat. Das Defizit wird ganz wesentlich durch sogenannte automatische Stabilisatoren bestimmt: in einem Abschwung sinken die Steuereinnahmen von ganz alleine, und die Staatsausgaben steigen von ganz alleine. Geht es der Wirtschaft wieder besser, wie zur Zeit in Deutschland, so tritt der umgekehrte Effekt ein und das Haushaltsdefizit sinkt - ganz ohne, dass die Regierung auch nur einen Finger krümmt.

Es ist geradezu kafkaesk, Länder mit hohem Defizit dafür zu bestrafen. Noch verrückter ist, dies mit einer Geldstrafe zu tun: dadurch werden dem Land die Mittel genommen, mit der es seine Wirtschaft wieder in Gang bringen könnte. Eine Abwärtsspirale ist also vorprogrammiert.

Aber dann kommt die Stelle, an der ich doch auf ein Zitat Bezug nehmen kann:

Seitdem die Finanzkrise über die EU gekommen ist, sind die Bürger mit Begriffen wie Rettungsschirm, Stabilitätspakt und Krisenmechanismus konfrontiert und verstehen eigentlich nur, dass sie am Ende die Rechnung begleichen müssen.

Das ist falsch.

Es ist unsinnig, dass der Rettungsschirm für Griechenland von den Euro-Staaten getragen wird. Die Beteiligung des IWF ist noch absurder und zeigt einmal mehr, dass unsere Politiker die Funktionsweise eines Fiat-Systems nicht verstehen (wollen).

Der Rettungsschirm für Griechenland könnte einfach von der Europäischen Zentralbank getragen werden. Mit einem einfachen Eintrag in ihre Computersysteme könnten sie Griechenland von allen Sorgen befreien. Kein einziger EU-Bürger und keine EU-Regierung müsste einen Cent hergeben.

Falls man sich Sorgen darüber macht, dass ein solches Vorgehen unsauberes Wirtschaften seitens Regierungen fördern würde, dann könnte die Europäische Zentralbank stattdessen einfach jedem Euro-Staat eine feste Pro-Kopf-Summe zuweisen, sagen wir 5000€ pro Bürger.

Um die dadurch entstehenden Reserven wieder aus dem System zu entfernen, könnte die EZB eigene Schuldscheine herausgeben - quasi EZB-Anleihen.

Das wäre ein erster Schritt hin zu eine Euro-weiten Wirtschaftspolitik, dem die Einrichtung einer echten Euro-Regierung, kontrolliert durch das Europäische Parlament, möglichst schnell folgen sollte. Das klingt radikal, aber in Wirklichkeit ist es einfach ganz pragmatische progressive Politik - und nebenbei der einzige Weg, die Euro-Zone vor einer sehr langen Krise mit vermutlich fatalen Folgen zu bewahren.

Darum sehen die Berliner Pläne im Kern vor, dass bei einem faktischen Staatsbankrott wie in Griechenland erst einmal die Gläubiger, also die Finanzinvestoren, zur Kasse gebeten und europäische Mittel nur „ergänzend“ geleistet werden.

Die Inhaber von Staatsanleihen als "Finanzinvestoren" zu bezeichnen ist auch ein schöner Fall von Volksverdummung. Staatsanleihen werden nicht nur, aber zum großen Teil von institutionellen Anlegern wir Versicherungen und Altersvorsorge gehalten - eben weil sie prinzipiell sicher sind.

Die Bundesregierung will hier also anderen Euro-Ländern zuerst die Fähigkeit nehmen, für ihre eigenen Bürger zu sorgen (indem sie diesen einen harten Sparkurs aufzwingt), und als nächstes will sie dann auch noch die private Absicherung dieser Bürger zerschießen.

Und das einmal ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit der Insolvenz eines Euro-Staates nur zur Folge haben wird, dass Anleger noch stärker in Richtung der vermeintlich sichereren Staatsanleihen drängen werden. Mit anderen Worten, die Zinsrate von deutschen Bundesanleihen wird weiter sinken - und die Bundesregierung kann sich dafür auf die Schulter klopfen - während die Zinskonditionen für Staaten wie Griechenland und Irland noch schlechter werden.

Es ist geradezu unglaublich. Ich schäme mich, dass mein Land eine solche Politik vertritt.

Auf der anderen Seite besteht zumindest in dieser Hinsicht die Hoffnung, dass irgendjemand aus den betroffenen Staaten das abgekartete Spiel als solches erkennt und sich gegenüber den deutschen Forderungen eine unüberwindbare Front bildet. Allerdings ist nicht erkennbar, dass konstruktive Gegenvorschläge wie die oben genannten kommen werden. Alles in allem sieht die Situation also trotzdem düster aus.

Kleine Nachbemerkung: Angesichts der aktuell recht stabilen politischen Lage habe ich persönlich nicht das Gefühl, dass es zu einem Knall mit Weltkrieg kommen wird - auch im Falle einer langfristigen Wirtschaftskrise. Viel wahrscheinlicher erscheint mir ein schleichendes Dahinsiechen, an dessen Ende - vielleicht in hundert, vielleicht in zweihundert Jahren - niemand mehr so richtig erklären kann, warum eigentlich alles zugrunde ging. Der Vergleich mit dem Römischen Reich drängt sich geradezu auf.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Meister Unsinn

Einer der schlimmsten Volksverdummer kommt heute mal wieder zu Wort, auf Seite 19 im Artikel "Ifo-Chef gegen Lohnplus":

Der Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hat trotz des rasanten Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland vor raschen Lohnerhöhungen gewarnt.
[...]
Der Wirtschaft insgesamt könne das [...] schaden. Der derzeitige Aufschwung werde vor allem durch die Binnennachfrage getragen, die vor allem von den Investitionen der Firmen lebe. „Diese Binnennachfrage würde man kaputt machen“, warnte Sinn.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Warum investieren deutsche Firmen? Wenn man Investitionen haben will, die durch steigenden Konsum und damit steigenden Lebensstandard motiviert sind, dann wären Lohnerhöhungen genau das Richtige, um hier eine positive Spirale des Aufschwungs einzuleiten. Lohnerhöhungen fördern Nachfrage fördern Investition - ganz einfach. In Wirklichkeit sind die Investitionen, die hier stattfinden und kurzerhand als "Binnennachfrage" bezeichnet werden, selbst nicht durch Binnennachfrage motiviert, sondern durch Nachfrage aus dem Ausland.

Nochmal ganz deutlich: die stattfindenen Investitionen sind zu einem sehr großen Teil durch steigende Auslandsnachfrage motiviert. Dabei von Binnennachfrage zu sprechen ist also zynisch und ein leicht durchschaubarer Fall von Wortverdrehung à la 1984 mit dem klaren Ziel, die berechtigte Kritik die von Christine Lagarde, Paul Krugman und anderen an der deutschen Wirtschaftspolitik geäußert wird, einfach so wegzuwischen.

Dabei ist offensichtlich, dass diese Art der "Binnennachfrage" genauso exportabhängig ist wie der Export selbst. Wenn nächstes Jahr die weltweiten Sparpakete anfangen zu greifen, wird es da sehr schnell zappenduster aussehen.

Die richtige Reaktion in der jetzigen Situation wäre also tatsächlich, die momentan gute Ausgangslage in Deutschland beim Schopf zu greifen um sehr, sehr deutliche Lohnerhöhungen durchzusetzen um mit dem Rest von Europa gleichzuziehen. Die folgende Wiederbelebung des (echten) Binnenmarktes könnte - mit etwas Glück - den durch die weltweiten Sparpakete zu erwartenden Kollaps zumindest in Deutschland etwas dämpfen.

Gleichzeitig könnten wir dadurch endlich einmal davon profitieren, dass wir über viele Jahre hinweg wie die Deppen Güter ins Ausland geschickt haben ohne irgendwas Greifbares dafür zu bekommen.

Montag, 25. Oktober 2010

Beton

Auf Seite 23 wird in "Gefährliches Ungleichgewicht" praktisch Unmögliches gefordert:

Führende Ökonomen halten die Glaubwürdigkeit des Euro für „gefährdet“ und warnen vor einer weiteren Belastung der gemeinsamen Währung durch eine verwässerte Reform des EU-Stabilitätspaktes.
[...]
Nötig sei es, staatliche und private Schulden abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen.

Rein buchhalterisch ist der Euro-Kreislauf geschlossen. Wenn die Euro-Staaten ihre Schulden abbauen wollen, dann muss dafür rein rechnerisch netto irgendwoher Geld kommen. Wenn der private Sektor seine Schulden abbauen will, dann muss dafür rein rechnerisch netto irgendwoher Geld kommen.

Aber woher könnte das Geld denn kommen? Es bleibt nur der Rest der Welt übrig. Sowohl staatliche als auch private Schulden gleichzeitig abzubauen ist rein rechnerisch nur möglich, wenn ein Exportüberschuss erreicht wird. Das ist keine volkswirtschaftliche Theorie sondern unausweichliche buchhalterische Realität.

Nur: zur Zeit versuchen ja selbst die USA, die bisher fröhlich Exporte aller Länder aufgesaugt haben, ihre Importe zu verringern bzw. mehr zu exportieren. Es ist schlicht unmöglich, dass alle Staaten gleichzeitig einen Exportüberschuss aufweisen. Egal wie "wettbewerbsfähig" die Volkswirtschaften weltweit sind: solange sich niemand findet, der die Exporte aufsaugt, ist ein Exportüberschuss unmöglich. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Exportüberschuss nichts anderes bedeutet, als reale Güter und Dienstleistungen ins Ausland zu schicken ohne einen realen Gegenwert zu erhalten, und daher ohnehin keine besonders kluge Politik ist.

In ihrem Wahn drängen die selbsternannten Experten - Scharlatane wäre ein besseres Wort - darauf, brutale Lohnsenkungen durchzudrücken, und zwar weltweit. Die Folge ist eine vollkommen unnötige Abwärtsspirale, an deren Ende wir alle mit einem niedrigeren realen Lebensstandard dastehen werden.

Tatsache ist, dass die Staatsschulden der Euro-Länder weitgehend egal wären, wenn die Euro-Länder die EZB dazu bringen würden, für die Schulden zu garantieren. Dann wäre auch ein Abbau der privaten Schulden und ein Aufbau privaten Vermögens möglich - denn rein buchhalterisch stehen Staatsschulden zwangsläufig private Vermögen gegenüber. Aber die neoliberalen Betonköpfe auf allen Ebenen zerstören viel zu gerne, als dass sie konstruktive Politik zulassen würden.

Freitag, 22. Oktober 2010

Renten, Wechselkurse, und das Euro-System

Über Schulhofdramen in der großen Politik wird heute auf Seite 1 im Artikel "Westerwelle fühlt sich von Merkel übergangen" berichtet.

Der FDP-Chef sagte, um die Existenz des Euro dauerhaft zu sichern, sei „ein Stabilitätspakt mit Autorität, mit Durchsetzungskraft“ vonnöten. Dazu gehört nach seinem Dafürhalten, dass EU-Staaten mit zu großen Haushaltslöchern künftig automatisch mit Geldstrafen belegt werden und Kungeleien der Defizitsünder untereinander nicht mehr möglich sind.

Wie wäre es mit einem Gedankenspiel: Deutschland vor dem Euro, aber ohne Bundesregierung und ohne Länderfinanzausgleich. Das ist so ziemlich genau die Situation der Euro-Zone heutzutage. In diesem Gedankenspiel wäre Bayern ungefähr in der Position von Deutschland, und Griechenland in der Situation von Bremen. Würde ernsthaft jemand argumentieren, automatische Geldstrafen einzuführen?

Nein, viel vernünftiger ist ein geregelter Finanzausgleich, da in einem solchen System die Krisenanfälligkeit vorprogrammiert ist - die Regierungen trifft da gar nicht unbedingt eine Schuld. Solange die Regierungen ein Defizit über die Aufnahme von Schulden finanzieren müssen, konkurrieren sie gegeneinander in einem zwangsläufigen Nullsummenspiel. Wenn ein Land erfolgreich auch nur ein wenig mehr Schulden aufnimmt als es eigentlich müsste (was aus einzelwirtschaftlicher Sichtweise sinnvoll ist, da es sich dadurch für die Zukunft absichern kann), dann bedeutet das zwangsläufig, dass ein anderes Land bei der Aufnahme von Schulden in Schwierigkeiten gerät - unabhängig davon, wie umsichtig es wirtschaftet.

Damit stürzt dieses Land ohne eigenes Verschulden in eine Abwärtsspirale: das Vertrauen der Geldgeber in die Sicherheit der Schuldpapiere des Landes sinkt, weshalb es höhere Zinsen bezahlen muss, was es natürlich in eine noch schwierigere Situation bringt. Zudem wird der Regierung damit in einer Rezession verwehrt, eine effektive anti-zyklische Politik umzusetzen, wodurch sich die ganze Situation noch weiter verschärft.

Diese Instabilität ist fest im Euro-System verankert und kann nur durch eine grundlegende Veränderung der Spielregeln repariert werden. Das mikroökonomische Denken unserer Politiker ist dabei leider wenig hilfreich:

Außerdem habe Merkel Sarkozy im Gegenzug das Zugeständnis abgerungen, dass beide Länder gemeinsam dafür eintreten, ein Insolvenzrecht für Staaten einzuführen. Dies sei für die Stabilität des Euro viel bedeutender, schone die Steuerzahler in der EU und nehme stattdessen
die Krisengewinner in die Pflicht.

Ginge es wirklich um die "Schonung der Steuerzahler", dann müsste die Politik die EZB darauf drängen, für die Schulden der Euro-Staaten garantieren. Nur so kann es Staaten wie Irland und Griechenland wirksam gelingen, ihre Zinszahlungen - die letztendlich nichts weiter als eine massive Umverteilung zu Gunsten von Wohlhabenden sind - wieder zu reduzieren.

Zudem ist ein Insolvenzrecht genau die falsche Richtung. Es würde die Aufgabe von Souveränität der Mitgliedsstaaten weiter zementieren, ohne gleichzeitig auf Euro-Ebene eine souveräne Regierung zu etablieren.

Dabei kann die Stabilität der Euro-Zone nur durch eine handlungsfähige souveräne Regierung gewährleistet werden: entweder durch die Stärkung der Souveränität der Mitgliedsstaaten, oder durch Schaffung einer neuen souveränen Regierung auf Euro-Ebene.

Halbwegs erfreut war ich über den Kommentar "Seehofers Tabubruch" auf der Meinungsseite, denn er benennt endlich einmal viele der Kritikpunkte an der Rente mit 67, zum Beispiel:

Nötig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, welche Chancen ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben. Und hier sieht es teilweise noch düster aus: Obwohl viele Unternehmen verstärkt Ältere einsetzen, hat nur ein Viertel der 60- bis unter 65-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job.

Danach geht es aber leider mit den ewig gleichen neoliberalen Floskeln weiter:

Die Unternehmen sollten deshalb noch mehr für die Weiterbildung und Förderung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun.

Nichts gegen Weiterbildung und Gesundheitsmaßnahmen. Aber diese Maßnahmen lösen das eigentliche Problem nicht: es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze! Solange Deutschland eine so enorm hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung hat, ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, die Menschen so lange arbeiten zu lassen. Lasst sie in Ehren ergrauen, denn verdient haben sie es, und ganz offensichtlich werden sie im regulären privaten Arbeitsmarkt nicht unbedingt gebraucht.

Sollte irgendwann in der Zukunft einmal wieder Vollbeschäftigung erreicht werden (d.h. unter 2% Arbeitslosigkeit ohne Unterbeschäftigung), und die vorhandene Arbeitskraft nicht zur Versorgung aller Menschen in Deutschland mehr ausreichen, dann kann man darüber nachdenken, das Rentenalter anzuheben. Aber erst dann - vorher ist das höhere Rentenalter nichts anderes als ein politisches Werkzeug um versteckt die Renten zu kürzen und um die Arbeitslosenquote zu vergrößern.

Nachdenklich stimmen sollte auf Seite 19 so manches im Artikel "Atempause im Währungsstreit":

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle [FDP] [...] werde beim Treffen in Südkorea drauf dringen, dass die Wechselkurse die ökonomischen Fundamentaldaten widerspiegeln müssten.

Zur Erinnerung: die FDP, das ist die Partei, die immer sagt, man müssen den Markt alles regeln lassen. Und einer deren Spitzenleute behauptet jetzt de facto, man müsse die Wechselkurse explizit steuern, anstatt einfach den Markt machen zu lassen. Also, wem das nicht sauer aufstößt...

Tatsache ist, dass es irreführend ist zu behaupten, der Yuan, um den es hauptsächlich geht, sei unterbewertet. Zu Zeiten von Bretton Woods, oder auch im EWS - siehe die Geschichte zum Black Wednesday - hatte man sich politisch auf feste Wechselkurse geeinigt, die irgendwann die Realität des Marktes nicht mehr widergespiegelt haben - und dementsprechen unter- oder überbewertet waren.

Heute gibt es aber keinen festen Wechselkurs zwischen Yuan und US$. Der Wechselkurs reflektiert einfach den relativen Preis der Währungen auf dem Weltmarkt, und da die chinesische und übrigens auch andere Regierungen - aus welchen Gründen auch immer - gerne in US$ sparen anstatt sich mit ihren US$ amerikanische Güter zu kaufen, bleibt der US$ im Vergleich teuer. Das ist ganz normales Marktverhalten.

Die US-Regierung könnte sich einfach darüber freuen, dass die Chinesen ihnen ihre Waren schicken wollen, und könnte mittels vernünftiger Fiskalpolitik dafür sorgen, dass die US-Bürger sowohl die von China produzierten Waren als auch in den USA produzierte Güter und Dienstleistungen genießen können. Stattdessen setzt sie auf kontraproduktives Säbelrasseln und lässt nebenbei die eigene Bevölkerung verarmen. Meine Güte.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Würden sie nur ihrem eigenen Rat folgen...

Marc Beise lobt heute in seinem Kommentar "Die andere Koalition" auf Seite 19 das Sparprogramm der britischen Regierung in den Himmel. Was ich davon halte, habe ich schon des öfteren geschrieben. Wenn die Regierung einfach so mal eine halbe Million Menschen entlässt und auf einen die Wirtschaft noch stärker kontrahierenden Kurs schwenkt, dann wird es wohl bald mindestens eine halbe Million Arbeitslose mehr geben. Es ist zum Heulen. Und dann schreibt dieser Mensch das hier:

Das britische Experiment verdient es, in den kommenden Wochen und Monaten aufmerksam beobachtet zu werden.

Stimmt. Wenn nächstes Jahr die inzwischen fast unausweichlichen Hiobs-Botschaften aus Großbritannien kommen, sollte man diese in der Tat aufmerksam beobachten. Ob dann auch Marc Beise endlich kapiert, wie Volkswirtschaften funktionieren? Irgendwie bezweifle ich es.

Montag, 18. Oktober 2010

Inselunsinn

Andreas Oldags Kommentar "Spardiktat mit Risiken" auf Seite 17 offenbart wieder einmal, dass von der SZ-Wirtschaftsredaktion bis in die britische Regierung die Grundlagen von Modern Monetary Theory nicht verstanden werden.

Schatzkanzler George Osborne und Regierungschef David Cameron wissen, dass es für die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU kaum eine Alternative gibt. Die horrenden Staatsschulden, die sich infolge der Wirtschaftskrise sowie teuerer Banken-Hilfen unter der früheren Labour-Regierung angehäuft haben, müssen gekappt werden. Andernfalls droht den Briten eine Abstrafung durch die internationalen Finanz- und Kapitalmärkte mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des Pfund Sterling. Eine Erfahrung, die das ungleich kleinere Euro-Mitglied Irland gerade macht und dabei erkennen muss, wie rasch ganze Volkswirtschaften unter die Guillotine des Marktes geraten können.

Der Vergleich mit Irland ist grober Unfug. Irland ist als Mitglied der Euro-Zone kein souveräner Staat und muss sich deshalb durch Steuern bzw. Staatsschulden finanzieren. Großbritannien ist kein Euro-Mitglied sondern ein souveräner Staat und kann deshalb nicht in Finanzierungsschwierigkeiten geraten. Wenn die ach so bösen "internationalen Finanz- und Kapitalmärkte" keine Schuldscheine der britischen Regierung mehr kaufen wollen, dann kann ihr das herzlich egal sein.

Aber da war doch noch was? Ach ja, die Angst vor den bösen Währungsspekulanten:

Den Briten sitzt dabei auch noch immer der „schwarze Mittwoch“, jener 16. September 1992, im Nacken. Damals gelang es dem US-Milliardär George Soros mit Wetten gegen das Pfund, die Währung in einen Abwertungsstrudel zu treiben und Stützungsaktionen der Bank of England zu durchkreuzen. Sie musste daraufhin das Pfund aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) herausnehmen.

Der letzte Satz ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was damals passiert ist. Mit dem Beitritt zum EWS hat Großbritannien das Pfund zu einem festen Wechselkurs an andere europäische Währungen gebunden. Das hat dazu geführt, dass sich der Wechselkurs des Pfund nicht mehr angemessen für die relative wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Staaten frei bewegen konnte. Tatsächlich war das Pfund bereits lange unterbewertet, bevor Soros und andere ihre Spekulation durchgeführt haben - nur deshalb konnte die "Spekulationsattacke" von Soros überhaupt erfolgreich sein: sie hat die Abwertung des Pfunds höchstens zeitlich vorverlegt.

Da das Pfund heutzutage frei gehandelt wird, besteht diese Gefahr für Großbritannien nicht mehr in dieser Form. Auch wenn richtig ist, dass große Devisenhändler durch ihre Transaktionen die Wechselkurse vorübergehend beeinflussen können, so ist es immer noch grober Unfug, das mit dem Haushaltsdefizit oder den Staatsschulden in irgendeiner Weise in Verbindung zu bringen. Solange sich die Regierung nur in Pfund und nicht in ausländischen Währungen verschuldet, besteht durch solche Wechselkursschwankungen keine Gefahr.

Die Lehre, die aus dieser Geschichte gezogen werden sollte ist, dass es für Staaten tödlich sein kann, ihre Währung an die Währung anderer Staaten zu koppeln. Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür ist die Argentinien-Krise, die ganz wesentlich dadurch entstanden ist, dass Argentinien den Peso an den US$ gekoppelt hat.

Ach, und was die britische Sparwut angeht: angesichts der weltweiten Sparwut schneiden sich die Briten - genau wie alle anderen - hier nur ins eigene Fleisch. Das Traurige daran ist, dass die ohnmächtigen, ärmeren Teile der Bevölkerung unter dieser Fehlentscheidung am meisten leiden werden.

Enttäuschend ist der Artikel "Ohne Sitzblockaden" auf Seite 19. Es ist erstaunlich, wie penetrant die Proteste gegen Stuttgart 21 als reines "Dagegen!" porträtiert werden. Dabei wird vollkommen ignoriert, dass Stuttgart 21 nun wirklich nichts ist, auf das man als Deutscher guten Gewissens stolz sein kann - wegen massiver Planungsmängel, zu deren Aufklärung die Medien eigentlich beitragen müssten.

P.S.: Hier noch kurz der Hinweis auf "Kein Schutzschirm für Reiche mehr" auf Seite 19, in dem geschildert wird, wie in Frankreich die Menschen belogen wurden um Geschenke des Staates für Reiche durchzuboxen. Ach, wie schön wäre es, wenn die deutschen Medien darüber aufklären würden, wie die Menschen in Deutschland belogen werden, um Geschenke an die Reichen durchzuboxen...

Freitag, 15. Oktober 2010

Monetaristisches Absurdistan

Im Artikel "Chinesische Verhältnisse" auf Seite 17 widmet sich die SZ dem Herbstgutachten. Im Grunde ist bereits die Überschrift absurd, wenn man das Wirtschaftswachstum von China mit dem Deutschlands vergleicht. Abgesehen davon sind chinesische Verhältnisse ja auch nicht unbedingt erstrebenswert. Dann steht dort zu Zinsen und der wirtschaftlichen Entwicklung:

Glaubt man den Wirtschaftsforschern, so hat die Europäische Zentralbank einen großen Anteil am ungewöhnlich dynamischen Aufschwung in Deutschland. Weil sich der Zinssatz an den Wirtschaftsdaten des Euroraums insgesamt orientiert, liegt das aktuelle Zinsniveau für den Wachstumsprimus Bundesrepublik deutlich unter dem angemessenen Niveau. Das deutsche Wachstum wird dadurch über dass notwendige Maß hinaus stimuliert. Für andere Länder wie zum Beispiel Spanien und Griechenland ist das Zinsniveau hingegen noch viel zu hoch.

Dazu gibt es verschiedenes zu sagen:

  1. Der Leitzins der EZB ist zur Zeit bei 1,0%. Wie viel tiefer muss der Zins noch sinken, bis die Mainstream-Ökonomen einsehen, dass Geldpolitik nur begrenzt wirkfähig ist? Glauben diese Leute ernsthaft, ein niedrigerer Leitzins würde Spanien und Griechenland helfen? Wenn ja, warum wird der Leitzins dann nicht gesenkt?

    Zudem hat der Artikel zwei Sätze später überhaupt kein Problem damit, dass vor ein paar Jahren noch bei deutlich höheren Zinsen einerseits Deutschland gebremst, aber genau die Länder trotz noch höherer Zinsen geboomt haben, die heute unter den hohen Zinsen angeblich so leiden. Die Geschichten, die da erzählt werden, verändern sich so schnell wie die Propagandalinie des Wahrheitsministeriums in 1984.

    Der Hintergrund dabei ist allerdings einigermaßen klar. In Wirklichkeit ist die Geldpolitik nämlich ein sehr stumpfes Instrument.

    Von niedrigen Zinsen profitieren Kreditnehmer, während Kreditgeber darunter leiden. Wie sich niedrigere Zinsen insgesamt auf die Wirtschaft auswirken hängt daher ganz stark davon ab, wie diese beiden gegenteiligen Effekte verteilt sind. Das kann von Land zu Land und von Situation zu Situation verschieden sein, und genau darin liegt eine riesige Schwäche der Geldpolitik.

    Die Politik muss endlich einsehen, dass sie sich nicht immer nur auf Geldpolitik verlassen kann.

  2. Es ist schön, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgeht. Aber die Unterbeschäftigung liegt immer noch deutlich über 4 Millionen (präzise aktuelle Daten liegen nur bis März 2010 vor, aber die Unterbeschäftigung im September 2010 liegt sogar ohne Berücksichtigung von Kurzarbeit über dieser Grenze). Und selbst wenn man nur die zählt, die überhaupt keine Arbeit finden, kommt man noch auf über 3 Millionen Menschen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund davon zu sprechen, dass über das notwendige Maß stimuliert wird, ist einfach nur zynisch.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Ökologie und die Ursachen der Krise

In der heutigen SZ schreibt Andreas Kraemer vom Ecologic Institute auf Seite 22 in "Falsche Maßstäbe":

In künftigen Schulbüchern wird diese Weltwirtschaftskrise einen wichtigen Platz einnehmen als die erste, die durch Knappheit natürlicher Rohstoffe, vor allem bei Öl und Gas, ausgelöst wurde.

Ich hoffe, dass künftige Schulbücher die Ursachen der Krise korrekt wiedergeben werden, denn das würde zur einer allgemeinen volkswirtschaftlichen Aufklärung beitragen, von der auch dieser Autor profitieren könnte.

Die These von Kraemer ist nämlich verlockend, aber falsch. Sie ist verlockend angesichts eines flüchtigen Blicks auf den Ölpreis, der kurz vor der Krise einen irrwitzigen Höhepunkt erreicht hatte.

Aber zu viel ist an dieser These unstimmig. Der Ölpreis leidet ganz offensichtlich einfach nur unter Spekulation, schließlich ist er schon lange wieder auf Vorkrisenniveau. Und bei einer Krise, die durch Versorgungsengpässe entsteht, müssten die Preise steigen - gerade wenn ein so grundlegender Rohstoff wie Öl knapp wird. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil: lange Zeit standen die Zeichen auf Deflation, und diese Gefahr ist auch bei weitem noch nicht aus der Welt.

Wodurch ist die Krise wirklich ausgelöst worden? Kurz gesagt durch eine globale Überschuldung privater Haushalte und den darauf folgenden Zusammenbruch der weltweiten Nachfrage. Eine ausführlichere Analyse findet ihr hier.

Der Artikel ist um so enttäuschender, als unsere Abhängigkeit von Öl tatsächlich ein massives Problem ist. Wir müssen das in den Griff bekommen, ganz unabhängig davon ob die Wirtschaftskrise nun dadurch ausgelöst wurde oder nicht. Es gibt so viele gute Argumente für eine Reduktion des Ölverbrauchs, dass man ihnen nicht auch noch schlechte Argumente hinzufügen sollte - dadurch untergräbt man nur die eigene Glaubwürdigkeit.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Das Phantom der Notenbanken

Es ist allerliebst: jetzt, wo sich die Meldungen häufen, dass das Kreditvergabevolumen wieder ansteigt aufgrund der zur Zeit guten Nachfrage, bemerkt im Wirtschafts-Teil endlich mal jemand, dass es überhaupt keine Kreditklemme gab, und das alles nur eine Nebelkerze war - im Kommentar "Ein Phantomschmerz" von Harald Freiberger auf Seite 17. Hätte der sich nicht mal früher melden können?

Ein Armutszeugnis ist auch, dass die Wirtschaftsredaktion fünf Spalten einplant, um die Theorien eines Nobelpreisträgers für die eigene Ideologie einzuspannen. Wenn der gleiche Nobelpreisträger dann den USA einen Tag später fiskalische Impulse empfiehlt, wird daraus lediglich eine kurze Notiz ("Nobelpreisträger gibt Rat" auf Seite 19 der heutigen SZ).

Dienstag, 12. Oktober 2010

Wie über Nobelpreise berichtet wird

Auf Seite 21 wird im Artikel "Die Theorie zu den Hartz-Reformen" über die Vergabe des Wirtschaftsnobelpreis für die Arbeit zu Suchmärkten berichtet. Nun kenne ich diese Arbeiten nicht, aber es ist schwer vorzustellen, dass sie so undifferenziert sind wie die Berichterstattung in diesem Artikel.

Durch eine Politik des Förderns und Forderns, aber auch durch eine effizientere, Suchkosten reduzierende Arbeitsvermittlung kann die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzt werden. Darum geht es bei Hartz IV. Leistungsausweitungen führen letztlich zur Verlängerung der Arbeitslosigkeit.

Das wäre glaubwürdig, wenn die Anzahl der offenen Stellen in der gleichen Größenordnung wäre wie die Arbeitslosigkeit, oder offene Stellen lange Zeit mangels Bewerbern unbesetzt blieben. Beides ist nicht der Fall.

Tatsächlich ist ein effizienter und transparenter Arbeitsmarkt eine feine Sache, aber politisch jetzt darauf zu setzen ist falsch. Genau darauf hat die Politik die letzten 10 Jahre schon gesetzt. Also sind inzwischen entweder alle Schwächen ausgeräumt oder die Politik ist einfach nicht in der Lage, die verbleibenden Schwächen auszuräumen.

Abgesehen davon: auch ein noch so effizienter Arbeitsmarkt kann keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Letztlich sind die ganzen im Zitat angepriesenen Maßnahmen nur Quacksalberei wenn es darum gehen soll, die Arbeitslosenquote signifikant zu senken.

Freitag, 8. Oktober 2010

Die Generationenlüge

Nina von Hardenberg - was für eine lustige Fügung - verbreitet auf der Meinungsseite in ihrem Kommentar "Der Kettenbrief der Pflegeversicherung" das weit verbreitete fehlgeleitete Weltbild in Sachen Generationenkonflikt. Das fängt inhaltlich so an:

Die Dummen sind heute die jungen Beitragszahler. Denn wenn sie einmal gebrechlich sind, wird es viel mehr alte und weniger junge Menschen geben. Man muss kein Mathematik-Genie sein, um zu wissen, dass dann entweder jeder weniger bekommt oder die Versicherung wesentlich teurer wird.

Dumm sind die jungen Beitragszahler in der Tat wenn sie sich darum Sorgen machen, wie viel Geld sie im Alter zur Verfügung haben werden. Viel wichtiger als die Frage nach dem Geld ist nämlich die Frage, wie viele reale Güter und Dienstleistungen sie im Alter in Anspruch nehmen können werden.

Wird es der realen Wirtschaft in 50 Jahren gut genug gehen, um die (vermutlich, aber so klar ist das bei weitem nicht - wer kann schon zuverlässig 50 Jahre in die Zukunft sehen) alternde Bevölkerung mit künstlichen Hüftgelenken zu versorgen? Falls ja, dann kann ein geldtechnisch souveräner Staat - den wir dann hoffentlich wieder haben werden, egal ob in einem EU-Rahmen oder nicht - das auch immer bezahlen, wenn es denn politisch gewollt ist. Ich empfehle die Auseinandersetzung mit Modern Monetary Theory, falls diese Aussage merkwürdig erscheint.

Wenn aber umgekehrt die reale Wirtschaft nicht leistungsfähig genug ist um die künstlichen Hüftgelenke herzustellen, dann helfen auch die größten Sparvermögen nicht weiter.

Ironischerweise führt die Panik vor eingebildeten Finanzierungsschwierigkeiten der zukünftigen Altersversorgung zu einer Politik, die die realwirtschaftlichen Voraussetzungen für eben diese Altersversorgung eher behindert. Wenn die Politik durch entsprechende Anreize die Sparquote der Bevölkerung erhöht und so den Konsum reduziert, schwächt das die reale Wirtschaft ganz konkret. Eine geschwächte Wirtschaft investiert aber weniger in die Forschung und Entwicklung die wir brauchen, um die Voraussetzungen für die zukünftige reale Versorgung der Gesellschaft zu gewährleisten.

Die Denkfehler, die zu dieser wirren Politik führen, sind ein durchaus verständlicher Fall vom Trugschluss der Komposition. Spart ein einzelnes Individuum mehr als andere, so erarbeitet es sich dadurch höchstwahrscheinlich den Vorteil, damit zukünftig über mehr reale Güter und Dienstleistungen verfügen zu können.

Wenn aber jeder spart, dann tritt dieser positive Effekt in der Zukunft nicht ein, während gleichzeitig negative Effekte in der Gegenwart ausgelöst werden (weil die Regierung irrationale Angst vor fiskalischen Impulsen hat).

Zusammen mit all den anderen Problemen einer privaten kapitalgedeckter Altersversorgung, wie zum Beispiel die Unsicherheit gegenüber Wirtschaftskrisen und ihrer Ineffizienz im Vergleich zu staatlichen Umlagesystemen, ist es geradezu zum Heulen, dass sie von Politikern nahezu aller Parteien als gutes Modell für eine Gesellschaft angepriesen wird.

Wenigstens eine Sache hat Nina von Hardenberg kapiert:

Eine gerechte Reform muss auch einen Ausgleich zwischen den privaten und den gesetzlichen Kassen schaffen. [...] Tatsächlich ist der derzeitige Zustand unhaltbar, dass Privatversicherungen dank vieler gesunder Mitglieder günstiger sind als Kassen – dass sich also Spitzenverdiener bei einem exakt gleichen Angebot billiger versichern können als Arme.

Freilich wäre es aus marktwirtschaftlicher Perspektive besser, die gesetzliche Versicherung verpflichtend zu machen, und private Versicherungen nur als Zusatzversicherungen zuzulassen.

In seinem Kommentar "Liberaler Irrläufer" auf Seite 17 demonstriert Marc Beise mal wieder sehr schön, wie extrem ideologisch verdreht er eigentlich ist. An sich ist das kein Problem: Kommentare sind da, um Meinungen zu enthalten. Problematisch wird es, wenn es gelingt krass ideologische Positionen als unideologisch zu verkaufen, weil nicht genug Meinungsvielfalt vorhanden ist. Daher will ich einmal ein paar Dinge gegenkommentieren, insbesondere den Hammer, den sich Beise am Ende leistet:

Wer der Wirtschaft zu viele Regeln oder zu hohe Kosten aufhalst, vernichtet Jobs. Dies immer wieder zu betonen, wäre die Aufgabe des Wirtschaftsministers.

Aufgabe des Wirtschaftsministers ist die Leitung des Wirtschaftsministeriums, und zwar gemäß der Richtlinien des Kanzlers, so dass die Regierung ihr indirekt durch die Bevölkerung aufgetragenes politisches Mandat erfüllen kann.

In einer Zeit, in der für jeden sichtbar unterreguliert wird, ist es verkehrt, vor zu vielen Regeln zu warnen. Natürlich kann das Pendel auch wieder in die andere Richtung schwingen, dann muss man sich womöglich über zu restriktive Regeln Gedanken machen. Im Moment sind wir davon noch sehr weit entfernt.

Aber im Grunde ging es in dem Artikel ja um Lohnsteigerungen. In diesem Kontext sind es hauptsächlich Auslassungen, die man Beise vorwerfen muss.

Um zu verhindern, dass sein schräges Weltbild nicht gefährdet wird unterschlägt er, dass sich die Löhne in Deutschland über viele Jahre hinweg unterhalb der Produktivitätssteigerung entwickelt haben und so der Anteil der Arbeitnehmer an den erzielten Umsätzen zurückgegangen ist. Die schwächelnde Binnennachfrage, unter der Deutschland leidet, lässt sich auch auf diese Entwicklung zurückführen - schließlich sind volkswirtschaftlich betrachtet die Löhne nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch eine Einnahmequelle für Unternehmen.

Auch Helga Einecke übersieht in "Wette gegen den Dollar" den Elephanten im Raum.

Der starke Euro könnte einen Mann wie den EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet freuen. Ist der nicht der sichtbarste Beweis dafür, dass im Euroraum wieder alles in Ordnung ist? Wer so denkt,
liegt doppelt falsch.

In der Tat, aber der Kommentar übersieht das eigentliche Problem. Der Sparkurs der Regierungen der Euro-Länder wirkt sich negativ auf die Nachfrage in diesen Ländern aus. Solange diese (in meinen Augen vollkommen verkehrte) Politik weiterbesteht kann ein kräftiges Wirtschaftswachstum über die ganze Euro-Zone also rein aus unverrückbaren Bilanzgründen nur durch Nachfrage aus dem Ausland - sprich Netto-Exporte in Nicht-Euro-Länder - entstehen oder durch vermindertes Sparen bzw. steigende Verschuldung des privaten Sektors - ich persönlich halte Letzteres angesichts der noch frischen Erinnerung an die Finanzkrise für unplausibel (aber wer weiß das schon sicher).

Ein starker Euro wirkt sich auf Exporte aber negativ aus und macht dadurch die "Sanierungs"-Politik der Euro-Regierungen zunichte. Ein starker Euro kombiniert mit der aktuellen Politik ist also eine ziemlich schlechte Nachricht.

Soweit ich die Lage verstehe ist die echte Lösung natürlich nicht eine erzwungene Abwertung des Euros sondern eine bessere Politik und die Abkehr vom Exportwahn, aber darüber habe ich ja schon des öfteren geschrieben.

Zum Artikel "Trichet treibt Europas Währung" auf Seite 24 verweise ich auf Bill Mitchell, der das ganze Gerede um Wechselkurse und insbesondere den Yuan souveräner als ich einordnen kann.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Verstehen die Asiaten die Volkswirtschaft?

Heute lädt eine beinahe nebenbei geschriebene Bemerkung auf Seite 1 im Artikel "Europa und Asien arbeiten enger zusammen" zu amüsanter Spekulation ein:

Wie von Diplomaten zu erfahren war, verknüpfen die asiatischen Länder ihre Bereitschaft, weitgehende Reformen im Rahmen der G 20 zu unterstützen mit der Erwartung an die Europäer, ihre öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen.

Ob die nicht näher genannten asiatischen Länder - ein Kommentar von Cerstin Gammelin auf der Meinungsseite legt nahe, dass es sich primär um China handelt - verstehen, dass ein Sparkurs die europäische Wirtschaft weiter belasten und daher die in Asien gehaltenen Euro-Reserven weiter gefährden wird? Schon jetzt zeichnet sich an einigen Stellen ab, dass es wieder bergab gehen wird.

Da zumindest China die heimische Wirtschaft mit massiven Staatsdefiziten anfeuert muss man eigentlich davon ausgehen, dass sie sich dieser Mechanismen bewusst sind. Ist also das Drängen auf einen Sparkurs ein geschickter Akt der volkswirtschaftlichen Sabotage? Andererseits: die Euro-Regierungen reiten sich ganz von alleine in den Absturz und brauchen dafür keine chinesischen Einflüsterer. Vielleicht glauben die Chinesen also wirklich, dass die europäischen Volkswirtschaften nach ganz anderen Kriterien funktionieren als ihre eigene?

Kurios ist das alles jedenfalls.

Über die Dummheit eines Sparkurses habe ich schon anderswo geschrieben, deshalb will ich im Zusammenhang mit dem Artikel "Bundesbank verlangt härteren Sparkurs" auf Seite 6 auf etwas anderes hinweisen:

So erklärte der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften, durch die Einführung einer Flugticketsteuer mit einem jährlichen Aufkommen von einer Milliarde Euro drohe der Verlust von sechs Millionen Passagieren im Jahr und von 16 400 Arbeitsplätzen.

Man fragt sich, woher solche Zahlen kommen - insbesondere fragt man sich, ob irgendjemand über die interne Logik solcher Zahlen zueinander nachdenkt.

Setzen wir doch die 6 Millionen Passagiere weniger den 16 400 verlorenen Arbeitsplätzen gegenüber, dann kommen wir auf knapp 366 Passagiere pro Arbeitsplatz. Das Jahr hat ungefähr 366 Tage. Im Klartext heißt das also: der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften behauptet, dass die Fluggesellschaften 16 400 Arbeitsplätze einsparen könnten, wenn pro Tag 16 400 Menschen weniger fliegen würden.

Diese Zahlen kann man also getrost als übertriebene Schaumschlägerei eines Lobbyverbands ignorieren.

Zu guter Letzt gehört zu Kritik auch, dass man Gutes lobt. In diesem Zusammenhang gefällt mir Fabian Heckenbergers Artikel "Halbvoll bis halbleer" auf Seite 19 zumindest insofern, als er auf die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten ein und derselben Nachricht hinweist, wie auch ich es schon zu einem anderen Anlass getan habe.

Die Zwischenüberschrift ist leider ziemlich tendenziös. Aber ich bin schon froh, wenn ich im SZ-Wirtschaftsteil einen Artikel wenigstens teilweise loben kann.

Samstag, 2. Oktober 2010

Selbstverschuldete Handlungsunfähigkeit

Heute ist Marc Beise auf der Meinungsseite an der Reihe mit seinem Kommentar "Wer wie viel verdient". Genüsslich präsentiert er wieder einmal ein Lieblings-"Argument" derjenigen, die den Staat in seinem Freiraum bei der Regulierung der Finanzmärkte einschränken wollen:

Die Politik hat dazu auf dem Papier alle Möglichkeiten. Der Gesetzgeber kann, unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, Managervergütung steuern, Spitzeneinkommen begrenzen, Boni verbieten. Er kann den Spitzensteuersatz nach oben schieben, bis es schmerzt.

All das ginge - nur ist Deutschland dummerweise keine Insel, und Geld ein flüchtiges Gut. In der globalisierten Welt würden die internationalen Kapitalströme sofort, buchstäblich über Nacht, in andere Staaten und Volkswirtschaften fließen.

Der Spitzensatz der Einkommenssteuer wirkt sich nicht auf Unternehmensbilanzen aus, wieso sollte er also einen Einfluss auf Investitionsentscheidungen haben? Wenn Spitzeneinkommen begrenzt werden, wirkt sich das sogar ganz unmittelbar positiv auf die Bilanzen aus.

Hier wird versucht, einen Zusammenhang herzustellen wo ganz offensichtlich keiner existiert. Die Schauergeschichten, mit denen hier die Handlungsfähigkeit von Regierungen eingeschränkt werden soll, sind frei erfunden. Das ist aber nicht der einzige Mythos, den Marc Beise heute weiter zu verbreiten versucht:

Will man diese Schranke aushebeln, müsste man Mindestlöhne festsetzen, nicht wie bisher nach sorgfältiger Abwägung Branche für Branche, sondern generell. Das aber wäre ein schwerer Eingriff in die Marktwirtschaft, Arbeitsplätze in großer Zahl würden unrentabel und gingen verloren.

Die Arbeitsplätze, von denen er hier spricht, sind heutzutage nur deshalb rentabel, weil die Arbeitnehmer ihren mageren Lohn vom Staat aufstocken lassen können. Hierin liegt der wahre Eingriff des Staates in die Marktwirtschaft, und mit einem Mindestlohn könnte diese Verzerrung des Wettbewerbs endlich beendet werden.

Im Übrigen ist es keinesfalls so, dass irgendjemand mit Sicherheit sagen könnte, ob sich die Einführung eines Mindestlohns positiv oder negativ auf die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze auswirken würde. Ein Blick ins europäische Ausland, in dem überwiegend gesetzliche Mindestlöhne gelten, legt aber nahe, dass der Effekt eher positiv wäre. Eine von ver.di in Auftrag gegebene Studie kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass durch einen Mindestlohn netto mehr Arbeitsplätze entstehen würden.

(Das bedeutet, dass zwar einzelne Arbeitsplätze tatsächlich verloren gehen können, insgesamt aber - indirekt durch den positiven Impuls für den Konsum - mehr neue Arbeitsplätze entstehen würden.)

Im Wirtschaftsteil auf Seite 23 wiederholt Alexander Hagelüken im Kommentar "Das Währungsdrama" vielen Unsinn, den ich hier bereits krisiert haben. Ich will aber auch auf einen neuen Aspekt hinweisen.

Zum einen müssen staatliche Defizite frühzeitig begrenzt werden, bevor sie auf einen Ballon der irischen Größe anschwellen, der kaum zu steuern ist.

Hinter dieser Aussage versteckt sich die implizite Behauptung, Regierungen könnten das Staatsdefizit direkt kontrollieren. Dass das falsch ist, sieht man empirisch unter anderem an Irland, das trotz größter (dummer) Bemühungen nicht in der Lage ist, das Staatsdefizit wie gewollt zu senken, weil mangels Wirtschaftsaktivität einfach die Steuereinnahmen ausbleiben.

Das Staatsdefizit ergibt sich nach den politischen Ausgabenentscheidungen zum großen Teil aus der Differenz aus Sozialausgaben und Steuereinnahmen, und diese Differenz ergibt sich nunmal aus der Konjunktur, auf die die Regierung nur indirekt Einfluss nehmen kann. Wenn sie z.B. wie jetzt die fiskalischen Impulse zurückfährt, wird sich die Differenz aus Sozialausgaben minus Steuereinnahmen zwangsläufig vergrößern, weil einerseits durch höhere Arbeitslosigkeit die Sozialausgaben steigen und andererseits durch verminderte Wirtschaftsaktivität die Steuereinnahmen zurückgehen.

Dann kommt es darauf an, ob diese Vergrößerung geringer ausfällt als die Einsparung durch reduzierte fiskalische Impulse. In der aktuellen Lage sieht es eher so aus, als ob jeglicher Sparversuch durch die dadurch verschlechterte Konjunktur zunichte gemacht würde.

Wenn unsere Politiker kapieren würden, dass sie erstens keine Kontrolle über das Staatsdefizit haben und dass das zweitens eigentlich auch gar nicht so schlimm sein müsste - wenn nicht die Sache mit den Staatsschulden wäre - dann wäre uns allen viel geholfen.

Was ist also die Sache mit den Staatsschulden? Für einen souveränen Staat sind Staatsschulden kein Problem - aber die Euro-Länder sind leider nicht souverän. Irgendwann dazu vielleicht mehr Hintergründe, vorerst nur eine kurze Anmerkung:

Die Währungsunion wird nur weiterbestehen, wenn die einzelnen Mitglieder aufhören, gegeneinander zu arbeiten. Es muss vorbei sein mit exzessiven Schulden, die ohne Hilfe fremder Steuerzahler in den Staatsbankrott führen.

Diese Aussage ist naiv. Deutschland hatte mit seiner föderalen Struktur zu DM-Zeiten im Prinzip die gleichen strukturellen Schwierigkeiten wie die Euro-Zone heute, nur dass das durch Länderfinanzausgleich und eine starke Bundesregierung immer abgefedert werden konnte. Wenn das Experiment Euro langfristig funktionieren soll, müssen auf Euro-Ebene ähnlich starke Ausgleichsmechanismen eingeführt werden.

Was ist dagegen das Rezept des heutigen Leitkommentators der SZ-Wirtschaftsredaktion?

Gleichzeitig gingen viele Spanier auf die Straße, um eine Politik zu blockieren, die dem Land eine Zukunft verspricht: flexibleres Arbeitsrecht und höheres Rentenalter, um die Arbeitslosigkeit von 20 Prozent zu senken und den Sozialstaat finanzierbar zu halten.

Die letzten 20 Jahre haben unübersehbar gezeigt, dass eine Lockerung des Arbeitsrechts nicht zu einem echten Anstieg der Anzahl der Arbeitsplätze führt. Bestenfalls versteckt man das Problem dadurch wie in Deutschland in einem Sektor der Unterbeschäftigung.

Zynisch ist auch der Vorschlag, das Rentenalter zu erhöhen um den Sozialstaat finanzierbar zu halten. Zur Erinnerung: Sagen wir, die aktive Erwerbsbevölkerung ist A, die Anzahl der Erwerbstätigen ist B, und die Arbeitslosen sind C. Dann gilt per Definition:

A = B + C

Ein Erhöhen des Rentenalters erhöht logischerweise die Zahl A. Also muss entweder B oder C größer werden. Aber wieso sollten Firmen neue Mitarbeiter einstellen, nur weil plötzlich mehr ältere Menschen arbeiten wollen? B wird sich alleine durch das Erhöhen des Rentenalters nicht verändern.

Wenn alle anderen Parameter gleichbleiben führt eine Erhöhung des Rentenalters zwangsläufig zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Die wiederum belastet den Sozialstaat. Wie sich die Sozialstaatsausgaben durch die Erhöhung des Rentenalters verändern hängt also im Wesentlichen nur davon ab, wie groß die Ausgaben für Arbeitslose gegenüber den Renten sind.

Mit vernünftiger Politik hat das nichts zu tun.

Die anderen Rezepte zeichnen sich auch nicht gerade durch Nachdenken aus:

Es ist eine falsche Wirtschaftspolitik, die Länder wie Griechenland oder Spanien an den Abgrund führt: Zu hohe Löhne, die nicht durch Exporterfolge finanziert sind. Und zu hohe Sozial- und Rentenausgaben, die sich nicht bezahlen lassen.

Hier schwingt wieder die Vorstellung mit, dass doch alle Länder dem Beispiel Deutschlands folgen sollten und die Arbeitnehmer belasten um zu Exportländern zu werden. Das ist ein klassischer Fall vom Trugschluss der Komposition. Wenn jedes Land so vorgeht, kann dies nicht gelingen, da schließlich den Exportländern auch Importländer gegenüberstehen müssen. Daraus entsteht ein Wettbewerb in den Abgrund, bei dem die Staaten darum wetteifern, wer es seinen Bürgern schlechter gehen lassen kann um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Das kann nicht Sinn und Zweck von Wirtschaftspolitik sein.

Am Ende noch ein Hinweis auf eine Notiz auf Seite 25, "Arbeitsmarkt erholt sich nur langsam", zu einer Mitteilung der International Labour Organisation. In diesem Zusammenhang will ich auf Bill Mitchells Analyse dieser Mittelung verweisen.

Freitag, 1. Oktober 2010

Wie man Unternehmen ruiniert

Heute ist mal Ruhepause, man kann sich schließlich nicht immer aufregen. Nur auf das schöne Fazit Christian Webers auf der Wissenseite der heutigen SZ möchte ich hinweisen, da es ganz gut zum Thema dieses Blogs passt. Den Artikel über eine Studie zu Diskussionskultur schließt er recht schnippisch:

Wer also ein Unternehmen ruinieren möchte, ruft am besten regelmäßig männliche Runden egomanischer Eierköpfe zusammen.

Noch Fragen?