Dienstag, 23. November 2010

Pause

Ich habe beschlossen, dieses Blog eine Weile ruhen zu lassen. Bei allem Hin und Her zu Griechenland stellt die Presse zwar womöglich langsam fest, dass die Bundesregierung nicht mehr im Interesse der Bürger agiert, und warum, aber in Sachen volkswirtschaftlichen Verständnisses entwickelt sie sich nicht weiter. Das hat zur Folge, dass auch dieses Blog nicht all zu viel Spielraum für Entwicklungen bietet.

Sicher werde ich zu solchen Themen ab und zu auf meinem eigentlichen Blog schreiben. Und falls mich ein besonders blöder Artikel einmal mehr auf die Palme treiben sollte, werde ich mich hier auch wieder zu Wort melden.

Fürs Erste will ich aber nur noch einmal auf ein paar Ressourcen hinweisen, die die geneigte Leserin, die ernsthaft etwas über die wirtschaftlichen Zusammenhänge lernen möchte, nützlich finden könnte. Da wäre als Einstieg das Buch "7 Deadly Innocent Frauds" von Warren Mosler. Tiefer gehend ist das billy blog von Bill Mitchell. Ich kann auch das Totholz-Buch "Understanding Modern Money" von Randall Wray empfehlen.

Speziell aus dem deutschsprachigen Raum empfehle ich die NachDenkSeiten. Sie widmen sich einer allgemeinpolitischen Alternative zur gängigen Medienlandschaft, aber enthalten auch immer wieder progressive volkswirtschaftliche Analysen. Sie ignorieren die Lektionen der Modern Monetary Theory leider, sind aber trotzdem empfehlen, weil die meisten volkswirtschaftlichen Zusammenhänge ja nicht zwangsläufig damit zu tun haben, ob wir Fiat-Geld verwenden oder nicht.

Samstag, 20. November 2010

Scheuklappen

Nach seinem Kommentar "Seil für Europa" auf Seite 23 müssen wir wohl auch Martin Hesse zu den Menschen in der SZ-Redaktion, deren Blick für die eigentlichen Probleme und Möglichkeiten in der jetzigen Situation verstellt ist, zählen.

Die Notenbank aber muss politisch unabhängig agieren können, um ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen: für einen stabilen Euro zu sorgen.

Das Mantra eines stabilen Euros als oberstes Ziel in der Wirtschaftspolitik ist tief verwurzelt und ein großer Teil des Problems. Man vergleiche diese dogmatisch einseitige Ausrichtung mit der deutlich weiseren Zielsetzung des Magischen Vierecks.

Staaten wie Portugal, Griechenland und Irland sind ... nicht wettbewerbsfähig. Um es zu werden, müssten sie Preise, Pensionen und Löhne drastisch senken – oder aus der Euro-Zone austreten, um die Währung abwerten zu können.

Ein typischer Fall von Scheuklappen der Angebotsökonomen. Würde die deutsche Regierung dafür sorgen, dass in Deutschland der Lohnanteil am Gesamteinkommen wieder steigen und dadurch die Nachfrage im Binnenmarkt anregen, so würde das über deutsche Importe aus den betroffenen Staaten ganz wesentlich zur Entschärfung der Situation beitragen. Aber dazu müsste man auf die Nachfrageseite schauen - ein pragmatischer Schritt, dem sich die Mainstreamökonomen aber aus ideologischen Gründen widersetzen.

Immerhin, was die politische Zielsetzung angeht bin ich mit dem Autor einig:

Statt die Währungsunion aufzugeben, sollte die EU die Fiskal- und Wirtschaftspolitische Union folgen lassen.

Wenn er nur auch die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge richtig verstehen würde!

Ziemlich unsympathisch ist der Artikel "Drei Männer, eine Krise" auf Seite 25. Man kann von sachlichen Diskussionen durchaus ablenken, indem man sie zu Diskussionen ums Personal macht, aber Qualitätsjournalismus sieht anders aus. Dominique Strauss-Kahn vom IWF ist jedenfalls hoffnungslos im Gedankenkäfig der Neoliberalen gefangen:

Europa, so Strauss-Kahn weiter, solle auch die Reform des Jobmarktes voranbringen, da es unter einer chronisch hohen Arbeitslosigkeit leide. „Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir eine verlorene Generation haben – vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt.“

Das Gefahr der "verlorenen Generation" ist sehr real. Aber Reformen des Jobmarktes haben damit überhaupt nichts zu tun, es sei denn, man würde z.B. das Renteneintrittsalter senken.

Das Problem ist im Grunde sehr einfach. Es gibt weniger Arbeitsplätze als arbeitende Menschen. Als Beispielrechnung: wenn die gesamte arbeitende Bevölkerung aus 40 Millionen Menschen besteht, es aber nur 35 Millionen Arbeitsplätze gibt, dann gibt es logischerweise 5 Millionen Arbeitslose.

Die typischen neoliberalen Reformkonzepte ändern daran nichts. Durch größere Stigmatisierung der Arbeitslosen oder verstärkte Schulungsmaßnahmen werden keine Arbeitsplätze geschaffen (gut, irgendjemand muss die Schulungen durchführen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein).

Die einzigen Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, und damit zur Vermeidung einer "verlorenen Generation", sind die Größe der arbeitenden Bevölkerung zu reduzieren (durch längere Schulzeit oder ein früheres Renteneintrittsalter) oder die Anzahl der Arbeitsplätze zu vergrößern.

Letzteres erreicht man am Besten durch expansive Fiskalpolitik.

Mittwoch, 17. November 2010

Es kriselt

Es ist einmal wieder so weit (und ich habe es mehr oder weniger deutlich vorhergesehen): die Euro-Krise bringt es zum Leitartikel auf Seite 1, "Europäische Union ist in Überlebenskrise". Dankenswerterweise beschränkt sich der Artikel weitgehend auf die Fakten. Aber er zeigt uns gleichzeitig, dass die deutsche Regierung ein Problem bei der Wahrnehmung der Realität hat:

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ... wies Kritik etwa des griechischen Premiers Giorgos Papandreou zurück, durch die deutsche Forderung, private Gläubiger zu beteiligen, sei eine Schuldenspirale in Gang gesetzt worden. Solidarität sei keine Einbahnstraße, mahnte er. Die Spekulationen „haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun“. Die neuen Regeln würden erst von 2013 an gelten.

Versetzen wir uns einmal in die Lage eines Portfoliomanagers, der die zur Zeit ungewöhnlich undankbare Aufgabe hat, für den Fonds oder die Versicherung, die ihn anstellt, Anleihen der Euro-Länder zu kaufen. Früher war das eine denkbar einfache Aufgabe: Staatsanleihen waren ein ausfallsicheres Geschäft, es ging also nur darum, möglichst höhe Gewinne herauszuschlagen. Dafür gibt es herzlich einfache Formeln, die man sich mit ein wenig Arithmetik selbst herleiten kann.

Heute ist die Lage anders. Anleihen von Griechenland, Irland, und einigen anderen Ländern versprechen rekordverdächtig hohe Renditen. Das Problem ist nur, dass die deutsche Regierung seit einiger Zeit sehr deutlich macht, dass Anleihen zukünftig nicht mehr ausfallsicher sein sollen - und natürlich sind gerade die Länder, deren Anleihen besonders hohe Renditen versprechen gleichzeitig diejenigen, bei denen eine etwaige Insolvenz am wahrscheinlichsten ist, wenn sie - und danach sieht es im Moment aus - politisch gewollt ist.

Ein Portfoliomanager kann daher auch Schäubles Aussage, neue Regeln würden erst ab 2013 gelten, auch nicht ernst nehmen. Die Politik hat seit der Griechenland-Krise sehr klar gezeigt, dass auf sie kein Verlass ist. Eine Insolvenz könnte daher lange vorher eintreten - wenn sie denn politisch gewollt ist. Und selbst wenn Schäuble mit seinem Zeitfenster bis 2013 Recht behalten sollte ist das - aus Sicht des Managers - keine Beruhigung, denn bei einer Insolvenz sind auch ältere Forderungen nicht sicher. Es ist also kein Wunder, dass die Zinsen auf 10-jährige Anleihen mancher Euro-Staaten zur Zeit explodieren.

Es ist übrigens auch kein Wunder, dass im gleichen Zeitraum die Zinsen auf deutsche 10-jährige Anleihen auf ein Rekordtief gesunken sind, eben weil besagte Portfoliomanager hin zu diesen als sicher geltenden Anleihen getrieben werden. Das Bundesfinanzministerium steht dadurch so gut da wie selten zuvor.

Ich habe mehrfach betont, dass eine Staatsinsolvenz politisch gewollt sein muss, denn es gibt eine Alternative - das lehrt uns die Modern Monetary Theory. Die Finanzminister der Euro-Zone könnten die EZB dazu verpflichten, für die Sicherheit der Staatsanleihen der Euro-Staaten zu garantieren. Das geht ganz pragmatisch mit wenigen Eingriffen in das System, und ohne Geldtransfer zwischen den Mitgliedsstaaten. Keiner der anderen Mitgliedsstaaten würde für diese Aktion auch nur einen Euro hergeben.

Das würde nicht bedeuten, dass den Euro-Regierungen beliebig große Defizite ermöglicht würden. Vielmehr bedeutet es, dass zwischen Regierungen, EZB und Europäischem Parlament eine Höhe der Schuldenaufnahme ausgehandelt wird, für die die EZB garantiert.

Ein solches Vorgehen wäre volkswirtschaftlich unproblematisch, würde die Schuldenkrise mit einem Schlag beenden und die europäische Integration in Hinblick auf eine abgestimmte Wirtschaftspolitik voranbringen. Es würde vor allem eine Zuwendung zu den eigentlichen Problemen ermöglichen - nämlich zur Wirtschaftskrise und der skandalös hohen Arbeitslosigkeit.

Da haben wir also den Weg, den die Bundesregierung geht, und eine Alternative. Ich bin mir sicher, dass Schäuble diese Zusammenhänge versteht. Schließlich ist er Finanzminister und damit der Chef über die Bundesfinanzagentur, die für die Ausgabe der Bundesanleihen zuständig ist. Wie unser Geldsystem funktioniert müsste ihm inzwischen jemand erklärt haben.

Es bleibt nur eine Erklärung. Wolfgang Schäuble, Mitglied der angeblich so europafreundlichen CDU, nimmt den Kollaps der Euro-Zone - und damit womöglich der Europäischen Union - in Kauf, um sich selbst einen persönlichen politischen Vorteil zu verschaffen - denn das Bundesfinanzministerium steht in der ganzen Situation zweifellos glänzend da.

Richtig traurig macht der Kommentar von Alexander Hagelüken auf Seite 4, "Der Preis des Euro".

Wenn Merkel ihre Pläne einstampft, wären Investoren und unsolide Regierungen im Paradies. Die Spekulanten könnten jederzeit hohe Zinsen auf irische oder griechische Staatsanleihen kassieren ohne Verlustrisiko – im Notfall würde ja allein der Steuerzahler einspringen. Und die Griechen könnten ihre Rekordverschuldung fortsetzen, weil sie von den Finanzmärkten keinen Druck mehr bekämen und von den Europartnern im Notfall doch Hilfe.

Ich habe schon weiter oben eine solidere Lösung des Problems angeschnitten, aber an dieser Stelle sollte ich weiter ausholen. Was keiner der Kommentatoren in der SZ versteht ist, dass in einem soliden Fiat-Geldsystem Staatsanleihen nicht der Finanzierung der Regierungsausgaben dienen. Die Regierung könnte Geld einfach ausgeben, und wenn die Regierung ein inflationsneutrales Defizit fährt dann liegt das einfach daran, dass der private Sektor Geld sparen will. Staatsanleihen dienen dann dazu, den Sparern eine verzinste Alternative zu Geld anzubieten. Dementsprechend steht es der Regierung eines Fiat-Geldsystems frei, die Zinsen, die auf Anleihen bezahlt werden, so zu wählen wie sie es will. Sie will 5% zahlen? Kein Problem. Sie will nur 1% zahlen? Auch kein Problem.

Der Haken bei der Eurozone ist, dass sie keine Regierung hat. Es wird auch äußerst schwierig sein, eine solide Regierung in hinreichend kurzer Zeit aufzubauen. Deshalb wäre es sinnvoll, die Aufgaben einer Euro-Regierung zumindest übergangsweise auf die nationalen Regierungen aufzuteilen. Eine dieser Aufgaben ist es, dem zyklischen Sparwillen des privaten Sektors mit einem entsprechenden Defizit entgegenzukommen. Aber wenn man diese Aufgabe auf nationale Regierungen übertragt, dann muss man ihnen auch einen Schutzschild gegen den Finanzmarkt geben. Dieser Schutzschild muss über Garantien der EZB bzw. Garantien eines noch zu schaffenden Euro-Finanzministeriums aufgebaut werden.

Das ist ein Teil des theoretischen Hintergrunds, der hinter meinem oben skizzierten Vorschlag steckt.

Europas Politiker sollten vereint Demonstranten in Athen oder demnächst Dublin klarmachen, dass es zu harten Sparhaushalten keine Alternative gibt.

Diese Art von Quatsch wird auch dann nicht wahrer, wenn man ihn täglich nachbetet. Die momentane Wirtschaftskrise zeichnet sich durch stillstehende Produktionskapazitäten - und ganz besonders hoher Arbeitslosigkeit - wegen mangelnder Nachfrage aus. In dieser Situation staatliche Ausgaben zurückzufahren wird die Nachfrage, und damit auch die Einkommen, noch weiter reduzieren. Und wenn die Einkommen des privaten Sektors weiter sinken, sinken auch die Ausgaben des privaten Sektors und damit die Nachfrage weiter - die Summe aller Einkommen ist gleich der Summe aller Ausgaben - wodurch die Steuereinnahmen weiter sinken und das Defizit weiter steigt.

Man kann eine stabile Wirtschaft auch erreichen, indem man die Wirtschaftsleistung auf Null fallen lässt.

Schön aber falsch rechnet Thomas Öchsner auf auf Seite 6 im Artikel "Mehr Geld für Rentner":

Die 20,4 Millionen Rentner in Deutschland können in den nächsten 15 Jahren auf erfreuliche Rentenerhöhungen hoffen. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die gesetzlichen Altersbezüge bis 2024 um durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr steigen.

Dummerweise sind das nominale Rentenerhöhungen. Wenn man die Inflation berücksichtigt, sehen diese Zahlen alles andere als rosig aus. Besonders kritisch wird das vor dem Hintergrund, dass die Bundesbank ein Inflationsziel von 2% anstrebt. Sollte sie damit erfolgreich sein, würde das jährlich einen Rückgang der realen Renten um 0,1% bedeuten.

Den ein oder anderen Aha-Effekt dürfte der Artikel "Eine These, die nicht passt" auf Seite 17 auslösen.

Es wäre schön gewesen, mit Klaus Brenke zu sprechen. Der Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine Studie mit einer brisanten These verfasst: Einen grundlegenden Mangel an Fachkräften gebe es in Deutschland nicht, lautet sie. Ursprünglich sollte die Untersuchung am Dienstag erscheinen. Noch am Morgen hatte die Pressestelle des Instituts das angekündigt. Am Mittag hieß es dann aber, die Studie werde erst am Donnerstag vorgelegt. Es müssten einige redaktionelle Änderungen vorgenommen werden. Autor Brenke war bis zum Nachmittag nicht erreichbar. Später sagte er am Telefon, er dürfe heute nicht reden. Eine hausinterne Vereinbarung stehe dem entgegen.

Da sieht man mal, wie ernst es dem "Institut für Wirtschaftsforschung" mit der Forschung ist. Vielleicht sollten sie sich in "Institut für Wirtschaftsdogmatik" umbenennen?

Schön ist, dass im Gastbeitrag "Gefährliche Ungleichheit" auf Seite 18 einmal zu Wort kommt, dass die in den letzten drei Jahrzehnten deutlich gewachsene Ungleichheit in Deutschland zu großen Teilen für die Krise verantwortlich ist. Warum aber auch hier vom

... XXL-Wachstum ...

geschwafelt wird, wird mir ein Rätsel bleiben.

Donnerstag, 11. November 2010

"Geld pumpen"

Auf Seite 1 steht heute im Artikel "Merkel verwahrt sich gegen Obamas Kritik":

Obama verteidigte in dem Brief auch die Entscheidung der US-Notenbank, Milliarden Dollar in die lahmende US-Wirtschaft zu pumpen, um den Aufschwung zu beflügeln.

Was wird dort unter "Geld pumpen" überhaupt verstanden? Und steckt darin das Potential, einen Aufschwung zu beflügeln? Lesen wir weiter:

Merkel zeigte sich besorgt angesichts der Entscheidung der US-Notenbank, Staatsanleihen im Wert von 600 Milliarden Dollar anzukaufen.

Aha! In Wirklichkeit wird also überhaupt kein Geld in die Wirtschaft gepumpt! In Wirklichkeit werden finanzielle Mittel mit langer Laufzeit und Zinsen (Anleihen) gegen finanzielle Mittel mit kurzer Laufzeit und ohne Zinsen (Geld) eingetauscht. Das hat natürlich zur Folge, dass die kurzfristigen Zinsen sinken.

Was sich die Monetaristen davon erhoffen ist, dass dann mehr Kredite von Banken an die Wirtschaft vergeben werden. Diese Kredite werden von der Wirtschaft verwendet um die Auslagen zu bezahlen, die zur Produktion benötigt werden. Sie überbrücken also die Zeit zwischen Einkauf von Input und Verkauf von Output.

Die Kehrseite davon ist: diese Kredite werden - ganz unabhängig von der Höhe der Zinsen - nur aufgenommen, wenn die Wirtschaft realistische Hoffnungen hat, den dadurch ermöglichten Output auch verkaufen zu können. Aber genau daran hakt es in der jetzigen Krise: die Nachfrage nach Produkten ist einfach zu niedrig, um die realen produktiven Kapazitäten der Wirtschaft auszulasten. Dadurch entsteht Arbeitslosigkeit.

Die Politik der Fed wird also nichts dazu beitragen, die Krise zu beenden. Wenn die Krise durch eine erleichterte Kreditvergabe beendet werden könnte, dann wäre das schon vor langer Zeit geschehen, als die Zentralbanken weltweit ihre Leitzinsen gesenkt haben. Es ist nicht passiert, also wird es auch zukünftig nicht passieren.

Auf Seite 4 zeigt Nikolaus Piper in seinem Kommentar "Amerikas Schwäche" überraschende Einsicht - mal sehen, wie lange sie anhalten wird:

Derzeit ist immer noch Deflation das größere Risiko als eine Teuerungswelle. Vermutlich werden die jüngsten Aktionen der Notenbank sogar weitgehend folgenlos bleiben.

Den Irrwitz der ganzen Währungsdiskussion hat er aber auch nicht kapiert:

Ohne Aufwertung des Yuan ist an einen Abbau der globalen Ungleichgewichte nicht zu denken.

Das ist so unsinnig. Wenn die USA einen aufgewerteten Yuan wollen haben sie zwei Möglichkeiten. Entweder sie lästern - wie es jetzt passiert - wirkungslos herum in der Hoffnung, eine Aufwertung des Yuan entgegen der natürlichen Entwicklung der Devisen-Märkte zu erreichen.

Oder sie kommen der chinesischen Regierung - die ganz offenbar US$ bunkern will - entgegen und geben ihren Bürgern einfach genug Geld in die Hand, um so lange Produkte aus China zu kaufen bis die chinesische Regierung keine Lust mehr hat und damit aufhört, US$ aufzukaufen.

Bei der zweiten Option folgt die Aufwertung des Yuan als natürliche Entwicklung auf den Devisen-Märkten, und nebenbei profitieren dabei noch die Bürger der USA von den Importen. (Eine ähnliche Analyse würde grob auch auf Deutschland zutreffen, wäre Deutschland nicht an den Euro gebunden. Ein weiterer Unterschied ist, dass Deutschland primär Investitionsgüter, China aber Konsumgüter exportiert.)

Aber warum den einfachen Weg gehen, wenn man auf komplizierte Weise nichts erreichen und trotzdem viel Lärm machen kann?

Während in der SZ von "tö" in "Weise Worte ohne Wirkung" auf der gleichen Seite noch vom

... Superboom ...

fabuliert wird, wird andernorts bereits ein anderes Bild gezeichnet. Möglich, dass sich das noch erholt, aber unwahrscheinlich. Und auch bei dem "Sparvorbild" Irland zeichnet sich inzwischen - wie vorherzusehen war - ab, dass Sparen einfach nicht funktioniert, siehe "Dublin Blues" auf Seite 26. Unkenntnis der Funktionsweise des Systems ist auch hier zu finden:

Ein Auseinanderbrechen der Eurozone, wie vor allem in London gerne kolportiert, sieht er nicht. Auch Meißner hält den Euroraum für „extrem attraktiv“, auch vor dem Hintergrund der Schwächen anderer Währungszonen.

Das ist Unsinn. Der Euro unterscheidet sich von allen anderen Währungen dadurch, dass es in ihm keine souveräne Regierung gibt, die unabhängig von Finanzmärkten als Stabilisator auftreten kann.

Dadurch ist das Euro-System unabwendbar instabil. Schon ein kleiner Ausreißer in den Anleihemärkten kann zu einer selbstverstärkenden Rückkopplung führen, die in einem Staatsbankrott endet. Diese Rückkopplungsschleife funktioniert so. Nehmen wir an, ein Euro-Mitglied leidet besonders unter einer Krise und muss besonders viele Schulden aufnehmen. Dies kann zu Skepsis auf den Anleihemärkten führen, d.h. Investoren meiden die Anleihen dieses Landes. Deshalb muss dieses Land höhere Zinssätze auf die Anleihen bezahlen, wodurch es natürlich letztlich noch mehr Schulden aufnehmen muss, und der Kreis schließt sich.

Souveräne Staaten wie z.B. die USA leiden nicht unter einer solchen Rückkopplungsschleife. Sie können dem Markt die Zinsraten ihrer Anleihen aufdiktieren. Die Finanzmärkte werden die Anleihen in jedem Fall kaufen um überschüssige Reserven loszuwerden, solange die Zinsrate der Anleihen über der auf überschüssige Reserven von der Zentralbank bezahlten Rate liegt. Diese Zusammenhänge sind einfach zu verstehen, wenn man sich einmal mit der Funktionsweise von Zentralbanken und der Bedeutung von Anleihen in einem vernünftigen Fiat-Geldsystem auseinandergesetzt hat.

Verstärkt wird diese Rückkopplungsschleife in der Euro-Zone übrigens noch ganz extrem durch den "Stabilitätspakt" - welch Ironie! Befindet sich die Wirtschaft eines Landes in der Krise, so ist die angemessene Reaktion des Staates darauf in der Regel eine expansionäre Fiskalpolitik - also ein höheres Defizit. Dieses höhere Defizit wird aber durch den Stabilitätspakt untersagt. So wird die Regierung dazu gedrängt, das Defizit zu reduzieren und dadurch die Wirtschaft des Landes weiter abzuwürgen - genau das passiert gerade in Irland.

Die Katastrophe ist also vorprogrammiert. So gesehen kann man Griechenland für die Griechenland-Krise keine Schuld zuweisen. Wenn Griechenland besser aufgestellt gewesen wäre, dann hätte es eben ein anderes Euro-Land erwischt. Aber irgendjemand musste dran glauben, das wurde durch die Instabilität des Marktes unausweichlich.

Montag, 8. November 2010

Der Albtraum kommt wieder

Voller Schrecken las ich heute in der SZ, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, einen Goldstandard einzuführen. Dabei müsste man nach den Lehren des letzten Jahrhunderts ganz deutlich sagen: "Nie wieder soll die Handlungsfähigkeit souveräner Staaten derart eingeschränkt werden!"

Zur Erinnerung: Goldstandard bedeutet, dass Regierung sich daran binden, Geld zu einem festen Preis gegen Gold einzutauschen. Wenn der Markt mehr Gold verlangt als die Regierung zur Verfügung stellen kann zwingt das die Regierung dazu, die Wirtschaft durch Steuern und andere Maßnahmen abzuwürgen und dadurch ihren eigenen Bürgern unnötiges Leid aufzuzwängen. Dieses Regime wurde vor 40 Jahren aus guten Gründen endgültig abgeschafft.

Schon im Aufmacher der Seite 2 konzentriert sich die kollektive Idiotie der zur Zeit handelnden Politiker:

Die US-Notenbank pumpt gerade viele neue Milliarden in den Markt. Dadurch verliert der Dollar schnell an Wert, die US-Wirtschaft erhält bessere Exportchancen. Werden andere Staaten nun auch ihre Währung verbilligen? Drohen Inflation und neue Turbulenzen in der Weltwirtschaft?

Warum, um alles in der Welt, wollen alle unbedingt so viel exportieren? Handel ist gut, klar. Aber Exporte sind realwirtschaftlich gesehen ein Verlust. Wer exportiert sendet Waren ins Ausland, die dadurch den Bürgern im eigenen Land entgehen. Das kann sich lohnen, wenn man im Gegenzug auch begehrte Waren importiert. Aber diese Kehrseite von Exporten wird totgeschwiegen.

Tatsächlich sollten die USA einfach die einmalige Situation, dass ihnen die halbe Welt ohne Gegenleistung Waren senden will, genießen. Gerne sollen sie von mir aus 600 Milliarden US$ drucken - wenn sie dieses Geld dann direkt ausgeben würden um Arbeitsplätze zu schaffen und das Geld so unter die Bevölkerung zu bringen. Das würde die US-Importe vermutlich kurzfristig noch weiter steigen, und ja, der US$ würde dann vermutlich an Wert verlieren um den Außenhandel wieder auszugleichen - aber zwischenzeitlich hätten die US-Bürger davon massiv profitiert.

Dass es in Deutschland noch keine Revolution gegen den Exportwahn gegeben hat ist auch nur dadurch zu erklären, dass die Bevölkerung nicht versteht, dass Nettoexporte einen ganz konkreten realen Verlust von Lebensstandard bedeuten.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: jedem Deutschen entgehen im Schnitt jährlich 1500€ an Importen, die er oder sie im Falle eines ausgeglichenen Außenhandels mehr genießen könnte.

Ich kann der ganzen Themen-Seite nichts, aber auch gar nichts Gutes abgewinnen. Da steht so viel Unfug drin, zum Beispiel wieder einmal die absolut unsachliche Gleichsetzung von Staatsschulden mit privaten Schulden. Am schlimmsten ist mir heute aber das hier aufgestoßen:

Zu viel Geld in Umlauf treibt die Preise, und dauerhafte Inflation enteignet die Sparer. Knappheit ist daher die wichtigste Eigenschaft von Geld; zumal, wenn dieses selbst keinen materiellen Wert mehr hat wie eben Gold, Muscheln, Kamele oder was immer die Menschen als Zahlungsmittel ersannen.

Die Erwähnung von Inflation im Kontext des Goldstandards ist geradezu lächerlich. Seit der Auflösung des Goldstandards mit dem Ende von Bretton Woods ist die Inflation sehr konsistent niedriger als vorher. Auch die Phasen niedriger Inflation im 19. Jahrhundert in den USA haben mehr mit kontraktionärer Fiskalpolitik zu tun als mit dem Goldstandard. Wenn man also irgendeine Verbindung zwischen Goldstandard und Inflation sehen wollte, dann eher umgekehrt: die Inflation war in Zeiten des Goldstandards höher als heutzutage.

In Wirklichkeit hat die Vorstellung, der Goldstandard habe irgendwas mit Inflation zu tun, nur sehr wenig mit der Realität zu tun.

Übrigens ist auch die Erwähnung von Muscheln vollkommen unsachgemäß. Muscheln wurden nie wegen ihres intrinsischen Wertes als Zahlungsmittel verwendet, sondern wegen ihrer Fälschungssicherheit. Das gleiche gilt entgegen konventioneller Weisheiten auch für Edelmetalle: die Verwendung von Edelmetallen in Münzen war historisch meist eine Maßnahme zur Erhöhung der Fälschungssicherheit und hatte mit dem Metallwert an sich nichts zu tun.

Die SZ-Wirtschaftsredaktion demonstriert unterdessen am lebenden Beispiel, dass man politische Ideologien auch unterstützen kann, indem man bestimmte Dinge einfach totschweigt. Während sie die Zerstörung staatlicher Souveränität durch den Goldstandard zum Leitthema auf Seite 2 hochjubelt, ist ihr die dringend notwendige Diskussion über Junckers Vorschlag, Euro-Anleihen einzuführen - ein wichtiger Schritt in Richtung Wiederherstellung von Souveränität - gerade einmal die Randnotiz "Streit um Europa-Anleihe" auf Seite 21 wert.

Samstag, 6. November 2010

Die Ja-Sager

Ein ganz und gar erstaunlicher Vorgang ist der Artikel "Wie Deutsche künftig ihr Einkommen versteuern" auf Seite 23. Darin wird ganz offen so getan, als wäre der Vorstoß zur Umgestaltung der Einkommenssteuer von Schäuble bereits beschlossene Sache - dabei regt sich sowohl aus der Regierungskoalition als auch von Seiten der Kommunen ganz schön heftiger Widerstand.

Ohne Rücksicht auf demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien macht sich die Wirtschaftsredaktion der SZ hier gewissermaßen zum Propagandaarm des Finanzministers. Ich fühle mich erinnert an den vorauseilenden Gehorsam bei der Umsetzung der geplanten Hartz IV-Änderungen lange vor deren endgültigem Beschluss.

Mir bleibt nur Kopfschütteln.

Erfreulicher ist die Botschaft im Artikel "Europäer sollen gemeinsam für Schulden geradestehen" auf Seite 25.

Der Sprecher der 16 Euroländer, Jean-Claude Juncker, will die Solidarität der Partner untereinander stärken und gemeinschaftliche Anleihen einführen.

...

Künftig sollen die Euroländer solidarisch für einen Teil der Gesamtschulden haften. Die Grenze soll bei dem Schuldenstand liegen, der 60 Prozent der Wirtschaftskraft jedes Eurolandes entspricht – so viele Schulden sind nach EU-Regeln gerade noch erlaubt. Diese Schulden sollten gebündelt und kollektiv garantiert werden, fordert Juncker. Für alle darüber liegenden Schulden müssten die Länder national haften.

Noch steht der genau vorgeschlagene Mechanismus nicht fest, aber das ist ganz klar ein Schritt in die richtige Richtung. Ich schreibe schon länger, dass die Einrichtung einer zentralen Euro-Fiskalregierung notwendig ist, um die Eurozone langfristig am Leben zu erhalten. Die Ausgabe gemeinsamer Anleihen ist ein kleiner, aber wesentlicher Schritt in diese Richtung.

Enttäuschend ist die Begründung, die Juncker verwendet:

Es sei richtig und nachvollziehbar, die Steuerzahler zu entlasten. Nötig sei es jedoch auch, die Finanzmärkte zu beachten. „Wir müssen eine kluge europäische Lösung finden, die beider Interessen berücksichtigt“, sagte Juncker.

Die Notwendigkeit gemeinsamer Anleihen hat nichts mit dem Finanzmarkt zu tun, sondern mit der grundlegenden Funktionsweise eines Fiat-Geldsystems. Das Zitat weckt in mir daher nicht gerade Hoffnung, dass Juncker die Lage wirklich versteht. Wir können trotzdem gespannt sein, was die Zukunft bringt. Vielleicht wird aus der Eurozone ja doch irgendwann mal ein vernünftiges System. Schön wäre es jedenfalls.

Freitag, 5. November 2010

Neue Defizite braucht das Land!

Kurze Meta-Präambel: Wenn ich Posts wie den folgenden schreibe habe ich immer ein wenig schlechtes Gewissen. Für jemanden, der noch nicht in Sachen Modern Monetary Theory aufgeklärt ist, der die allseits verbreiteten makroökonomischen Unwahrheiten absorbiert hat ohne sie jemals zu hinterfragen, für den lesen sich solche Texte bestimmt nicht unbedingt glaubwürdig. Das ist schade, andererseits habe ich dieses Blog ja ganz bewusst ins Leben gerufen, um Dampf abzulassen - denn wenn man zu viel Schmarrn täglich um sich herum liest, sammelt sich leider viel Dampf an. Das ermöglicht mir dann, im echten Leben etwas weniger hitzköpfig zu sein. Und online gibt es ja noch mein anderes Blog, für das ich mir mehr Zeit nehme - mit entsprechenden Folgen für die Blogfrequenz - und auf dem ich stets bemüht bin, sachlich ruhig und ausführlich zu argumentieren.

Ich versichere also hoch und heilig: alles, was ich hier schreibe, meine ich ernst - und ich kann das auch im ruhigen, sachlichen Dialog ausführlich begründen. Aber ab jetzt gilt: immer feste druff!


Heute verbreitet Nikolaus Piper im Kommentar "Gelähmte Weltmacht" auf Seite 4 wieder einmal gefährlichen Unfug.

Rational würde bedeuten: Zunächst noch einmal mit zusätzlichem Geld Arbeitsplätze und Investitionen fördern und dafür sogar kurzfristig ein höheres Defizit in Kauf zu nehmen. Die Perspektive auf eine Wende müsste aber bereits jetzt klar sein. Die USA bräuchten eine überzeugende Strategie, um mittelfristig ihr Staatsdefizit abzubauen. Mit dem Wahlergebnis ist es nun sehr unwahrscheinlich geworden, dass es dazu kommt, um es vorsichtig auszudrücken.

Der Autor fabuliert davon, dass man das Staatsdefizit reduzieren müsse. Ja, warum denn? Was ist an einem Staatsdefizit denn eigentlich so schlimm?

Als Privatperson muss man immer erst Geld einnehmen, bevor man es ausgeben kann. Im Zweifelsfall kann man natürlich Kredite aufnehmen, aber lange geht das nicht gut.

Nur: ein souveräner Staat wie die USA unterliegt solchen Limits nicht. Die US-Bundesregierung kann so viel Geld ausgeben wie sie möchte. Überhaupt kein Problem. Wie, ihr glaubt mir das nicht? Dann denkt doch mal in Ruhe über das hier nach - aus dem gleichen Artikel, wohlgemerkt:

Fast gleichzeitig verkündet die Notenbank Federal Reserve, dass sie weitere 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft pumpen wird.

Hier wird sehr klar demonstriert, dass nichts, aber auch gar nichts, die US-Bundesregierung daran hindern kann, mal auf die Schnelle 600 Milliarden US$ auszugeben. Sicher, die Transaktion wird von der Fed durchgeführt - aber letztlich ist die Fed einfach nur einer von vielen Armen der US-Regierung. Mehr über die Struktur der Regierung und das Verhältnis von Treasury und Zentralbank findet man bei billy blog.

Ist es eine gute Idee, wenn die Regierung beliebig viel Geld ausgibt? Natürlich nicht. Aber sowohl ein zu geringes wie auch ein zu hohes Staatsdefizit haben schädliche Auswirkungen.

Im konkreten Fall der USA sieht die Situation so aus, dass das Wachstum in den USA seit dem Ende der 1990er zu einem sehr großen Teil durch Verschuldung privater Haushalte ermöglicht wurde - durch Kreditkarten, vor allem aber durch Hypotheken. (In diesem Zusammenhang übrigens interessant: 9,5% aller deutschen Haushalte gelten als überschuldet, siehe Seite 28, "Fast jeder Zehnte ist überschuldet"; angesichts der noch frischen Erfahrung mit der Finanzkrise wird sich da aber wohl eher keine Blase entwickeln,) Da aber private Haushalte - im Gegensatz zu souveränen Regierungen - irgendwann an ihre finanzielle Belastbarkeitsgrenze geraten, ist der Hypothekenmarkt dann zusammengebrochen und hat ganz kräftig dazu beigetragen, die weltweite Finanzkrise ins Rollen zu bringen. Als rationale Folge davon versuchen private Haushalte in den USA jetzt, zu sparen - das heißt konkret: zunächst Rückbezahlung von Krediten, dann Aufbau eines kleinen Sicherheitspolsters. Der private Sektor will also sparen.

Gleichzeitig ist die USA eine extreme Importnation, was bedeutet, dass US$ und äquivalente Mittel ins Ausland abfließen.

Für Geld gilt aber Flusserhaltung: die Abflüsse ins Ausland und in privates Sparen müssen irgendwoher kommen - und als Quelle bleibt nur noch die Regierung übrig - siehe auch eine Einführung in die Sectoral Balances. Weigert sich die Regierung, als Geld-Quelle herzuhalten, so führt dies unweigerlich zu einem Wettkampf um US$, bei dem jede Menge Menschen leer ausgehen werden. Landläufig nennt man diese Menschen dann "Arbeitslose".

Die richtige Politik für die US-Regierung (und übrigens für praktisch alle westlichen Staaten zur Zeit) wäre also, die Fluttore zu öffnen um massiv Geld in die Hände der breiten Bevölkerung zu bringen - wir reden hier über Maßnahmen in Billionen-Höhe. Dies würde sinnvollerweise in Form von Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Infrastruktur geschehen.

Und nein, Pläne für einen späteren Ausgleich dieser Defizite muss man keine aufstellen. Wenn ein entsprechender Ausgleich irgendwann volkswirtschaftlich angemessen sein sollte, so wird dies schon deutlich genug sichtbar werden: durch Vollbeschäftigung (weniger als 2% Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitig null Unterbeschäftigung), durch automatische Reduzierung des Defizits durch automatische Stabilisatoren (steigende Steuereinnahmen, sinkende Sozialausgaben), und im Zweifelsfall durch echte Preissteigerungen - und damit meine ich nicht die lächerlichen 2%, bei denen die Monetaristen in den Zentralbanken dieser Welt immer sofort vom Weltuntergang fabulieren. Aber wann dieser Fall eintreten wird, kann niemand vorhersagen.

Wie ist in diesem Zusammenhang das Öffnen der Fluttore durch die Fed einzuschätzen? Im Großen und Ganzen ist es Augenwischerei im großen Stil. Dort werden keine handfesten Investitionen getätigt, wie dies z.B. bei Infrastrukturprogrammen der Fall wäre, sondern nur riesige Summen in Bilanzen hin- und hergeschoben. Der genaue Effekt solcher Maßnahmen ist praktisch unvorhersehbar, vermutlich wird er insgesamt gering bleiben. Lediglich ein paar geschickten Spekulanten wird es vielleicht gelingen, bei einem Umsatz von einer halben Billion US$ noch ein paar goldene Näschen mehr zu verdienen. Und mit etwas Pech entsteht eine Aktienblase, die dann in nicht all zu ferner Zukunft spektakulär zerplatzt - aber dafür müssen die Kurse erst noch hinreichend steigen.

Und weil eine Portion Quatsch in einem Kommentar ja nicht genug ist, liefert Nikolaus Piper dann auch gleich noch die Soße dazu - und zwar nicht zu knapp.

Es geht heute um weit mehr als um Verschwendung und Bürokratie, es geht um ein fundamentales Strukturproblem. Die Vereinigten Staaten müssen, wie andere Industriegesellschaften auch, damit fertig werden, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt.
...
Die Rechnung wird jetzt fällig.

Die neoliberale Propaganda ist inzwischen so weit, dass Meister Piper die Lüge gar nicht mehr beim Namen nennen muss - jeder kennt sie, und die meisten Menschen nehmen sie für bare Münze. Die Wahrheit ist: die demographische Entwicklung ist für einen souveränen Staat unter keinen Umständen ein finanzielles Problem. Wenn eine souveräne Regierung beschließt, dass sie für die Alten im Land sorgen will, dann kann sie immer genug Geld ausgeben um dies auch zu tun - vorausgesetzt, die dafür nötigen Waren und Dienstleistungen können von der Wirtschaft bereitgestellt werden.

Und genau da liegt der Hund begraben: wenn überhaupt, dann ist die demographische Entwicklung ein realwirtschaftliches Problem.

Die einzige Methode, sich volkswirtschaftlich auf demographischen Wandel einzustellen ist, die Wirtschaft dazu fit zu machen, dass sie auch zukünftig die benötigten realen Waren und Dienstleistungen produzieren kann. Wenn sie dann dazu in der Lage ist, kann eine souveräne Regierung jederzeit genug Geld ausgeben, um die angebotenen Waren und Dienstleistungen für die Alten auch zu kaufen.

Wenn aber umgekehrt die Realwirtschaft zu schwach aufgestellt ist, dann helfen den zukünftigen Rentnern die größten Sparvermögen nichts. Dann werden diese Sparvermögen nämlich höchstens zu einer Nachfrage beitragen, die in Wettkampf um zu wenige Waren tritt.

Die unweigerliche Folge ist - wenn die Regierung nicht handelt - Inflation, wodurch die Sparvermögen deutlich an Wert verlieren gegenüber dem, was die Sparer sich erhofft haben. Wenn die Regierung handelt, indem sie Steuern erhöht, so kann sie die Inflation zwar verhindern. Irgendjemand leidet dennoch darunter, vermutlich dann eben die arbeitende Bevölkerung, wer weiß - das liegt an der genauen Ausgestaltung der Steuern.

Fakt ist jedenfalls: die demographische Entwicklung kann genau dann bewältigt werden, wenn die Realwirtschaft gut genug dafür aufgestellt ist. Die Finanzen haben damit überhaupt nichts zu tun - sie sind nur ein Werkzeug, mit dessen Hilfe der Output der Realwirtschaft auf die Menschen verteilt wird. Ein souveräner Staat unterliegt im Einsatz dieses Werkzeugs keinen Beschränkungen, wenn denn nur der politische Wille da ist.

Und jetzt kommt die Ironie der Geschichte: wie können wir dafür sorgen, dass die Realwirtschaft gut dasteht? Am besten geht das, indem wir für eine weitgehende Auslastung der Realwirtschaft bei fortlaufendem Wettbewerb sorgen, denn dann sind die Voraussetzungen für Investitionen und Forschung und Entwicklung ideal.

Die geradezu idiotische, wenn nicht gar bösartige, neoliberale Politik (das Komma ist wichtig - oder kennt irgendjemand gutartige neoliberale Politik?) erreicht genau das Gegenteil. Der Sparkurs der Regierungen würgt die Realwirtschaft ab, verschlechtert also unsere Zukunftschancen. Gleichzeitig fördert sie eine private Versicherungswirtschaft, von der nur die Akteure des Finanzmarkts profitieren, um Sparvermögen aufzubauen, die - wenn sie nicht durch Finanzkrisen sowieso zerstört werden - womöglich angesichts einer schwächelnden Realwirtschaft äußerst enttäuschend sein werden.

Und wenn ich gerade dabei bin, auszuteilen: wie kann man nur so dumm und verlogen sein, in einem Land mit 9,8% Arbeitslosenquote das Rentenalter auf 67 Jahre anzuheben - wie es in Frankreich geschehen ist? Dadurch wird das Problem der Arbeitslosigkeit logischerweise nur noch weiter verschärft, weil sich noch mehr Menschen für eine gleichbleibende Anzahl Arbeitsplätze bewerben.

Gleichzeitig werden effektiv dadurch die Renten gekürzt. Gut, man kann eine Rentenkürzung politisch wollen - auch wenn es objektiv gesehen dafür in Frankreich nun überhaupt keinen Grund gibt. Aber dann sollte man wenigstens die Cojones haben, öffentlich dazu zu stehen. Aber daran mangelt es dem Petit Président ganz offensichtlich.

Im Wirtschaftsteil wird es dann nicht unbedingt besser. Auf Seite 21 behauptet Claus Hulverscheidt in "Warum 61 Milliarden Euro wenig Geld sind":

Anschaulicher wird die Situation, wenn man sie auf eine Familie überträgt, die ein Haus gebaut hat und deshalb hoch verschuldet ist. Weil es seinem Unternehmen besser geht als erwartet, erhält der Familienvater überraschend einen Bonus. Was wird er tun? Das Geld im Spielkasino verjubeln? Oder wird er zur Bank gehen und sein Sondertilgungsrecht in Anspruch nehmen, um die drückende monatliche Zinslast wenigstens ein bisschen abzumildern?

Und täglich grüßt die idiotische Analogie von Staatshaushalt und Privathaushalt. Man beachte auch die unglaublich parteiische Nennung des "Spielkasinos". Das ist schon ein sehr dreister Fall von tendenziöser Berichterstattung - man beachte: es handelt sich hier nicht um einen Kommentar, sondern um den Leitartikel des Wirtschaftsteils! - und die einzige brauchbare Botschaft, die darin enthalten ist, ist die ideologische Grundhaltung des Autors.

Es ist nun tatsächlich richtig, dass Deutschland kein souveräner Staat ist und daher - im Gegensatz zu den USA - finanziellen Beschränkungen unterworfen ist. Aber da hört die Analogie auf. Denn die Vorstellung, man könne die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Verhaltens der Bundesregierung einfach so ignorieren ist vollkommen absurd. Die Ausgaben der Bundesregierung stellen einen signifikanten Teil des BIP, und wenn diese Ausgaben steigen oder sinken ist dies ein unübersehbares Signal an die Wirtschaft zu wachsen bzw. zu schrumpfen. Das ist der Grund, weshalb jeder klar denkende Mensch zu dem Schluss kommt, dass sich eine Regierung antizyklisch verhalten muss.

Das ist auch der Grund, weshalb die ganzen Sparpakete, die zur Zeit weltweit umgesetzt werden, nach hinten losgehen werden. Die Sparpakete werden die schwächelnde Erholung abwürgen, und am Ende werden die Defizite eher größer als kleiner. Schließlich haben Regierungen keinen nennenswerten Einfluss auf ihre Defizite, die in Wirklichkeit zu einem ganz wesentlichen Teil durch automatische Stabilisatoren - also an die Konjunktur gekoppelte Steuern und Sozialsysteme - bestimmt werden.

Aber bis zu den neoliberalen Hohlköpfen unserer Zeit dringt diese Botschaft nicht.

Eine kleine Notiz am Rande steht auf Seite 23 unter dem Titel "Brüderle ruft 'Dekade der Industrie' aus".

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will sich mehr um die Industrie kümmern. „Der deutschen Industrie dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden“, sagt er bei der Vorstellung eines Grundsatzpapiers aus seinem Hause.

Bei Ex-Kanzler Schröder hat sich das so ähnlich angehört. Was folgte waren viele Jahre der Zerstörung unserer Sozialsysteme und damit indirekt des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Das ist doch mal zukunftsweisendes Denken!

So richtig abartig und ungeil wird's aber erst danach:

Schließlich hätten insbesondere Industrieunternehmen der deutschen Wirtschaft den Weg aus der Krise gebahnt.

Geht's noch? Erstens ist die Krise noch längst nicht vorbei - wobei natürlich auch irgendwie verständlich ist, dass der Jubelrainer seine Augen gegenüber der Realität so lang wie womöglich verschließen will. Zweitens ist die Behauptung, deutsche Industrieunternehmen hätten auch nur einen Finger für die wirtschaftliche Erholung gekrümmt, ein schlechter Witz. Wahr ist, dass die deutsche Wirtschaft extrem exportabhängig ist. Dadurch war der Einsturz bei uns besonders tief, und die vorläufige Erholung naturgemäß auch besonders groß. Aber das ist einfach im ersten Fall Pech und im zweiten Fall Glück, und wenn die Exportwirtschaft, die ursächlich an den strukturellen Problemen Deutschlands Schuld ist, dafür auch noch gelobt wird, dann fehlen einem dafür doch irgendwie die Worte.

Donnerstag, 4. November 2010

Minsky

In "Deutschland, deine Gründer" auf Seite 22 steht über Kredite:

In den meisten Fällen lehnte die Bank einen neu beantragten Kredit ab. Überwiegend haperte es an fehlenden Sicherheiten, mangelnder Bonität oder an eigenem Kapital des Kreditnehmers. Auch wurde häufig an der Rentabilität des Projekts gezweifelt. Die Fachleute sind sich einig darüber, dass diese Finanzierungsschwierigkeiten andauern werden. Licht bezeichnete die hohe Ablehnungsquote der Bankkredite als problematisch. Dieses Niveau sei kaum zu verschlechtern, sagte er. Auch Bretz geht davon aus, dass die Zeiten eines einfachen und günstigen Bankkredits nicht wiederkommen und verwies auf die strengeren Regeln für die Banken, durch die sich Kredite verteuern und Prüfungen der Neuheiten auf Rentabilität verschärfen.

Natürlich werden die Zeiten einfacher Bankkredite wiederkommen. Schließlich wollen Banken Gewinne einfahren, und das können sie nur, indem sie Kredite vergeben.

Die ganze Situation wird deutlich klarer, wenn man sich die Theorie über die Entstehung von Finanzkrisen von Hyman Minsky näher ansieht. Grob zusammengefasst beschreibt er ein von der menschlichen Psychologie getriebenes dynamisches System. In Zeiten von wirtschaftlichen Folgen machen Banken gute Erfahrungen mit Krediten und reduzieren aus Profitgier die Anforderungen, die sie an Kreditnehmer stellen. Dadurch werden wirtschaftliche Entwicklungen weiter erleichtert, neue Erfolge stellen sich ein, und die Anforderungen an Kreditnehmer werden weiter aufgeweicht - bis die Kreditvergabe irgendwann zu locker wird. Dann schnellt auf einmal die Anzahl der faulen Kredite in die Höhe, es kommt zur Krise, und die Banken werden aus gutem Grund sehr, sehr vorsichtig bei der Kreditvergabe.

Erst wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung erholt werden die Banken wieder mutiger und der Zyklus beginnt erneut. Daraus können wir zwei Dinge lernen:

  1. Diese Art von Zyklus wird es immer geben, er folgt zwingend aus der Natur der beteiligten menschlichten Akteure. Regulierung kann diesen Zyklus nicht verhindern, aber sie kann beeinflussen, auf welchem Niveau der Zyklus abläuft und wie tief der Absturz am Ende wird.

  2. Es ist naiv darauf zu hoffen, dass die wirtschaftliche Erholung durch eine Lockerung der Kreditvergabe durch Banken ausgelöst wird. Nur umgekehrt kann es funktionieren: eine initiale wirtschaftliche Erholung von außerhalb kann die Angststarre der Banken lösen und dadurch einen positiven Kreislauf anstoßen.


Woher kann dieser externe Impuls kommen? Der Schlüssel dazu liegt, wie so oft, in der Nachfrage. Niemand will Kredite an Firmen vergeben, für deren Produkte keine Nachfrage existiert. Wenn aber erst einmal die Nachfrage gesichert ist, dann ist auch die Kreditvergabe kein Problem mehr.

Grober Unfug wird auf Seite 23 in "Großinvestoren müssen mehr Aktien kaufen" erzählt:

Ohnehin erwartet der DWS-Manager künftig stärkere Konjunkturschwankungen: „Die Staaten können es sich finanziell nicht mehr leisten, den Abschwung durch Fiskalpolitik abzufedern, ...

Das mag auf Deutschland zutreffen, da Deutschland keine eigene Währung mehr hat. Für Island, Großbritannien, oder die USA trifft es aber nicht zu. Diese Staaten sind in ihrer eigenen Währung souverän und unterliegen daher keinerlei finanziellen Beschränkungen. Wer nicht einmal diese einfache Tatsache versteht, sollte sich mit Investment-Ratschlägen besser zurückhalten.