Montag, 8. November 2010

Der Albtraum kommt wieder

Voller Schrecken las ich heute in der SZ, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, einen Goldstandard einzuführen. Dabei müsste man nach den Lehren des letzten Jahrhunderts ganz deutlich sagen: "Nie wieder soll die Handlungsfähigkeit souveräner Staaten derart eingeschränkt werden!"

Zur Erinnerung: Goldstandard bedeutet, dass Regierung sich daran binden, Geld zu einem festen Preis gegen Gold einzutauschen. Wenn der Markt mehr Gold verlangt als die Regierung zur Verfügung stellen kann zwingt das die Regierung dazu, die Wirtschaft durch Steuern und andere Maßnahmen abzuwürgen und dadurch ihren eigenen Bürgern unnötiges Leid aufzuzwängen. Dieses Regime wurde vor 40 Jahren aus guten Gründen endgültig abgeschafft.

Schon im Aufmacher der Seite 2 konzentriert sich die kollektive Idiotie der zur Zeit handelnden Politiker:

Die US-Notenbank pumpt gerade viele neue Milliarden in den Markt. Dadurch verliert der Dollar schnell an Wert, die US-Wirtschaft erhält bessere Exportchancen. Werden andere Staaten nun auch ihre Währung verbilligen? Drohen Inflation und neue Turbulenzen in der Weltwirtschaft?

Warum, um alles in der Welt, wollen alle unbedingt so viel exportieren? Handel ist gut, klar. Aber Exporte sind realwirtschaftlich gesehen ein Verlust. Wer exportiert sendet Waren ins Ausland, die dadurch den Bürgern im eigenen Land entgehen. Das kann sich lohnen, wenn man im Gegenzug auch begehrte Waren importiert. Aber diese Kehrseite von Exporten wird totgeschwiegen.

Tatsächlich sollten die USA einfach die einmalige Situation, dass ihnen die halbe Welt ohne Gegenleistung Waren senden will, genießen. Gerne sollen sie von mir aus 600 Milliarden US$ drucken - wenn sie dieses Geld dann direkt ausgeben würden um Arbeitsplätze zu schaffen und das Geld so unter die Bevölkerung zu bringen. Das würde die US-Importe vermutlich kurzfristig noch weiter steigen, und ja, der US$ würde dann vermutlich an Wert verlieren um den Außenhandel wieder auszugleichen - aber zwischenzeitlich hätten die US-Bürger davon massiv profitiert.

Dass es in Deutschland noch keine Revolution gegen den Exportwahn gegeben hat ist auch nur dadurch zu erklären, dass die Bevölkerung nicht versteht, dass Nettoexporte einen ganz konkreten realen Verlust von Lebensstandard bedeuten.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: jedem Deutschen entgehen im Schnitt jährlich 1500€ an Importen, die er oder sie im Falle eines ausgeglichenen Außenhandels mehr genießen könnte.

Ich kann der ganzen Themen-Seite nichts, aber auch gar nichts Gutes abgewinnen. Da steht so viel Unfug drin, zum Beispiel wieder einmal die absolut unsachliche Gleichsetzung von Staatsschulden mit privaten Schulden. Am schlimmsten ist mir heute aber das hier aufgestoßen:

Zu viel Geld in Umlauf treibt die Preise, und dauerhafte Inflation enteignet die Sparer. Knappheit ist daher die wichtigste Eigenschaft von Geld; zumal, wenn dieses selbst keinen materiellen Wert mehr hat wie eben Gold, Muscheln, Kamele oder was immer die Menschen als Zahlungsmittel ersannen.

Die Erwähnung von Inflation im Kontext des Goldstandards ist geradezu lächerlich. Seit der Auflösung des Goldstandards mit dem Ende von Bretton Woods ist die Inflation sehr konsistent niedriger als vorher. Auch die Phasen niedriger Inflation im 19. Jahrhundert in den USA haben mehr mit kontraktionärer Fiskalpolitik zu tun als mit dem Goldstandard. Wenn man also irgendeine Verbindung zwischen Goldstandard und Inflation sehen wollte, dann eher umgekehrt: die Inflation war in Zeiten des Goldstandards höher als heutzutage.

In Wirklichkeit hat die Vorstellung, der Goldstandard habe irgendwas mit Inflation zu tun, nur sehr wenig mit der Realität zu tun.

Übrigens ist auch die Erwähnung von Muscheln vollkommen unsachgemäß. Muscheln wurden nie wegen ihres intrinsischen Wertes als Zahlungsmittel verwendet, sondern wegen ihrer Fälschungssicherheit. Das gleiche gilt entgegen konventioneller Weisheiten auch für Edelmetalle: die Verwendung von Edelmetallen in Münzen war historisch meist eine Maßnahme zur Erhöhung der Fälschungssicherheit und hatte mit dem Metallwert an sich nichts zu tun.

Die SZ-Wirtschaftsredaktion demonstriert unterdessen am lebenden Beispiel, dass man politische Ideologien auch unterstützen kann, indem man bestimmte Dinge einfach totschweigt. Während sie die Zerstörung staatlicher Souveränität durch den Goldstandard zum Leitthema auf Seite 2 hochjubelt, ist ihr die dringend notwendige Diskussion über Junckers Vorschlag, Euro-Anleihen einzuführen - ein wichtiger Schritt in Richtung Wiederherstellung von Souveränität - gerade einmal die Randnotiz "Streit um Europa-Anleihe" auf Seite 21 wert.

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