Donnerstag, 30. September 2010

Mit Volldampf in den Abgrund

Eigentlich wollte ich es heute mal gut sein lassen, nichts schreiben, man kann sich ja nur zu leicht übernehmen. Dann habe ich die Seite Eins der heutigen SZ gesehen, und mir kam fast das Kotzen.

Wenn ein Land wie Irland, das wegen seiner Wirtschaftslage sinkende Steuereinnahmen und dadurch hohe Staatsdefizite hat (siehe den Eintrag von gestern) will die europäische Kommission dem Land zukünftig noch eine reinwürgen, indem es Strafzahlungen erzwingt. Das ist so dumm, dumm, dumm, prozyklische Politik der schlimmsten Art.

Die versammelte politische Elite redet andauernd davon, man sei schlauer als damals in den 1930er Jahren und werde nicht die gleichen Fehler wiederholen - und dreißig Sekunden später ist alles vergessen, und sie machen genau die gleichen verdammten Fehler.

Keynes scheint vollkommen vergessen zu sein, und wenn man an ihn erinnert kommt die verschämte Ausrede, man müsse Keynes differenzierter sehen, er sei ja im Grunde auch für einen langfristig ausgeglichenen Staatshaushalt gewesen und so weiter. Was dabei vergessen wird ist, dass Keynes Haltung in der jetzigen Situation vollkommen klar wäre und dass Keynes zu einer Zeit gelebt hat, in der weltweit direkt oder indirekt der Goldstandard geherrscht hat. Aber seit knapp 40 Jahren funktionieren unsere Geldsysteme grundlegend anders, weshalb auch die Funktion von Staatsschulden signifikant überdacht werden muss, nur dass das fast niemand gemerkt hat.

Die meisten EU-Staaten wehren sich zwar gegen die vorgeschlagenen Sanktionen. Leider nützt das nichts, weil auch diese Staaten im Grunde überhaupt nichts verstanden haben. Sie wehren sich nur, weil sie ihre Souveränität gefährdet sehen, was aus Perspektive der Modern Monetary Theory schon lustig ist - schließlich haben zumindest die Euro-Staaten ihre Souveränität schon lange freiwillig aufgegeben. Gleichzeitig implementieren die gleichen Staaten aber nur allzu gerne fleißig genau die "Reformen", die die Krise verschlimmern werden - und Cerstin Gammelin gießt auf der Meinungsseite weiter Öl ins Feuer.

Das einzige Problem, das die Eurozone in Sachen Staatsschulden hat ist, dass die EZB für die Staatsschulden nicht garantiert, weil sie nicht verstanden hat, welche Funktion Staatsschulden in einem modernen Geldsystem haben: in einem funktionierenden Fiat-Geldsystem sind Staatsschulden ein Instrument der Geldpolitik und haben nichts mit der Finanzierung der Staatsausgaben zu tun - siehe die Links oben.

Neben dem fehlenden volkswirtschaftlichen Verständnis ist das Hauptproblem, dass niemand ernsthaft die Verbindung zwischen der unnötig hohen Arbeitslosigkeit (die, nebenbei bemerkt, das zentrale reale Problem dieser Krise ist) und den - ebenfalls auf der Seite Eins photogen platzierten - sozialen Unruhen und Protesten einerseits sowie den Verstößen Frankreichs gegen die EU-Freizügigkeit in Sachen Roma andererseits herstellt.

Wie gesagt, es ist zum Kotzen.

Mittwoch, 29. September 2010

Angela Merkel, Langzeitarbeitslosigkeit und Staatshaushalte

Meinen täglichen volkswirtschaftlichen Quark lieferte mir die SZ vom 29. September ganz zuverlässig online in den PDF-Leser. Natürlich ist nicht aller Quark, den ich unten zitiere, von SZ-Redakteuren selbst verzapft, aber er steht nunmal unreflektiert in der Zeitung und bedarf daher einer Gegendarstellung.

Im großen Interview mit Angela Merkel auf Seite 5 demonstriert die Bundeskanzlerin, dass sie zwar vielleicht einzelne Gesetze kennt, aber dafür die grundlegende Funktionsweise des Arbeitsmarktes nicht versteht. Ich zitiere die Dame:

Aber natürlich können wir nicht damit zufrieden sein, dass sich bei allen großen Fortschritten auf dem Arbeitsmarkt die Langzeitarbeitslosigkeit doch so hartnäckig hält, vor allem unter allein erziehenden Müttern und Menschen über 50 Jahren. Den Müttern werden wir helfen, indem wir die Kinderbetreuung weiter ausbauen.

Ich bin ganz klar für einen Ausbau der Kinderbetreuung, das ist ein sehr sinnvoller Schritt. Die Frage ist nur, was das mit den Chancen einer Langzeitarbeitslosen bei der Arbeitssuche zu tun hat. Denn wenn jemand schon sehr lange erfolglos arbeitssuchend ist, dann liegt das ja wohl daran, dass er oder sie einfach keine Arbeit gefunden hat. Externalitäten wie bessere Kinderbetreuung helfen dabei aber nicht: durch sie entstehen keine neuen Jobs, außer vielleicht Jobs in der Kinderbetreuung.

Ansonsten gilt nach wie vor der Kommentar über die Umverteilung von Arbeitslosigkeit bei gleichbleibender Arbeitslosenzahl, was ich schon einmal geschrieben habe.

So richtig los geht's natürlich im Wirtschaftsteil. Im Kommentar "Explosive Mischung" von Andreas Oldag auf Seite 17 steht zum Beispiel über Irland geschrieben:

Um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen, schlug er einen harten Sparkurs ein. Einschnitte und Steuererhöhungen belaufen sich in diesem Jahr auf etwa fünf Prozent der Wirtschaftskraft des Landes. [...]
Nur: [der irische Finanzminister Brian] Lenihan muss mit zwei weiteren Faktoren kämpfen [...] Erstens kommt der erhoffte Konjunkturaufschwung nicht in Gang. Steuereinnahmen, auf die Dublin zur Reduzierung des Haushaltsdefizits dringend angewiesen ist, bleiben aus.

Woran könnte das wohl liegen? Eine Reduzierung der Netto-Staatsausgaben (also Ausgaben minus Steuern) wirkt sich nicht unbedingt 1:1 auf das BIP aus, da Multiplikatoren eine Rolle spielen können. Darüber quantitativ seriöse Aussagen zu treffen ist schwierig. Aber qualitativ ist völlig klar: Wenn die Netto-Staatsausgaben um 5% der gesamten Wirtschaftskraft zurückgehen, kann das an der Auftragslage der Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen - und dann kann man sich nur wundern, wenn sich jemand über ausbleibende Steuereinnahmen wundert.

(Okay, okay, die geplanten Sparmaßnahmen der Regierung wirken sich natürlich noch nicht auf die heutigen Steuereinnahmen aus. Aber die Zeichen stehen für Irland ganz eindeutig auf Abschwung, und die Regierung ist voll Stolz dabei, die Lage zu verschlimmern.)

Direkt daneben geht es um die geplante Erhöhung effektiver Ökosteuern in Deutschland ("878 000 Arbeitsplätze bedroht"), und auch da liest man dubioses:

Was Schäuble freut, macht [Hans-Peter] Keitel [Präsident des Bundesverbands Deutscher Industrie] große Sorgen: „Deutschland wäre das einzige Land, das seine Unternehmen in dieser Konjunkturphase belastet. Das darf nicht sein“, sagt er.

Erstens ist es natürlich Unfug, dass Deutschland das einzige Land ist, dass seine Unternehmen belastet - siehe meine Anmerkung zu Irland oben.

Zweitens ist es richtig, dass es in der jetzigen Situation verkehrt ist, die Wirtschaft unnötig zu belasten.

Aber drittens ist es richtig, dass sich die Politik nicht vom Präsidenten des BDI erpressen lassen darf. Schließlich ist er nur einer von ca. 60 Millionen Wahlberechtigten. Wenn die Mehrheit der Menschen und die Politik Anreize für nachhaltiges Wirtschaften schaffen wollen, dann dürfen sie sich davon nicht von einem einzelnen Betonkopf abhalten lassen.

Widersprechen sich die Punkte 2 und 3? Nein! Es ist das Schöne an Steuerpolitik (im Gegensatz zur Geldpolitik), dass man mit ihr gleichzeitig an einer Stelle kontrahieren und an anderer Stelle expandieren kann, um so die Wirtschaft zu steuern. Es wäre also möglich, einerseits durch die Ökosteuer unerwünschte Tätigkeiten zu belasten und so Anreize für umweltfreundlicheres Handeln zu schaffen, und gleichzeitig in anderen Bereichen Staatsausgaben zu erhöhen um der Wirtschaft aus der Krise herauszuhelfen und Arbeitsplätze langfristig zu sichern.

Umstellungsschmerzen gibt es dabei womöglich (weil Arbeitsplätze in einem Sektor verlorengehen und in einem anderen Sektor neu entstehen), aber wenn wir langfristig auf umweltfreundlicheres Wirtschaften umstellen wollen führt daran sowieso kein Weg vorbei.

Auf Seite 18 in der Rubrik "Forum" findet sich ein Artikel zweier Figuren vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln unter dem Titel "Grüne Beschaffung ist nicht immer grün". Der Artikel enthält diskutierenswerte Gedanken, die für meinen persönlichen Geschmack aber zu defätistisch sind - wie wäre es denn mit konkreten Verbesserungsvorschlägen statt reiner Kritik? - aber darum geht es hier nicht. Es geht um diesen Satz hier:

Desweiteren gilt es bei jeder staatlichen Aktivität zu berücksichtigen, dass Staatsausgaben der Gegenfinanzierung durch Staatseinnahmen bedürfen.

Für einen souveränen Staat gilt das nicht (siehe z.B. hier oder Warren Mosler's Buch). Natürlich ist Deutschland als Mitglied der Eurozone kein souveräner Staat, von daher ist die Aussage auf Deutschland bezogen richtig. Die langfristig sinnvollere Überlegung wäre aber, ob man nicht vielleicht die Konstruktionsfehler der Eurozone beheben sollte um den Spielraum für sinnvolle Politik zu vergrößern.

Auf Seite 20 findet sich schließlich ein Hoffnungsschimmer für die SPD im Artikel "Hartz IV entfacht Debatte über Mindestlöhne". Offenbar hat sich inzwischen bis zur SPD-Spitze herumgesprochen, dass der Niedriglohnsektor doch keine so gute Idee ist. Ein wirklich konsequentes Umdenken auch in Hinblick auf die Lehren der Modern Monetary Theory ist zwar bei Weitem nicht zu erkennen, aber hey, wir sind für jeden kleinen Schritt dankbar.

Abschließen möchte ich mit dem Hinweis auf den Artikel von Nicola Holzapfel auf der gleichen Seite (online finde ich im Moment nur eine Version des Artikels auf jetzt.de). Wer glaubt, Hartz IV-Bezieher wären doch arbeitsfaule Schmarotzer, der sollte sich diesen Artikel einmal zu Gemüte führen.

Dienstag, 28. September 2010

Schmunzeln auf Seite Eins

Eine so schön klare Falschaussage wie gestern kann ich heute zum Glück nicht bieten. Aber das Zitat der französischen Wirtschaftsministerin, auf Französisch scheinbar "madame le ministre" Christine Lagarde, zu lesen im Leitartikel auf Seite eins, brachte mich doch zum Lachen: "Das Schicksal eines Landes darf nicht nur in der Hand von Experten liegen."

Natürlich stimme ich ihr da vollkommen zu, in einer Demokratie darf das nicht sein. Aber läge das Schicksal Frankreichs und der Eurozone doch nur in der Hand von Experten! Stattdessen liegt es in der Hand der Scharlatane, die uns gerade mit ihrem Sparkurs weiter in die Rezession schicken.

Montag, 27. September 2010

Marc Beise: Hartz IV-Sätze und Arbeitslosenzahlen

In der SZ von heute, Montag, dem 27. September, erzählt Marc Beise auf der Meinungsseite unter "Genau nachgerechnet" seine Meinung. Das sei ihm gegönnt. Am Ende des Artikels verbreitet er aber einen Mythos:

"Wer Hartz IV erhöht, verschärft falsche Anreize. [...] Erhöht man die
Sätze zu stark, wird die Arbeitslosigkeit wieder steigen."

Das ist grober Unfug. Welcher Mechanismus könnte es sein, durch den bei Erhöhung der Hartz IV-Sätze die Arbeitslosigkeit steigt?

Ich vermute, Marc Beise will hier die menschenverachtende Vorstellung transportieren, dass höhere Hartz IV-Sätze dazu führen, dass sich Menschen auf die faule Haut legen. Das ist zwar schon deshalb falsch weil man diese Sätze nur bekommt, wenn man bereit ist, jedes adäquate Arbeitsangebot anzunehmen. Zudem ist es empirisch einfach nicht richtig. Aber selbst wenn diese Vorstellung richtig wäre (was sie nicht ist), würde es immer noch nicht dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit steigt.

Nennen wir einmal die Größe der offiziell aktiven (arbeitenden oder arbeitssuchenden) Bevölkerung A, die Anzahl der Beschäftigten B und die Anzahl der Arbeitslosen C. Dann gilt per Definition (unter Nichtberücksichtigung von statistischen Tricksereien mit denen ich mich nicht auskenne):

A = B + C

Wenn die Hartz IV-Sätze erhöht werden führt das natürlich nicht dazu, dass Firmen ihre Mitarbeiter entlassen. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze in der Wirtschaft insgesamt hängt nicht vom Hartz IV-Satz ab. B bleibt also konstant.

A wird sich durch veränderte Hartz IV-Sätze auch nicht ändern. Also bleibt C - die Arbeitslosenzahl - zwangsläufig konstant.

Wenn es tatsächlich Menschen geben sollte, die sich angesichts höherer Sätze erfolgreich aus der Arbeit stehlen würde das nur bedeuten, dass dadurch für andere Arbeitslose, die bisher keine Arbeit hatten, neue Stellen frei werden, und diese danach nicht mehr arbeitslos sind.

Insgesamt ändert sich die Anzahl der verfügbaren Arbeitsplätze nicht, und deswegen kann sich auch die Anzahl der Arbeitslosen insgesamt nicht ändern. Es ändert sich höchstens die Zusammensetzung der Hartz IV-Bezieher - das heißt, am unteren Ende der Lohnskala wird Arbeit umverteilt.

(Caveat: Ja ja, es könnte natürlich rein theoretisch auch sein, dass durch höhere Hartz IV-Sätze die aktive Bevölkerung A zunimmt, weil sich Menschen, die sich eigentlich schon aus dem Arbeitsleben verabschiedet hatten, als arbeitssuchend melden um die höheren Sätze zu kassieren. Dann würde die Arbeitslosenzahl C höchstwahrscheinlich ebenso steigen - aber das ist garantiert nicht das Szenario, das Marc Beise im Kopf hatte, als er den oben zitierten Quark geschrieben hat.)

Einführung

Es gibt Phasen, an denen ich an drei Tagen hintereinander haarsträubende Fehler in der Berichterstattung im Wirtschaftsteil der SZ finde. Damit mein soziales Umfeld darunter nicht mehr so sehr leiden muss erstelle ich dieses Blog als Ventil. Hoffentlich finden es auch andere nützlich.

Mein Ziel ist auf sachliche Fehler, die sich meist relativ leicht widerlegen lassen, hinzuweisen.

Ich berufe mich dabei auf das, was ich durch die Beschäftigung mit Modern Monetary Theory gelernt habe. Dem ehrlich interessierten Leser empfehle ich als Einstieg das Buch des amerikanischen Ökonomen Warren Mosler, Seven Deadly Innocent Frauds. Zur weitergehenden Lektüre verweise ich auf billyblog des australischen Ökonoms Bill Mitchell, insbesondere die Serie Debriefing 101.

Für Hinweise auf Fehler in meinen Analysen bin ich natürlich dankbar, aber bleibt bitte zivilisiert und haltet das Niveau hoch.

Zu guter Letzt: Warum ausgerechnet der Wirtschaftsteil der SZ und nicht eine andere Zeitung?

Weil die Süddeutsche Zeitung die meiner Meinung nach beste deutsche Tageszeitung ist. Ich selbst habe sie als E-Paper abonniert, lese sie täglich und empfehle dies auch weiter. Nur die Wirtschaftsredaktion scheint leider mit VWL auf Kriegsfuß zu stehen.

Aber da das bei anderen Zeitung auch nicht wirklich anders ist konzentriere ich mich eben auf "meine" Zeitung. Vielleicht verbessert sich dadurch ja irgendwann einmal etwas - die Hoffnung stirbt zuletzt.