Freitag, 8. April 2011

Wir werden von Unmenschen regiert

Im Leitartikel "In Europa steigen die Zinsen wieder" wird heute berichtet, dass die EZB ihren Leitzins auf 1,25% anhebt. Die wichtigere Botschaft des Artikels ist aber, dass wir von Unmenschen regiert werden. Oder zumindest von Menschen, die derart weltfremd sind, dass sie vollkommen untragbar sind. Und leider - was noch viel schlimmer ist - plappern die Medien deren Weltsicht unkritisch nach:

Damit reagiert sie auf die gute Konjunktur im Euro-Raum und auf Sorgen vor einer hohen Inflation.

Ich frage mich, was die mehr als 20% Arbeitslosen in Spanien von der "guten Konjunktur" halten. In Wirklichkeit sind die realen Resultate europäischer Wirtschaftspolitik ein Desaster, das die Legitimation des Gemeinschaftsprojekts unnötigerweise langfristig beschädigt. Und welche Sorgen sie vor Inflation haben, wenn sie doch sowieso praktisch keine Geldwerte besitzen, die an Wert verlieren könnten. Das Fabulieren von der guten Konjunktur ist an Realitätsferne kaum zu überbieten.

Im Übrigen wird zwar jetzt viel über diese Zinserhöhung geschrieben, letztlich handelt es sich dabei aber nur um eine Randnotiz. Ja, die Zinserhöhung wird die prekäre Konjunktur weiter schädigen. Ja, es gibt gute Gründe dafür, auf Dauer den Zinssatz auf de facto 0% sinken zu lassen, wie es z.B. Japan seit langer Zeit erfolgreich macht.

Aber das eigentliche Problem der Eurozone ist, dass die Fiskalpolitik fehlt. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist zur Zeit nun einmal objektiv zu gering, um für Vollbeschäftigung und somit breiten Wohlstand zu sorgen. An dieser Stelle muss der monetäre Souverän ansetzen. Geldpolitik ist hier noch machtloser als sonst.

Die Ursachen dafür, wie wir in diese Situation gekommen sind, stecken sehr, sehr tief im institutionellen Aufbau der Eurozone. Ganz am Ende des Artikels klingt das sogar ein wenig an:

Die Fed hat anders als die EZB neben der Preisstabilität auch Vollbeschäftigung als Ziel.

Nun ist die amerikanische Wirtschaftspolitik kein Deut besser als das, was bei uns passiert. Aber man muss sich nicht wundern, dass wir von Unmenschen regiert werden, wenn die institutionellen Richtlinien der Eurozone vorgeben, dass die Geldpolitik unmenschlich sein soll - Geld ist Gott, Menschen zählen nichts. Ich habe darüber andernorts bereits ausführlicher geschrieben.

Europa kann als Gemeinschaftsprojekt und als Ort der Menschlichkeit aus diesem ganzen Morast nur herauskommen über die Einsicht, dass finanzielle Größen irrelevant sind. Was sind schon Budgets außer großen Tabellenkalkulationen? Was nützt selbst Preisstabilität, wenn die Wirtschaftspolitik zur Folge hat, dass es Millionen Jobs zu wenig gibt, und in der Folge dann Millionen arbeitswillige Menschen in eine wahre Irrenhaus-Situation geschickt werden: es wird von ihnen verlangt, ihren Arbeitswillen unter Beweis zu stellen, aber gleichzeitig wird ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, genau dies zu tun.

Finanzielle Größen sind irrelevant. Auf die reale Wirtschaft kommt es an, und auf den realen Lebensstandard, den sie den Menschen ermöglicht. Wenn diese Einsicht wieder Einzug in die Politik findet - nicht nur in Sonntagsreden, sondern in knallharten Gesetzen - dann wird die Eurozone sich erholen können. Anders sehe ich langfristig keine Hoffnung.

Naturgemäß findet sich in dieser Ausgabe der SZ noch viel mehr Unfug, aber nichts wirklich Neues. Ich habe die Schnauze davon ziemlich voll und verzichte daher auf weitere Kommentare.

Samstag, 2. April 2011

Die Weimar-Lüge und mehr Unsinn

Wenn den Hyperventilatoren, die die Funktionsweise moderner Geldsysteme nicht verstehen, die Argumente ausgehen, dann fällt sehr gerne ein Stichwort: "Weimar". So gesehen im heutigen Kommentar "Sündenfall der Geldpolitik" von Catherine Hoffmann:

Indem die Zentralbank griechische, irische und portugiesische Staatspapiere kauft, versorgt sie die Haushalte der Länder mit Geld. Es ist der Sündenfall der Geldpolitik, den Deutschland in der Weimarer Republik mit hoher Inflation bezahlt hat.

Am Rande: wenn Autoren auf emotional geladene Worte wie "Sündenfall" zurückgreifen sollte man immer hellhörig werden - dieses Vorgehen korreliert relativ gut mit schlechter Argumentationsqualität.

Was hat in der Weimarer Republik zu Hyperinflation geführt? Eine Kombination von

  1. einem plötzlichen Kollaps der Produktionskapazitäten durch die Ruhrbesetzung und den darauf folgenden passiven Widerstand, wodurch

  2. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die Kapazitäten deutlich überschritten hat, und

  3. den immensen Schulden, die der Weimarer Republik in Folge des Ersten Weltkriegs aufgezwungen wurden, da diese entweder in ausländischer Währung oder in Sachwerten denominiert waren.


Die ersten beiden Punkte allein würden jede Regierung in eine unmögliche Situation bringen. Die im Vergleich zur Produktionskapazität hohe Nachfrage führt zu einer massiven Preissteigerung, auch wenn die Regierung gar nichts tut. Ein Nichtstun der Regierung ist allerdings unrealistisch: die Staatsausgaben werden zu einem großen Teil quantitativ in realen Mengen festgelegt. Sie muss den Preissteigerungen also folgen, stößt dann aber natürlich weiter an die realen Kapazitätsgrenzen und fördert weitere Preissteigerungen. Die "Alternative" wäre, den Staat als solchen kollabieren zu lassen. Aus einem plötzlichen Kollaps der Produktionskapazität gibt es einfach keinen schönen Ausweg.

Fakt ist jedenfalls: Hyperinflation wird nicht durch Geldpolitik ausgelöst, zumindest nicht in realistischen Szenarien. Auch in Zimbabwe wurde die Hyperinflation letztlich durch die gleichen drei Punkte ausgelöst, die auch in der Weimarer Republik verantwortlich zeichneten: Kollaps der Produktionskapazität, dramatischer Nachfrageüberhang, und Schulden in ausländischer Währung. Die Hyperinflation endet erst, wenn die Produktionskapazität wiederhergestellt ist (Weimar) oder sich die notwendigen Anpassungen der Nachfrage auf einem deutlich niedrigeren Niveau - im Klartext: eine dramatische Verschlechterung des Lebensstandards der Bevölkerung - eingependelt haben (Zimbabwe).

Und jetzt vergleichen wir die Situation mit der Eurozone, in der seit Jahren eine deutliche Nachfragelücke zu beobachten ist, und in der es keine signifikanten Schulden gibt, außer den in Euro denominierten. Auch ein plötzlicher Kollaps der Produktionskapazitäten ist vollkommen undenkbar - es kommt höchstens zu einem langsamen Verfall, der durch die mangelnde Auslastung der Kapazitäten begünstigt wird (Stichwort: Hysterese). Es wird also keine Hyperinflation kommen.

Catherine Hoffmann versteht das alles aber nicht:

Dass sich die Politik des Gelddruckens nicht katastrophal auf den Außenwert des Euro auswirkt, liegt allein daran, dass die amerikanische Notenbank denselben gefährlichen Kurs verfolgt.

Wenn sich "Gelddrucken" auf den Wert einer Währung auswirken würde, dann müssten - wenn man der Logik der Autorin folgt - sowohl der US$ als auch der Euro gleichzeitig gegenüber allen anderen Währungen "katastrophal" an Wert verlieren. Das passiert aber nicht. Folglich ist die "Logik" der Autorin empirisch eindeutig widerlegt. Sie ist das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist.

Die Wechselkurse werden durch Transaktionen auf den Devisenmärkten bestimmt. Grob gesagt, wenn viele Menschen US$ kaufen, und dafür mit Euro bezahlen, dann wird der US$ relativ zum Euro teurer. Das passiert aber nicht, obwohl die EZB Staatsanleihen kauft. Warum sollte es auch? Dadurch, dass die EZB Staatsanleihen kauft, haben die Menschen, die lieber US$ besitzen, nicht mehr Euro, mit denen sie diese US$ kaufen könnten. Die europäischen Staaten (die von der EZB Geld gegen Staatsanleihen bekommen) kaufen keine US$, sondern sie bezahlen ihre Angestellten und Beamten, sie zahlen Arbeitslosengeld, und so weiter. All das sind Zahlungsströme, die rein in Euro ablaufen. Natürlich geben Menschen Geld auch für Importe aus, aber die Importe verändern sich ja nicht dadurch, dass die Staaten ihre Staatsanleihen nun an die EZB verkaufen anstatt an private Anleger. Aber über all das haben Frau Hoffmann und ihre Kollegen wahrscheinlich noch nie nachgedacht.

Auf Seite 24 lässt die SZ Hans-Werner Sinn mit "Tickende Zeitbombe" fast eine ganze Seite für einen Forum-Beitrag.

Die Probleme der nach ihren Anfangsbuchstaben GIPS-Länder genannten Staaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien) rühren daher, dass diese Länder schon bei der Ankündigung des Euro Mitte der neunziger Jahre in den Genuss extrem niedriger Zinsen kamen, sich deshalb hemmungslos verschuldeten und Kapital aus anderen Gebieten des Euroraums, vornehmlich aus Deutschland, absogen. Der Kapitalfluss erzeugte in den GIPS-Ländern einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung mit hohen Lohn- und Preissteigerungen, der die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie unterminierte und die Importe ankurbelte.

Der gute Herr scheint die Länder mit ihrer jeweiligen Privatwirtschaft zu verwechseln. Richtig ist, dass besonders die deutsche Privatwirtschaft z.B. in Spanien einen irrsinnigen Bauboom ausgelöst hat durch private Investitionen. Die genannten Länder hatten aber noch vor wenigen Jahren keine besonders hohe Staatsschuldenquote (bezogen aufs BIP), die zitierte Darstellung ist also zutiefst irreführend.

Richtig zynisch ist die direkte Nebeneinanderstellung der fallenden Zinsen dieser Länder mit dem "Absaugen" von Kapital. Anleger lockt man nicht mit fallenden Zinsen - das zu behaupten ist vollkommener Quark. Investoren in Deutschland wussten einfach nicht wo investieren in Deutschland, also haben sie sich Investitionsmöglichkeiten anderswo gesucht - und sind so zum Beispiel trotz der niedrigen Zinsen in Spanien gelandet und haben den genannten Bauboom ausgelöst. (Nebenbei bemerkt entstehen die Zinsen nicht durch marktwirtschaftliche Effekte, sondern werden de facto durch die EZB festgelegt.)

Seht ihr, wie man aus der gleichen oberflächlichen Zahlenlage sehr unterschiedliche Bilder von Kausalität und "Schuld" zeichnen kann? Interessant finde ich dieses Zitat:

Die Länder hätten nun eigentlich aufhören müssen, über ihre Verhältnisse zu leben.

Ob Sinn mir wohl zustimmen würde, dass Deutschland seit vielen Jahren unter seinen Verhältnissen lebt? Das ist zumindest der logische Schluss, den man angesichts der jeweiligen Nettoexporte bzw. -importe ziehen muss.


1. Zuerst kamen die Kredite von der Europäischen Zentralbank, die im Zuge ihrer „Vollzuteilungspolitik“ bereitwillig Geld druckte und verlieh.

Genau das ist die Aufgabe von Zentralbanken! Die ersten modernen Zentralbanken wurden als Reaktion auf häufige Bankruns als "Lender of Last Resort" gegründet. Es ist ihre wohl fundamentalste Aufgabe, zur Stabilisierung des Geldsystems an Banken unbegrenzt Geld zu verleihen, solange die Banken die regulatorischen Kapitalanforderung erfüllen. Offenbar hat Sinn es nicht besonders mit der geschichtlichen Entwicklung der modernen Geldsysteme. Die EZB dafür zu kritisieren, dass sie ihren ureigensten Job macht, ist jedenfalls etwas fehl am Platz.


2. Die Zentralbank finanzierte ferner die Staatsbudgets der GIPS-Länder, indem sie Staatspapiere kaufte, was Bundesbankpräsident Axel Weber veranlasste, von seinem Posten zurück zu treten. Ein solches Verhalten war der Bundesbank früher wegen der Inflationserfahrungen aus der Weimarer Republik verboten.

Ich denke, zum Thema Weimar habe ich oben schon genug geschrieben.


3. Damit nicht genug, erlaubte die EZB den nationalen Notenbanken, außerhalb der normalen Geldschöpfung neues Geld zu schöpfen und gegen mindere Sicherheiten an die jeweiligen Geschäftsbanken zu verleihen (ELA, Emergency Liquidity Assistance).
4. Vor allem aber gaben einzelne Zentralbanken, an erster Stelle die Bundesbank, den Zentralbanken der GIPS-Länder über die EZB in gigantischem Umfang Kredite, um den versiegenden privaten Kreditfluss zu ersetzen. Dies geschah unter der technischen Bezeichnung „Target-2-Salden“ von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ohne Mitwirkung parlamentarischer Gremien und ohne Spuren in der Bilanz der EZB zu hinterlassen.

Es fasziniert mich immer wieder, wie viel Aufmerksamkeit orthodoxe Ökonomen darauf legen, wie und wo die Betreiber eines Geldsystems ihre Buchhaltung intern durchführen. Dabei ist das einzige Wichtige, welche Transaktionen mit dem privaten Sektor durchgeführt werden.

Zur sinnvollen Analyse eines Geldsystems muss man den monetären Souverän - im Fall der Eurozone also die EZB mit all ihren Zweigfilialen, im Falle der US die gesamte US-Regierung inklusive Fed - als Einheit betrachten und dann untersuchen, wie dieser Souverän mit privaten Akteuren interagiert. Wie die Tabellenkalkulationen des Souveräns intern aussehen ist dabei völlig unerheblich.


5. Und nun gibt es die neuen EU-Beschlüsse zur Ausweitung des Rettungsfonds in Luxemburg, die der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen zu Recht als „Besorgnis erregend“ bezeichnet. Der Fonds wird die europäischen Ungleichgewichte, die durch die überbordende Entwicklung der Preise und Einkommen zustande kamen, verlängern und die Auslandsschulden der GIPS-Länder immer weiter anwachsen lassen. Mit jedem Jahr, während dessen die Kredite der Staatengemeinschaft die versiegenden privaten Kredite ersetzen, entfernt sich das Eurosystem weiter von der Lösung seiner Probleme.

Was Sinn hier verschweigt ist, dass er selbst ein großer Freund deutscher Nettoexporte ist, und genau hier liegt der Hund begraben. Letztlich sind die ungewöhnlich hohen Schulden der anderen Euroländer nichts anderes als die rechnerische Kehrseite der kontinuierlichen deutschen Nettoexporte in den Rest der Eurozone.

Man muss sich das klarmachen: die "Peripheriestaaten" der Eurozone haben jahrelang mehr Güter von Deutschland gekauft als umgekehrt, und dementsprechend Euro nach Deutschland geschickt. Wegen der euphemistisch so genannten "Lohnzurückhaltung" in Deutschland floss dieses Geld dann an Kapitalbesitzer, die dieses Geld nicht für Konsum ausgeben, sondern anlegen wollten. Wegen des stagnierenden Konsums in Deutschland (siehe auch: Lohnzurückhaltung) gab es in Deutschland aber wenig attraktive Investitionsmöglichkeiten. Also wurde das Geld als Kapital zurück in die "Peripheriestaaten" geschickt - wohlgemerkt aber im Gegenzug für Forderung der deutschen Kapitalbesitzer ans Ausland. Es hat sich also der private Sektor dieser Länder verschuldet. Es entstand ein Kreislauf zugunsten der Vermögen der deutschen Kapitalbesitzer, aber zulasten der deutschen Bevölkerung, die unter ihren Verhältnissen gelebt hat und immer noch lebt.

Inzwischen trauen sich private Kapitalbesitzer in Deutschland nicht mehr zu Investitionen in den "Peripheriestaaten". Dadurch ist eine Hälfte dieses Kreislaufs kollabiert, aber die andere Hälfte bleibt bestehen, weil sich internationaler Handel nur relativ träge wandelt. Die jetzige Kreditvergabe auf staatlicher Ebene ist der Ersatz für die privaten Investitionen.

Sinn hat durchaus Recht, wenn er kritisiert, dass eigentlich die Ungleichgewichte, die diesem Kreislauf zugrunde liegen, behoben werden müssen. Aber er hat offenbar nicht die intellektuelle Integrität um klar auszusprechen, was dies bedeutet. Entweder deutsche Exporte müssen zurückgehen, oder deutsche Importe müssen wachsen. Ersteres wäre auf vielen Ebenen unklug, und letzteres geht nur über extrem stark wachsenden Konsum. Aber dafür müssen Löhne sehr, sehr deutlich steigen (wir reden hier, wenn ich mich richtig erinnere, von Lohnsteigerung um 15-20%) - etwas, wogegen sich die orthodoxe Wirtschaftswissenschaft in Deutschland, inklusive Sinn, sträubt. Wenn Sinn wirklich so intellektuell integer wäre wie sein Professorentitel suggeriert, dann müsste er diese Dinge lautstark einfordern. Aber anscheinend gehört er zur deutschen Elite, die sich mit aller Kraft dagegen sträubt, die offensichtliche unangenehme Wahrheit endlich einzusehen.


Während die Haftung für fehlende Sicherheiten für ELA-Kredite früher bei der jeweiligen nationalen Notenbank lag, ist sie inzwischen im Eurosystem vergemeinschaftet worden.

Es ist verrückt so zu tun, als könnte man mehrere Zentralbanken für eine Währung haben. Organisatorisch ist es natürlich sinnvoll, die nationalen Notenbanken als Filialen der EZB weiter zu betreiben, aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Effektiv ist das gesamte EZB-System eine einzige Zentralbank. Es ist nur konsequent, diese Tatsache weiter zu formalisieren an Stellen, wo dies bisher nicht der Fall war.

Überhaupt verläuft sich Sinn im dritten Teil seiner Artikels in Details darüber, wie die Buchführungsabläufe im EZB-System intern aussehen. Es ist zwar durchaus interessant, über solche Themen zu lesen. Ich empfehle zum Beispiel auch aus diesem Grund Randall Wrays Buch "Understanding Modern Money", das allein deswegen lesenswert ist, weil es ein Kapitel mit einer detaillierten Erklärung der täglichen Zahlungsmechanismen im US-System zwischen Fed und Treasury enthält. Das Problem ist nur, dass Sinn im Habitus des durchgedrehten Verschwörungstheoretikers hinter jedem Detail einen Skandal sehen zu wollen scheint und eine entsprechend geladene Sprache verwendet. Dabei handelt es sich um vollkommen gutartige Details, die eben im Zuge des Alltagsgeschäft bei der EZB sinnvoll sind. Auf ihnen herum zu reiten lenkt von den eigentlichen makroökonomischen Problemen im Zusammenhang mit Handelsungleichgewichten ab, die ich oben kurz skizziert habe. Letztlich würde ich daher eher davon abraten, ihn zu lesen.

In seinem Fazit stellt Sinn jedenfalls noch einmal klar, dass er das Problem entweder nicht verstanden hat oder nicht verstehen will:

Nicht die weitere Öffnung des Geldhahns, sondern allein eine Prozedur, die seine allmähliche, kontrollierte Schließung sicherstellt, kann Europa jetzt noch retten. Der Pakt für den Euro und der sogenannte Europäische Stabilitätsmechanismus aber schwächen den Euro, unterminieren den Zusammenhalt Europas und gefährden das europäische Einigungswerk.

Der Geldfluss in Form von Forderungen ist nur das Spiegelbild der Exportüberschüsse Deutschlands. Er kann nur enden, wenn die Exportüberschüsse enden.

Es gibt zwei Wege, dies zu erreichen. Entweder, man "dreht den Geldhahn zu" und würgt deutsche Exporte ins europäische Ausland dadurch ab. Damit schneidet man sich nur ins eigene Fleisch.

Oder man gibt genügend Geld an deutsche Bürger, damit diese über Importe die Exportüberschüsse ausgleichen können. Dann hört der Geldfluss ganz von alleine auf.

Es ist offensichtlich, dass der zweite Weg der bessere ist, aber trotzdem beharren alle - leider auch die deutschen Bürger selbst - darauf, dass der erste Weg gegangen wird. Es ist zum Heulen, wenn man untätig dabei zusehen muss, wie sich die gesamte europäische Politik auf einem Selbstzerstörungskurs befindet und dabei auch noch von sogenannten Wissenschaftlern angefeuert wird. Wenigstens ist Sinn inzwischen laut Profil 63 Jahre alt. Mit etwas Glück geht er bald in Ruhestand.