Donnerstag, 28. Oktober 2010

Der Untergang der Europäischen Union

Wenn im nächsten Jahrtausend Historiker nach den Ursachen des Zusammenbruchs der Europäischen Union forschen werden, könnte die Seite 2 der heutigen SZ eine ergiebige Quelle sein. Dort wird über die Verhandlungen zu neuen Regeln im Stabilitätspakt berichtet.

Normalerweise suche ich mir einzelne Zitate aus Artikeln heraus um die darin zu findenden Denkfehler aufzuzeigen und zu erklären. Das ist hier schwierig, weil einfach hinten und vorne nichts stimmt an der Sichtweise von Politik und Medien auf die aktuelle wirtschaftliche Lage. Deswegen hole ich etwas weiter aus.

Was wir zur Zeit erleben ist im Wesentlichen eine Wiederholung des Beginns der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Damals hat ein Crash der Finanzmärkte die reale Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, und die Regierungen haben ziemlich herumgeeiert trotz der mahnenden Worte von Keynes. Sobald einzelne Regierung eine expansive Fiskalpolitik betrieben haben, hat sich die Situation verbessert - aber getrieben von der Angst vor Staatsschulden haben zum Beispiel die USA gegen Ende der 1930er Jahren wieder auf eine massiv kontrahierende Politik gesetzt in Form von Sparpaketen, wie wir sie auch heute wieder sehen. Die Folge war, dass die Wirtschaftsleistung wieder gefallen und die Arbeitslosenzahlen gestiegen sind. Erst mit der unausweichlichen Ankurbelung der Nachfrage durch den Zweiten Weltkrieg wurde die Weltwirtschaftskrise endgültig überwunden.

Auch 2007 gab es eine Krise an den Finanzmärkten - die übrigens von Vertretern von Modern Monetary Theory vorhergesehen wurde - die auf die reale Wirtschaft übergesprungen ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht so beeindruckend groß ist wie in den 1930er Jahren verdanken wir im Wesentlichen der Tatsache, dass unsere Staaten heute einen deutlich größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen, dass starke soziale Sicherungssysteme dafür sorgen, dass die Gesamtnachfrage nicht zu stark fällt, und dass die Verwaltungen besser im FälschenBeschönigen von Statistiken geworden sind.

Die diversen Stimuluspakete, die umgesetzt wurden, haben auch geholfen - aber zu glauben, dass der Spuk schon vorbei wäre und man jetzt die Bremse in Form von Sparpaketen ziehen könnte ist so unglaublich dumm, dass es mir die Sprache verschlägt. Wenn unsere Regierungen nicht bald umdenken, steht uns zumindest eine neue Europawirtschaftskrise bevor, an der sowohl der Euro als auch schlimmstenfalls die EU zerbrechen könnte.

Wie gesagt: die letzte Wirtschaftskrise dieser Größenordnung konnte wegen der Dummheit der beteiligten Regierungen nur durch einen Weltkrieg beendet werden. Ich hoffe sehr, dass dieser Kelch dieses Mal an uns vorbeigeht.

Was hat das alles nun mit dem Stabilitätspakt der Euro-Zone zu tun?

Man muss sich zunächst einmal klar machen, dass die Regelungen des Stabilitätspakts frei erfunden sind und keinerlei vernünftige volkswirtschaftliche Begründung haben. Ein Defizit von 3% des BIP, ein Schuldenstand von 60% des BIP, diese Zahlen fallen einfach vom Himmel und sind frei jeglicher Bedeutung.

Außerdem muss man sich klar machen, dass eine Regierung keine Kontrolle über ihr Haushaltsdefizit hat. Das Defizit wird ganz wesentlich durch sogenannte automatische Stabilisatoren bestimmt: in einem Abschwung sinken die Steuereinnahmen von ganz alleine, und die Staatsausgaben steigen von ganz alleine. Geht es der Wirtschaft wieder besser, wie zur Zeit in Deutschland, so tritt der umgekehrte Effekt ein und das Haushaltsdefizit sinkt - ganz ohne, dass die Regierung auch nur einen Finger krümmt.

Es ist geradezu kafkaesk, Länder mit hohem Defizit dafür zu bestrafen. Noch verrückter ist, dies mit einer Geldstrafe zu tun: dadurch werden dem Land die Mittel genommen, mit der es seine Wirtschaft wieder in Gang bringen könnte. Eine Abwärtsspirale ist also vorprogrammiert.

Aber dann kommt die Stelle, an der ich doch auf ein Zitat Bezug nehmen kann:

Seitdem die Finanzkrise über die EU gekommen ist, sind die Bürger mit Begriffen wie Rettungsschirm, Stabilitätspakt und Krisenmechanismus konfrontiert und verstehen eigentlich nur, dass sie am Ende die Rechnung begleichen müssen.

Das ist falsch.

Es ist unsinnig, dass der Rettungsschirm für Griechenland von den Euro-Staaten getragen wird. Die Beteiligung des IWF ist noch absurder und zeigt einmal mehr, dass unsere Politiker die Funktionsweise eines Fiat-Systems nicht verstehen (wollen).

Der Rettungsschirm für Griechenland könnte einfach von der Europäischen Zentralbank getragen werden. Mit einem einfachen Eintrag in ihre Computersysteme könnten sie Griechenland von allen Sorgen befreien. Kein einziger EU-Bürger und keine EU-Regierung müsste einen Cent hergeben.

Falls man sich Sorgen darüber macht, dass ein solches Vorgehen unsauberes Wirtschaften seitens Regierungen fördern würde, dann könnte die Europäische Zentralbank stattdessen einfach jedem Euro-Staat eine feste Pro-Kopf-Summe zuweisen, sagen wir 5000€ pro Bürger.

Um die dadurch entstehenden Reserven wieder aus dem System zu entfernen, könnte die EZB eigene Schuldscheine herausgeben - quasi EZB-Anleihen.

Das wäre ein erster Schritt hin zu eine Euro-weiten Wirtschaftspolitik, dem die Einrichtung einer echten Euro-Regierung, kontrolliert durch das Europäische Parlament, möglichst schnell folgen sollte. Das klingt radikal, aber in Wirklichkeit ist es einfach ganz pragmatische progressive Politik - und nebenbei der einzige Weg, die Euro-Zone vor einer sehr langen Krise mit vermutlich fatalen Folgen zu bewahren.

Darum sehen die Berliner Pläne im Kern vor, dass bei einem faktischen Staatsbankrott wie in Griechenland erst einmal die Gläubiger, also die Finanzinvestoren, zur Kasse gebeten und europäische Mittel nur „ergänzend“ geleistet werden.

Die Inhaber von Staatsanleihen als "Finanzinvestoren" zu bezeichnen ist auch ein schöner Fall von Volksverdummung. Staatsanleihen werden nicht nur, aber zum großen Teil von institutionellen Anlegern wir Versicherungen und Altersvorsorge gehalten - eben weil sie prinzipiell sicher sind.

Die Bundesregierung will hier also anderen Euro-Ländern zuerst die Fähigkeit nehmen, für ihre eigenen Bürger zu sorgen (indem sie diesen einen harten Sparkurs aufzwingt), und als nächstes will sie dann auch noch die private Absicherung dieser Bürger zerschießen.

Und das einmal ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit der Insolvenz eines Euro-Staates nur zur Folge haben wird, dass Anleger noch stärker in Richtung der vermeintlich sichereren Staatsanleihen drängen werden. Mit anderen Worten, die Zinsrate von deutschen Bundesanleihen wird weiter sinken - und die Bundesregierung kann sich dafür auf die Schulter klopfen - während die Zinskonditionen für Staaten wie Griechenland und Irland noch schlechter werden.

Es ist geradezu unglaublich. Ich schäme mich, dass mein Land eine solche Politik vertritt.

Auf der anderen Seite besteht zumindest in dieser Hinsicht die Hoffnung, dass irgendjemand aus den betroffenen Staaten das abgekartete Spiel als solches erkennt und sich gegenüber den deutschen Forderungen eine unüberwindbare Front bildet. Allerdings ist nicht erkennbar, dass konstruktive Gegenvorschläge wie die oben genannten kommen werden. Alles in allem sieht die Situation also trotzdem düster aus.

Kleine Nachbemerkung: Angesichts der aktuell recht stabilen politischen Lage habe ich persönlich nicht das Gefühl, dass es zu einem Knall mit Weltkrieg kommen wird - auch im Falle einer langfristigen Wirtschaftskrise. Viel wahrscheinlicher erscheint mir ein schleichendes Dahinsiechen, an dessen Ende - vielleicht in hundert, vielleicht in zweihundert Jahren - niemand mehr so richtig erklären kann, warum eigentlich alles zugrunde ging. Der Vergleich mit dem Römischen Reich drängt sich geradezu auf.

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