Montag, 18. Oktober 2010

Inselunsinn

Andreas Oldags Kommentar "Spardiktat mit Risiken" auf Seite 17 offenbart wieder einmal, dass von der SZ-Wirtschaftsredaktion bis in die britische Regierung die Grundlagen von Modern Monetary Theory nicht verstanden werden.

Schatzkanzler George Osborne und Regierungschef David Cameron wissen, dass es für die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU kaum eine Alternative gibt. Die horrenden Staatsschulden, die sich infolge der Wirtschaftskrise sowie teuerer Banken-Hilfen unter der früheren Labour-Regierung angehäuft haben, müssen gekappt werden. Andernfalls droht den Briten eine Abstrafung durch die internationalen Finanz- und Kapitalmärkte mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des Pfund Sterling. Eine Erfahrung, die das ungleich kleinere Euro-Mitglied Irland gerade macht und dabei erkennen muss, wie rasch ganze Volkswirtschaften unter die Guillotine des Marktes geraten können.

Der Vergleich mit Irland ist grober Unfug. Irland ist als Mitglied der Euro-Zone kein souveräner Staat und muss sich deshalb durch Steuern bzw. Staatsschulden finanzieren. Großbritannien ist kein Euro-Mitglied sondern ein souveräner Staat und kann deshalb nicht in Finanzierungsschwierigkeiten geraten. Wenn die ach so bösen "internationalen Finanz- und Kapitalmärkte" keine Schuldscheine der britischen Regierung mehr kaufen wollen, dann kann ihr das herzlich egal sein.

Aber da war doch noch was? Ach ja, die Angst vor den bösen Währungsspekulanten:

Den Briten sitzt dabei auch noch immer der „schwarze Mittwoch“, jener 16. September 1992, im Nacken. Damals gelang es dem US-Milliardär George Soros mit Wetten gegen das Pfund, die Währung in einen Abwertungsstrudel zu treiben und Stützungsaktionen der Bank of England zu durchkreuzen. Sie musste daraufhin das Pfund aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) herausnehmen.

Der letzte Satz ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was damals passiert ist. Mit dem Beitritt zum EWS hat Großbritannien das Pfund zu einem festen Wechselkurs an andere europäische Währungen gebunden. Das hat dazu geführt, dass sich der Wechselkurs des Pfund nicht mehr angemessen für die relative wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Staaten frei bewegen konnte. Tatsächlich war das Pfund bereits lange unterbewertet, bevor Soros und andere ihre Spekulation durchgeführt haben - nur deshalb konnte die "Spekulationsattacke" von Soros überhaupt erfolgreich sein: sie hat die Abwertung des Pfunds höchstens zeitlich vorverlegt.

Da das Pfund heutzutage frei gehandelt wird, besteht diese Gefahr für Großbritannien nicht mehr in dieser Form. Auch wenn richtig ist, dass große Devisenhändler durch ihre Transaktionen die Wechselkurse vorübergehend beeinflussen können, so ist es immer noch grober Unfug, das mit dem Haushaltsdefizit oder den Staatsschulden in irgendeiner Weise in Verbindung zu bringen. Solange sich die Regierung nur in Pfund und nicht in ausländischen Währungen verschuldet, besteht durch solche Wechselkursschwankungen keine Gefahr.

Die Lehre, die aus dieser Geschichte gezogen werden sollte ist, dass es für Staaten tödlich sein kann, ihre Währung an die Währung anderer Staaten zu koppeln. Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür ist die Argentinien-Krise, die ganz wesentlich dadurch entstanden ist, dass Argentinien den Peso an den US$ gekoppelt hat.

Ach, und was die britische Sparwut angeht: angesichts der weltweiten Sparwut schneiden sich die Briten - genau wie alle anderen - hier nur ins eigene Fleisch. Das Traurige daran ist, dass die ohnmächtigen, ärmeren Teile der Bevölkerung unter dieser Fehlentscheidung am meisten leiden werden.

Enttäuschend ist der Artikel "Ohne Sitzblockaden" auf Seite 19. Es ist erstaunlich, wie penetrant die Proteste gegen Stuttgart 21 als reines "Dagegen!" porträtiert werden. Dabei wird vollkommen ignoriert, dass Stuttgart 21 nun wirklich nichts ist, auf das man als Deutscher guten Gewissens stolz sein kann - wegen massiver Planungsmängel, zu deren Aufklärung die Medien eigentlich beitragen müssten.

P.S.: Hier noch kurz der Hinweis auf "Kein Schutzschirm für Reiche mehr" auf Seite 19, in dem geschildert wird, wie in Frankreich die Menschen belogen wurden um Geschenke des Staates für Reiche durchzuboxen. Ach, wie schön wäre es, wenn die deutschen Medien darüber aufklären würden, wie die Menschen in Deutschland belogen werden, um Geschenke an die Reichen durchzuboxen...

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