Samstag, 2. Oktober 2010

Selbstverschuldete Handlungsunfähigkeit

Heute ist Marc Beise auf der Meinungsseite an der Reihe mit seinem Kommentar "Wer wie viel verdient". Genüsslich präsentiert er wieder einmal ein Lieblings-"Argument" derjenigen, die den Staat in seinem Freiraum bei der Regulierung der Finanzmärkte einschränken wollen:

Die Politik hat dazu auf dem Papier alle Möglichkeiten. Der Gesetzgeber kann, unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, Managervergütung steuern, Spitzeneinkommen begrenzen, Boni verbieten. Er kann den Spitzensteuersatz nach oben schieben, bis es schmerzt.

All das ginge - nur ist Deutschland dummerweise keine Insel, und Geld ein flüchtiges Gut. In der globalisierten Welt würden die internationalen Kapitalströme sofort, buchstäblich über Nacht, in andere Staaten und Volkswirtschaften fließen.

Der Spitzensatz der Einkommenssteuer wirkt sich nicht auf Unternehmensbilanzen aus, wieso sollte er also einen Einfluss auf Investitionsentscheidungen haben? Wenn Spitzeneinkommen begrenzt werden, wirkt sich das sogar ganz unmittelbar positiv auf die Bilanzen aus.

Hier wird versucht, einen Zusammenhang herzustellen wo ganz offensichtlich keiner existiert. Die Schauergeschichten, mit denen hier die Handlungsfähigkeit von Regierungen eingeschränkt werden soll, sind frei erfunden. Das ist aber nicht der einzige Mythos, den Marc Beise heute weiter zu verbreiten versucht:

Will man diese Schranke aushebeln, müsste man Mindestlöhne festsetzen, nicht wie bisher nach sorgfältiger Abwägung Branche für Branche, sondern generell. Das aber wäre ein schwerer Eingriff in die Marktwirtschaft, Arbeitsplätze in großer Zahl würden unrentabel und gingen verloren.

Die Arbeitsplätze, von denen er hier spricht, sind heutzutage nur deshalb rentabel, weil die Arbeitnehmer ihren mageren Lohn vom Staat aufstocken lassen können. Hierin liegt der wahre Eingriff des Staates in die Marktwirtschaft, und mit einem Mindestlohn könnte diese Verzerrung des Wettbewerbs endlich beendet werden.

Im Übrigen ist es keinesfalls so, dass irgendjemand mit Sicherheit sagen könnte, ob sich die Einführung eines Mindestlohns positiv oder negativ auf die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze auswirken würde. Ein Blick ins europäische Ausland, in dem überwiegend gesetzliche Mindestlöhne gelten, legt aber nahe, dass der Effekt eher positiv wäre. Eine von ver.di in Auftrag gegebene Studie kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass durch einen Mindestlohn netto mehr Arbeitsplätze entstehen würden.

(Das bedeutet, dass zwar einzelne Arbeitsplätze tatsächlich verloren gehen können, insgesamt aber - indirekt durch den positiven Impuls für den Konsum - mehr neue Arbeitsplätze entstehen würden.)

Im Wirtschaftsteil auf Seite 23 wiederholt Alexander Hagelüken im Kommentar "Das Währungsdrama" vielen Unsinn, den ich hier bereits krisiert haben. Ich will aber auch auf einen neuen Aspekt hinweisen.

Zum einen müssen staatliche Defizite frühzeitig begrenzt werden, bevor sie auf einen Ballon der irischen Größe anschwellen, der kaum zu steuern ist.

Hinter dieser Aussage versteckt sich die implizite Behauptung, Regierungen könnten das Staatsdefizit direkt kontrollieren. Dass das falsch ist, sieht man empirisch unter anderem an Irland, das trotz größter (dummer) Bemühungen nicht in der Lage ist, das Staatsdefizit wie gewollt zu senken, weil mangels Wirtschaftsaktivität einfach die Steuereinnahmen ausbleiben.

Das Staatsdefizit ergibt sich nach den politischen Ausgabenentscheidungen zum großen Teil aus der Differenz aus Sozialausgaben und Steuereinnahmen, und diese Differenz ergibt sich nunmal aus der Konjunktur, auf die die Regierung nur indirekt Einfluss nehmen kann. Wenn sie z.B. wie jetzt die fiskalischen Impulse zurückfährt, wird sich die Differenz aus Sozialausgaben minus Steuereinnahmen zwangsläufig vergrößern, weil einerseits durch höhere Arbeitslosigkeit die Sozialausgaben steigen und andererseits durch verminderte Wirtschaftsaktivität die Steuereinnahmen zurückgehen.

Dann kommt es darauf an, ob diese Vergrößerung geringer ausfällt als die Einsparung durch reduzierte fiskalische Impulse. In der aktuellen Lage sieht es eher so aus, als ob jeglicher Sparversuch durch die dadurch verschlechterte Konjunktur zunichte gemacht würde.

Wenn unsere Politiker kapieren würden, dass sie erstens keine Kontrolle über das Staatsdefizit haben und dass das zweitens eigentlich auch gar nicht so schlimm sein müsste - wenn nicht die Sache mit den Staatsschulden wäre - dann wäre uns allen viel geholfen.

Was ist also die Sache mit den Staatsschulden? Für einen souveränen Staat sind Staatsschulden kein Problem - aber die Euro-Länder sind leider nicht souverän. Irgendwann dazu vielleicht mehr Hintergründe, vorerst nur eine kurze Anmerkung:

Die Währungsunion wird nur weiterbestehen, wenn die einzelnen Mitglieder aufhören, gegeneinander zu arbeiten. Es muss vorbei sein mit exzessiven Schulden, die ohne Hilfe fremder Steuerzahler in den Staatsbankrott führen.

Diese Aussage ist naiv. Deutschland hatte mit seiner föderalen Struktur zu DM-Zeiten im Prinzip die gleichen strukturellen Schwierigkeiten wie die Euro-Zone heute, nur dass das durch Länderfinanzausgleich und eine starke Bundesregierung immer abgefedert werden konnte. Wenn das Experiment Euro langfristig funktionieren soll, müssen auf Euro-Ebene ähnlich starke Ausgleichsmechanismen eingeführt werden.

Was ist dagegen das Rezept des heutigen Leitkommentators der SZ-Wirtschaftsredaktion?

Gleichzeitig gingen viele Spanier auf die Straße, um eine Politik zu blockieren, die dem Land eine Zukunft verspricht: flexibleres Arbeitsrecht und höheres Rentenalter, um die Arbeitslosigkeit von 20 Prozent zu senken und den Sozialstaat finanzierbar zu halten.

Die letzten 20 Jahre haben unübersehbar gezeigt, dass eine Lockerung des Arbeitsrechts nicht zu einem echten Anstieg der Anzahl der Arbeitsplätze führt. Bestenfalls versteckt man das Problem dadurch wie in Deutschland in einem Sektor der Unterbeschäftigung.

Zynisch ist auch der Vorschlag, das Rentenalter zu erhöhen um den Sozialstaat finanzierbar zu halten. Zur Erinnerung: Sagen wir, die aktive Erwerbsbevölkerung ist A, die Anzahl der Erwerbstätigen ist B, und die Arbeitslosen sind C. Dann gilt per Definition:

A = B + C

Ein Erhöhen des Rentenalters erhöht logischerweise die Zahl A. Also muss entweder B oder C größer werden. Aber wieso sollten Firmen neue Mitarbeiter einstellen, nur weil plötzlich mehr ältere Menschen arbeiten wollen? B wird sich alleine durch das Erhöhen des Rentenalters nicht verändern.

Wenn alle anderen Parameter gleichbleiben führt eine Erhöhung des Rentenalters zwangsläufig zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Die wiederum belastet den Sozialstaat. Wie sich die Sozialstaatsausgaben durch die Erhöhung des Rentenalters verändern hängt also im Wesentlichen nur davon ab, wie groß die Ausgaben für Arbeitslose gegenüber den Renten sind.

Mit vernünftiger Politik hat das nichts zu tun.

Die anderen Rezepte zeichnen sich auch nicht gerade durch Nachdenken aus:

Es ist eine falsche Wirtschaftspolitik, die Länder wie Griechenland oder Spanien an den Abgrund führt: Zu hohe Löhne, die nicht durch Exporterfolge finanziert sind. Und zu hohe Sozial- und Rentenausgaben, die sich nicht bezahlen lassen.

Hier schwingt wieder die Vorstellung mit, dass doch alle Länder dem Beispiel Deutschlands folgen sollten und die Arbeitnehmer belasten um zu Exportländern zu werden. Das ist ein klassischer Fall vom Trugschluss der Komposition. Wenn jedes Land so vorgeht, kann dies nicht gelingen, da schließlich den Exportländern auch Importländer gegenüberstehen müssen. Daraus entsteht ein Wettbewerb in den Abgrund, bei dem die Staaten darum wetteifern, wer es seinen Bürgern schlechter gehen lassen kann um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Das kann nicht Sinn und Zweck von Wirtschaftspolitik sein.

Am Ende noch ein Hinweis auf eine Notiz auf Seite 25, "Arbeitsmarkt erholt sich nur langsam", zu einer Mitteilung der International Labour Organisation. In diesem Zusammenhang will ich auf Bill Mitchells Analyse dieser Mittelung verweisen.

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