Freitag, 8. Oktober 2010

Die Generationenlüge

Nina von Hardenberg - was für eine lustige Fügung - verbreitet auf der Meinungsseite in ihrem Kommentar "Der Kettenbrief der Pflegeversicherung" das weit verbreitete fehlgeleitete Weltbild in Sachen Generationenkonflikt. Das fängt inhaltlich so an:

Die Dummen sind heute die jungen Beitragszahler. Denn wenn sie einmal gebrechlich sind, wird es viel mehr alte und weniger junge Menschen geben. Man muss kein Mathematik-Genie sein, um zu wissen, dass dann entweder jeder weniger bekommt oder die Versicherung wesentlich teurer wird.

Dumm sind die jungen Beitragszahler in der Tat wenn sie sich darum Sorgen machen, wie viel Geld sie im Alter zur Verfügung haben werden. Viel wichtiger als die Frage nach dem Geld ist nämlich die Frage, wie viele reale Güter und Dienstleistungen sie im Alter in Anspruch nehmen können werden.

Wird es der realen Wirtschaft in 50 Jahren gut genug gehen, um die (vermutlich, aber so klar ist das bei weitem nicht - wer kann schon zuverlässig 50 Jahre in die Zukunft sehen) alternde Bevölkerung mit künstlichen Hüftgelenken zu versorgen? Falls ja, dann kann ein geldtechnisch souveräner Staat - den wir dann hoffentlich wieder haben werden, egal ob in einem EU-Rahmen oder nicht - das auch immer bezahlen, wenn es denn politisch gewollt ist. Ich empfehle die Auseinandersetzung mit Modern Monetary Theory, falls diese Aussage merkwürdig erscheint.

Wenn aber umgekehrt die reale Wirtschaft nicht leistungsfähig genug ist um die künstlichen Hüftgelenke herzustellen, dann helfen auch die größten Sparvermögen nicht weiter.

Ironischerweise führt die Panik vor eingebildeten Finanzierungsschwierigkeiten der zukünftigen Altersversorgung zu einer Politik, die die realwirtschaftlichen Voraussetzungen für eben diese Altersversorgung eher behindert. Wenn die Politik durch entsprechende Anreize die Sparquote der Bevölkerung erhöht und so den Konsum reduziert, schwächt das die reale Wirtschaft ganz konkret. Eine geschwächte Wirtschaft investiert aber weniger in die Forschung und Entwicklung die wir brauchen, um die Voraussetzungen für die zukünftige reale Versorgung der Gesellschaft zu gewährleisten.

Die Denkfehler, die zu dieser wirren Politik führen, sind ein durchaus verständlicher Fall vom Trugschluss der Komposition. Spart ein einzelnes Individuum mehr als andere, so erarbeitet es sich dadurch höchstwahrscheinlich den Vorteil, damit zukünftig über mehr reale Güter und Dienstleistungen verfügen zu können.

Wenn aber jeder spart, dann tritt dieser positive Effekt in der Zukunft nicht ein, während gleichzeitig negative Effekte in der Gegenwart ausgelöst werden (weil die Regierung irrationale Angst vor fiskalischen Impulsen hat).

Zusammen mit all den anderen Problemen einer privaten kapitalgedeckter Altersversorgung, wie zum Beispiel die Unsicherheit gegenüber Wirtschaftskrisen und ihrer Ineffizienz im Vergleich zu staatlichen Umlagesystemen, ist es geradezu zum Heulen, dass sie von Politikern nahezu aller Parteien als gutes Modell für eine Gesellschaft angepriesen wird.

Wenigstens eine Sache hat Nina von Hardenberg kapiert:

Eine gerechte Reform muss auch einen Ausgleich zwischen den privaten und den gesetzlichen Kassen schaffen. [...] Tatsächlich ist der derzeitige Zustand unhaltbar, dass Privatversicherungen dank vieler gesunder Mitglieder günstiger sind als Kassen – dass sich also Spitzenverdiener bei einem exakt gleichen Angebot billiger versichern können als Arme.

Freilich wäre es aus marktwirtschaftlicher Perspektive besser, die gesetzliche Versicherung verpflichtend zu machen, und private Versicherungen nur als Zusatzversicherungen zuzulassen.

In seinem Kommentar "Liberaler Irrläufer" auf Seite 17 demonstriert Marc Beise mal wieder sehr schön, wie extrem ideologisch verdreht er eigentlich ist. An sich ist das kein Problem: Kommentare sind da, um Meinungen zu enthalten. Problematisch wird es, wenn es gelingt krass ideologische Positionen als unideologisch zu verkaufen, weil nicht genug Meinungsvielfalt vorhanden ist. Daher will ich einmal ein paar Dinge gegenkommentieren, insbesondere den Hammer, den sich Beise am Ende leistet:

Wer der Wirtschaft zu viele Regeln oder zu hohe Kosten aufhalst, vernichtet Jobs. Dies immer wieder zu betonen, wäre die Aufgabe des Wirtschaftsministers.

Aufgabe des Wirtschaftsministers ist die Leitung des Wirtschaftsministeriums, und zwar gemäß der Richtlinien des Kanzlers, so dass die Regierung ihr indirekt durch die Bevölkerung aufgetragenes politisches Mandat erfüllen kann.

In einer Zeit, in der für jeden sichtbar unterreguliert wird, ist es verkehrt, vor zu vielen Regeln zu warnen. Natürlich kann das Pendel auch wieder in die andere Richtung schwingen, dann muss man sich womöglich über zu restriktive Regeln Gedanken machen. Im Moment sind wir davon noch sehr weit entfernt.

Aber im Grunde ging es in dem Artikel ja um Lohnsteigerungen. In diesem Kontext sind es hauptsächlich Auslassungen, die man Beise vorwerfen muss.

Um zu verhindern, dass sein schräges Weltbild nicht gefährdet wird unterschlägt er, dass sich die Löhne in Deutschland über viele Jahre hinweg unterhalb der Produktivitätssteigerung entwickelt haben und so der Anteil der Arbeitnehmer an den erzielten Umsätzen zurückgegangen ist. Die schwächelnde Binnennachfrage, unter der Deutschland leidet, lässt sich auch auf diese Entwicklung zurückführen - schließlich sind volkswirtschaftlich betrachtet die Löhne nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch eine Einnahmequelle für Unternehmen.

Auch Helga Einecke übersieht in "Wette gegen den Dollar" den Elephanten im Raum.

Der starke Euro könnte einen Mann wie den EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet freuen. Ist der nicht der sichtbarste Beweis dafür, dass im Euroraum wieder alles in Ordnung ist? Wer so denkt,
liegt doppelt falsch.

In der Tat, aber der Kommentar übersieht das eigentliche Problem. Der Sparkurs der Regierungen der Euro-Länder wirkt sich negativ auf die Nachfrage in diesen Ländern aus. Solange diese (in meinen Augen vollkommen verkehrte) Politik weiterbesteht kann ein kräftiges Wirtschaftswachstum über die ganze Euro-Zone also rein aus unverrückbaren Bilanzgründen nur durch Nachfrage aus dem Ausland - sprich Netto-Exporte in Nicht-Euro-Länder - entstehen oder durch vermindertes Sparen bzw. steigende Verschuldung des privaten Sektors - ich persönlich halte Letzteres angesichts der noch frischen Erinnerung an die Finanzkrise für unplausibel (aber wer weiß das schon sicher).

Ein starker Euro wirkt sich auf Exporte aber negativ aus und macht dadurch die "Sanierungs"-Politik der Euro-Regierungen zunichte. Ein starker Euro kombiniert mit der aktuellen Politik ist also eine ziemlich schlechte Nachricht.

Soweit ich die Lage verstehe ist die echte Lösung natürlich nicht eine erzwungene Abwertung des Euros sondern eine bessere Politik und die Abkehr vom Exportwahn, aber darüber habe ich ja schon des öfteren geschrieben.

Zum Artikel "Trichet treibt Europas Währung" auf Seite 24 verweise ich auf Bill Mitchell, der das ganze Gerede um Wechselkurse und insbesondere den Yuan souveräner als ich einordnen kann.

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