Mittwoch, 30. März 2011

Rationalität und Inflationsängste

Ein schönes Beispiel für mangelnde Qualität in der Berichterstattung und die Absurdität der allgemeinen Vorstellung von wirtschaftlichen Zusammenhängen liefert heute auf Seite 21 der Artikel "Kauflaune sinkt erstmals wieder":

Die Inflation drückt auf die Stimmung der deutschen Verbraucher. Das GfK-Barometer für das Konsumklima trübte sich erstmals seit zehn Monaten ein und sank um 0,1 auf 5,9 Punkte. Als Hauptgründe dafür nannten die GfK-Marktforscher am Dienstag wachsende Inflationsängste und ein „unsicherer gewordenes internationales Umfeld“ etwa durch die Krisen in der arabischen Welt.

Blitzumfrage: Wenn man Angst vor Inflation hat, sollte man dann lieber sparen oder lieber Geld ausgeben?

Die kurze Antwort: Geld ausgeben. Die lange Antwort: Inflation, also Preisanstiege, bedeuten, dass man mit der gleichen Menge an Geld weniger reale Güter oder Dienstleistungen erwerben kann. Sollte die Inflation höher sein als die Zinsen, die man mit einer Geldanlage erzielen kann, dann verliert das Gesparte real an Wert. Wenn die Menschen rational agieren, müssten sie also auf Inflationsängste reagieren, indem sie mehr Geld ausgeben.

Aber laut Titel der Nachricht sinkt die Kauflaune. Dafür fallen mir spontan drei mögliche Erklärungen ein:

  1. Die Menschen agieren nicht rational.

  2. Das GfK-Barometer misst nicht, wie sehr die Menschen dazu bereit sind, Geld auszugeben.

  3. Es gibt keine Inflationsängste.


Die erste Möglichkeit halte ich für die plausibelste. Sie bedeutet aber, dass ein Großteil der orthodoxen Wirtschaftslehre - die von rational handelnden Menschen ausgeht - schlicht und einfach falsch ist. Ganz besonders gilt das für den Mythos vom effizienten freien Markt.

Die zweite Möglichkeit ist sicherlich auch plausibel, schließlich basiert dieser Index meines Wissens auf Umfragen - und dass die Menschen es nicht so toll finden, wenn die Preise steigen, ist irgendwie logisch und schlägt sich sicherlich in den Antworten nieder. Daraus auf einen Rückgang des Konsums zu schließen ist allerdings nicht unbedingt zuverlässig. Sicherlich gibt es Korrelationen, die aber - weil es keine direkt zugrunde liegende Kausalität gibt - nicht besonders belastbar sind. Für die Jubelperser, die in Zeiten von rückgängigem Konsum ein Konsumwunder heraufbeschwören wollen, ist das natürlich sehr nützlich.

Die dritte Möglichkeit ist auch denkbar, schließlich denken die meisten Menschen sicher nie über die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge nach. Allerdings ist es in Deutschland sehr beliebt, Inflationsängste zu schüren, was ein gefährliches Achtel- bis Viertelwissen zur Folge hat und diese letzte Möglichkeit eher unwahrscheinlich macht.

Letztlich ist hier, denke ich, eine Mischung der ersten beiden Faktoren am Werk. Leider ist weder in der Berichterstattung der Medien, noch bei den Menschen vom GfK, die die Verbindung zu Inflationsängsten überhaupt erst hergestellt haben, ein Hauch von Reflexion darüber zu erkennen, was die oben genannten Widersprüche eigentlich für unser Verständnis der Wirtschaft bedeutet. Das ist, gelinde gesagt, schade. Man könnte es auch gefährlich nennen.

Übrigens, nebenbei zum Thema Inflation:

Die Verbraucher sorgen sich, dass das Leben wegen steigender Energie- und Rohstoffpreise teurer wird. Die Inflationsrate stieg im Februar auf 2,1 Prozent und so auf den höchsten Stand seit fast zweieinhalb Jahren. Im März verharrte die Jahresteuerung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf dem Niveau. „Die Inflationsrisiken in Deutschland haben zugenommen“, so Ulrike Rondorf von der Commerzbank.

Zweieinhalb Jahre sind eine sehr kurze Zeit. Historisch gesehen sind 2,1% sehr wenig. Wir haben lange Zeit mit deutlich über 2% Preissteigerungsraten gut gelebt. Davon einmal abgesehen ist 2% das offizielle Ziel der EZB. Es wird in den Mainstream-Medien kein Wort darüber verloren, wenn die Inflation lange Zeit deutlich zu niedrig ist, also bei 1,5% und weniger, aber sobald sie nur eine Winzigkeit über dem Zielwert liegt wird verbal die Apokalypse heraufbeschworen. Diese Verlogenheit muss man sich auch immer wieder klar vor Augen führen.

Besonders kritisch an der Hyperventilation zum Thema Inflation ist die Tatsache, dass die Inflation ohne Energiepreise nur bei 1,0% lag, also noch viel deutlicher unter dem eigentlich erwünschten Zielwert.

Warum ist das kritisch? Nun, demnächst wird immer mehr die Rede davon sein, dass die EZB wegen zu hoher Inflation die Zinsen anheben wird, um die Inflation zu bekämpfen. Der Haken an der Sache ist, dass die EZB an den Energiepreisen rein gar nichts ändern kann. Vermutlich wird eine Zinssteigerung also gar nichts gegen die Inflation auswirken, zumal die Preissteigerung ja nicht durch exorbitante Kreditvergabe der Banken angetrieben wird. Sollte es der EZB trotzdem gelingen, die Inflation trotz steigender Energiepreise durch eine Anhebung des Leitzins zu drücken, dann geht dies auf Kosten einer Kerninflation ohne Energiepreise, die immer mehr sinkt, bzw. sich in Richtung Deflation bewegt. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Konjunktur aus. In einer Situation, in der viele Länder der Eurozone mit zweistelligen Arbeitslosenquoten zu kämpfen haben, wird das schnell zu politisch brenzligen Situationen führen.

Das besonders Fatale dabei ist, dass die Wut der Arbeitslosen sich dann gegen die EZB richten müsste, sich aber wegen mangelndem Wissen über die Zusammenhänge vermutlich an anderer Stelle auf hässliche Weise entladen wird. Ich hoffe, dass unsere Europapolitiker rechtzeitig einsichtig werden.

Donnerstag, 17. März 2011

Prof. Markus Kerber und Hans-Olaf Henkel verstehen die Welt nicht

Im Artikel "Die Angst vor der Transferunion" auf Seite 24 der heutigen SZ wird über einen offenen Brief von Prof. Markus Kerber und Hans-Olaf Henkel an die Bundestagsabgeordneten berichtet:

Er enthält den dringenden Aufruf an die Volksvertreter, die Zustimmung zur Erweiterung des Rettungspaketes zu verweigern. „Das Votum des Deutschen Bundestags ist historisch: Er entscheidet darüber, ob Deutschland seine finanzwirtschaftliche Souveränität behält [...]

Tja, ihr Lieben, da habt ihr wohl die letzten zwei Jahrzehnte verschlafen. Seine Souveränität hat Deutschland nämlich aufgegeben, als es dem Euro beigetreten ist.

Sehr enttäuscht bin ich über die niedrigen journalistischen Standards im Interview "Es könnte Domino-Effekte geben" und dem passenden Kommentar "Mut der Verzweiflung" von Catherine Hoffmann zu den wirtschaftlichen Folgen der Japan-Katastrophe, beide auf Seite 17. Damit meine ich gar nicht so sehr, dass natürlich keiner der Beteiligten den Zusammenhang zwischen der hohen Staatsverschuldung Japans und dem Sparverhalten des japanischen Privatsektors versteht - das gehört schließlich zum Standardrepertoire. Was mich stört, ist das hier:

200 Milliarden Euro hat die Notenbank schon in die Banken geschleust.

Oder auch das hier:

[...] nun hat die Notenbank innerhalb kurzer Zeit 180 Milliarden Dollar in die Märkte gepumpt.

Solche Statements werfen mit großen Zahlen um sich, sind aber vollkommen nichtssagend. Was verbirgt sich denn hinter den schwammigen Verben "schleusen" und "pumpen"?

Jede Zentralbank gibt den ihr angeschlossenen Banken die Möglichkeit, regelmässig Geld bei ihr zu leihen, solange die regulatorischen Anforderungen erfüllt sind. Dies gehört zu den Werkzeugen, mit denen die Zentralbank ihre Geldpolitik realisiert. Ob solche Transaktionen durchgeführt werden oder nicht liegt aber nicht in der Hand der Zentralbank: die Zentralbank setzt lediglich den Leitzins und damit auch die daran gekoppelten Zinssätze, zu denen Geld verliehen wird. Ob die Banken davon Gebrauch machen oder nicht entscheiden sie selbst. Die Zentralbank hat darauf keinen Einfluss. Wenn es sich bei den genannten Summen um Transaktionen zur Stabilisierung des Leitzins handeln sollte, dann ist dies eine absolute Nullmeldung, da die japanische Zentralbank den Leitzins seit der Katastrophe nicht geändert hat (der japanische Leitzins liegt unverändert bei 0%, Banken zahlen bei der Zentralbank einen Zinssatz von 0,3%). Es ist dann also nicht die Zentralbank, die aktiv ins Geschehen eingreift. Sie reagiert lediglich passiv auf die sich änderenden Anforderungen des japanischen Bankensystems.

Andererseits haben Zentralbanken auch die Möglichkeit, aktiv ins Geschehen einzugreifen, wie es zur Zeit zum Glück die EZB mit dem Aufkauf von Staatsanleihen macht. Prinzipiell können sie auch einfach Geld an Unternehmen überweisen, zumindest rein technisch - die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind natürlich von Land zu Land unterschiedlich. Es würde sich dann jedenfalls qualitativ deutlich von den oben skizzierten passiven Handlungen unterscheiden.

Aber von all dem findet sich in der Berichterstattung der SZ kein Wort - sie belässt es bei vagen, nichtssagenden Verben wie "pumpen" und "schleusen". Wahrscheinlich wissen die Autoren gar nicht, worüber sie da eigentlich schreiben. Hauptsache, sie können mit großen Zahlen um sich werfen.

Mittwoch, 9. März 2011

Euro-Rettung - was tun?

Auf Seite 26 skizziert Catherine Hoffmann in "Kollaps oder Rettung: Europa in der Schuldenkrise" aus ihrer Perspektive ganzseitig fünf "Fluchtmöglichkeiten" aus der Euro-Krise und übersieht dabei den Elephanten im Raum: eine stabile Währung verleitet die Menschen dazu, netto finanzielle Ersparnisse ansammeln zu wollen. Diesen Ersparnissen müssen, rein rechnerisch, Schulden gegenüberstehen (auch das heraufbeschworene "Geld drucken" ändert daran nichts, denn Geldscheine sind im Grunde einfach nur unverzinste Schuldscheine). In der Eurozone gibt es keine starke souveräne Institution, die die Rolle des Schuldners übernehmen kann. Das ist eine fundamentale Fehlkonstruktion, und solange dieser Fehler nicht behoben wird, kann die Euro-Krise nicht langfristig bewältigt werden.

In diesem Kontext ist folgende Behauptung zu lesen:

Nach Prognosen der EU wird der Schuldenstand der Griechen schon im nächsten Jahr auf mehr als 150 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, eine Last, die dauerhaft nicht zu tragen ist.

Wahr ist, dass eine geldsouveräne Regierung so eine "Last" (ist es denn überhaupt eine Last?) problemlos tragen kann. Das folgt aus einer klaren Analyse der Funktionsweise von Fiatgeldsystemen, und wird empirisch durch Japan belegt. Das Problem ist natürlich, dass die griechische Regierung nicht geldsouverän ist. Folglich ist die logische Konsequenz, dass eine geldsouveräne Euro-Regierung geschaffen werden muss, die direkt oder indirekt die Schulden der griechischen Regierung übernimmt.

Vollkommen weltfremd ist dieser Abschnitt:

Noch ist die Hilfe eine endliche Größe, doch der Rettungsfonds lässt sich aufstocken, die lebenserhaltenden Maßnahmen können verlängert werden. Damit sichergestellt ist, dass Wackelkandidaten zu jedem Zeitpunkt Geld bekommen – und zwar zu günstigen Zinskonditionen. Als Gegenleistung geloben die Schuldensünder dann Besserung. Resolute Haushaltsdisziplin sorgt dafür, dass auch Länder wie Griechenland, Portugal, Irland und Spanien in wenigen Jahren die Neuverschuldung unter die Drei-Prozent-Marke drücken – am besten auf null.

Hier wird über das fiskale Defizit einer Regierung geredet, ohne den Kontext der realen Wirtschaft zu berücksichtigen. Das ist der fundamentalste Denkfehler, den man in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen begehen kann. Es ist offensichtlich, dass die Defizite der genannten Länder ganz wesentlich durch steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Steuereinnahmen entstanden sind, und durch irregeleitete Bankenrettungen. Weitere Ausgabenkürzungen würden diese Effekte nur noch verstärken. Das Sparen kann gar nicht gelingen, und zerstört nebenbei auch noch jede Hoffnung auf eine realwirtschaftliche Erholung - siehe Großbritannien.

Vor allem aber setzt die Transferunion falsche Anreize, Ökonomen sprechen von „Moral Hazard“: Hochverschuldete Länder werden dazu eingeladen, sich auf den Krisenmechanismus zu verlassen.

Dass das Unfug ist sieht man schon daran, dass genau dieser Mechanismus innerhalb föderal organisierter Staaten wie z.B. Deutschland problemlos funktioniert. Selbst wenn man das nicht glauben sollte gibt es eine einfache Abhilfe: da ja, wie oben bereits gesagt, das Grundproblem ist, dass die Schulden nicht bei einer geldsouveränen Regierung liegen, könnte man einfach eine Euro-Regierung schaffen, die über die nächsten Jahre einfach pauschal jährlich 1000€ pro Kopf an die Mitgliedsstaaten der Eurozone zahlt. Damit lässt sich das Problem ganz ohne Moral Hazard beseitigen. Noch besser wäre natürlich ein zentral finanziertes Programm zur direkten Schaffung von Arbeitsplätzen, denn das hätte einen direkteren positiven Effekt auf die Arbeitslosenrate, die in Europa aus realer Perspektive zur Zeit das Hauptproblem ist.

Aus diesem Grund droht souveränen Staaten nicht so schnell der Bankrott: Sie haben Macht über die Druckerpresse. Unter Ökonomen wie Charles Blankart ist der Trick als Ponzi-Spiel bekannt, benannt nach dem italienischen Finanzjongleur Charles Ponzi.

Richtig erkannt hat die Autorin die Funktionsweise von Geldsystemen leider nicht. Es ist falsch, dass souveräne Staaten nicht so schnell bankrott gehen können. Richtig ist, dass souveräne Staaten gar nicht bankrott gehen können. Manchmal verweigern sie aus politischen Gründen die Zahlung - so z.B. Japan im Zweiten Weltkrieg aus naheliegenden Gründen - aber das ist ein anderes Thema. Bankrott zu gehen bedeutet, eingegangenen monetären Verpflichtungen nicht mehr nachgehen zu können. Ein souveräner Staat kann eingegangenen monetären Verpflichtungen immer nachgehen, solange sie in der eigenen Währung notiert sind. Der Vergleich mit Ponzi-Spielen, besser bekannt als Schneeballsystemen, ist daher grundfalsch.

Alles Hyperventilieren über Hyperinflation kann nichts daran ändern, dass Inflation nichts mit Geldmenge zu tun hat, sondern mit Angebot und Nachfrage. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, wie z.B. vor einigen Jahren in Zimbabwe, und soll Inflation vermieden werden, dann muss die Regierung einschreiten und die Angebotssituation verbessern (der konkrete Fall wurde durch einen Kollaps der Agrarwirtschaft ausgelöst) oder die Nachfrage drosseln, entweder durch gezielte Steuererhöhungen oder durch Ausgabenverminderung. Aber ob es so weit ist erkennt man eben nicht am Staatsdefizit, und erst recht nicht an der Höhe der Staatsschulden. So sehr es den monetaristischen Ideologen auch missfallen mag, nur der Blick in die reale Wirtschaft hilft hier weiter.

Der Weg aus der Euro-Krise ist klar. Durch von einer zentralen Euro-Regierung finanzierten (aber durchaus lokal umgesetzten) fiskalische Expansion müssen direkt Arbeitsplätze geschaffen werden und dadurch die Wirtschaft angeschoben werden. Dies geschieht durch ein Public Works-Programm, in dem jeder Regierungsinstanz in der Eurozone und jeder gemeinnützigen Organisation die Möglichkeit gegeben wird Arbeitsplätze auszuschreiben, die zu einem festgesetzten Mindestlohn bezahlt werden, für jeden zugänglich sein müssen, und deren Lohnkosten zu 100% von der zentralen Euro-Regierung finanziert werden. Gleichzeitig sollte diese Regierung die Zinsen für langfristige Anleihen aller Euro-Staaten für die nächsten Jahre auf höchsten 3% beschränken. Zudem muss das Potential für schädigendes Verhalten der Finanzmärkte eingedämmt werden, zum Beispiel indem durch progressive Vermögens- und Erbschaftsteuern die Ungleichverteilung der Vermögen etwas zurückgedreht wird.

Wenn alle diese Ansätze umgesetzt würden, stünde Europa ein goldenes Zeitalter bevor. Ich bitte darum alle Leser, diese Konzepte zu durchdenken, mit Bekannten zu diskutieren, und anderweitig an die Öffentlichkeit zu tragen.