Ich versichere also hoch und heilig: alles, was ich hier schreibe, meine ich ernst - und ich kann das auch im ruhigen, sachlichen Dialog ausführlich begründen. Aber ab jetzt gilt: immer feste druff!
Heute verbreitet Nikolaus Piper im Kommentar "Gelähmte Weltmacht" auf Seite 4 wieder einmal gefährlichen Unfug.
Rational würde bedeuten: Zunächst noch einmal mit zusätzlichem Geld Arbeitsplätze und Investitionen fördern und dafür sogar kurzfristig ein höheres Defizit in Kauf zu nehmen. Die Perspektive auf eine Wende müsste aber bereits jetzt klar sein. Die USA bräuchten eine überzeugende Strategie, um mittelfristig ihr Staatsdefizit abzubauen. Mit dem Wahlergebnis ist es nun sehr unwahrscheinlich geworden, dass es dazu kommt, um es vorsichtig auszudrücken.
Der Autor fabuliert davon, dass man das Staatsdefizit reduzieren müsse. Ja, warum denn? Was ist an einem Staatsdefizit denn eigentlich so schlimm?
Als Privatperson muss man immer erst Geld einnehmen, bevor man es ausgeben kann. Im Zweifelsfall kann man natürlich Kredite aufnehmen, aber lange geht das nicht gut.
Nur: ein souveräner Staat wie die USA unterliegt solchen Limits nicht. Die US-Bundesregierung kann so viel Geld ausgeben wie sie möchte. Überhaupt kein Problem. Wie, ihr glaubt mir das nicht? Dann denkt doch mal in Ruhe über das hier nach - aus dem gleichen Artikel, wohlgemerkt:
Fast gleichzeitig verkündet die Notenbank Federal Reserve, dass sie weitere 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft pumpen wird.
Hier wird sehr klar demonstriert, dass nichts, aber auch gar nichts, die US-Bundesregierung daran hindern kann, mal auf die Schnelle 600 Milliarden US$ auszugeben. Sicher, die Transaktion wird von der Fed durchgeführt - aber letztlich ist die Fed einfach nur einer von vielen Armen der US-Regierung. Mehr über die Struktur der Regierung und das Verhältnis von Treasury und Zentralbank findet man bei billy blog.
Ist es eine gute Idee, wenn die Regierung beliebig viel Geld ausgibt? Natürlich nicht. Aber sowohl ein zu geringes wie auch ein zu hohes Staatsdefizit haben schädliche Auswirkungen.
Im konkreten Fall der USA sieht die Situation so aus, dass das Wachstum in den USA seit dem Ende der 1990er zu einem sehr großen Teil durch Verschuldung privater Haushalte ermöglicht wurde - durch Kreditkarten, vor allem aber durch Hypotheken. (In diesem Zusammenhang übrigens interessant: 9,5% aller deutschen Haushalte gelten als überschuldet, siehe Seite 28, "Fast jeder Zehnte ist überschuldet"; angesichts der noch frischen Erfahrung mit der Finanzkrise wird sich da aber wohl eher keine Blase entwickeln,) Da aber private Haushalte - im Gegensatz zu souveränen Regierungen - irgendwann an ihre finanzielle Belastbarkeitsgrenze geraten, ist der Hypothekenmarkt dann zusammengebrochen und hat ganz kräftig dazu beigetragen, die weltweite Finanzkrise ins Rollen zu bringen. Als rationale Folge davon versuchen private Haushalte in den USA jetzt, zu sparen - das heißt konkret: zunächst Rückbezahlung von Krediten, dann Aufbau eines kleinen Sicherheitspolsters. Der private Sektor will also sparen.
Gleichzeitig ist die USA eine extreme Importnation, was bedeutet, dass US$ und äquivalente Mittel ins Ausland abfließen.
Für Geld gilt aber Flusserhaltung: die Abflüsse ins Ausland und in privates Sparen müssen irgendwoher kommen - und als Quelle bleibt nur noch die Regierung übrig - siehe auch eine Einführung in die Sectoral Balances. Weigert sich die Regierung, als Geld-Quelle herzuhalten, so führt dies unweigerlich zu einem Wettkampf um US$, bei dem jede Menge Menschen leer ausgehen werden. Landläufig nennt man diese Menschen dann "Arbeitslose".
Die richtige Politik für die US-Regierung (und übrigens für praktisch alle westlichen Staaten zur Zeit) wäre also, die Fluttore zu öffnen um massiv Geld in die Hände der breiten Bevölkerung zu bringen - wir reden hier über Maßnahmen in Billionen-Höhe. Dies würde sinnvollerweise in Form von Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Infrastruktur geschehen.
Und nein, Pläne für einen späteren Ausgleich dieser Defizite muss man keine aufstellen. Wenn ein entsprechender Ausgleich irgendwann volkswirtschaftlich angemessen sein sollte, so wird dies schon deutlich genug sichtbar werden: durch Vollbeschäftigung (weniger als 2% Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitig null Unterbeschäftigung), durch automatische Reduzierung des Defizits durch automatische Stabilisatoren (steigende Steuereinnahmen, sinkende Sozialausgaben), und im Zweifelsfall durch echte Preissteigerungen - und damit meine ich nicht die lächerlichen 2%, bei denen die Monetaristen in den Zentralbanken dieser Welt immer sofort vom Weltuntergang fabulieren. Aber wann dieser Fall eintreten wird, kann niemand vorhersagen.
Wie ist in diesem Zusammenhang das Öffnen der Fluttore durch die Fed einzuschätzen? Im Großen und Ganzen ist es Augenwischerei im großen Stil. Dort werden keine handfesten Investitionen getätigt, wie dies z.B. bei Infrastrukturprogrammen der Fall wäre, sondern nur riesige Summen in Bilanzen hin- und hergeschoben. Der genaue Effekt solcher Maßnahmen ist praktisch unvorhersehbar, vermutlich wird er insgesamt gering bleiben. Lediglich ein paar geschickten Spekulanten wird es vielleicht gelingen, bei einem Umsatz von einer halben Billion US$ noch ein paar goldene Näschen mehr zu verdienen. Und mit etwas Pech entsteht eine Aktienblase, die dann in nicht all zu ferner Zukunft spektakulär zerplatzt - aber dafür müssen die Kurse erst noch hinreichend steigen.
Und weil eine Portion Quatsch in einem Kommentar ja nicht genug ist, liefert Nikolaus Piper dann auch gleich noch die Soße dazu - und zwar nicht zu knapp.
Es geht heute um weit mehr als um Verschwendung und Bürokratie, es geht um ein fundamentales Strukturproblem. Die Vereinigten Staaten müssen, wie andere Industriegesellschaften auch, damit fertig werden, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt.
...
Die Rechnung wird jetzt fällig.
Die neoliberale Propaganda ist inzwischen so weit, dass Meister Piper die Lüge gar nicht mehr beim Namen nennen muss - jeder kennt sie, und die meisten Menschen nehmen sie für bare Münze. Die Wahrheit ist: die demographische Entwicklung ist für einen souveränen Staat unter keinen Umständen ein finanzielles Problem. Wenn eine souveräne Regierung beschließt, dass sie für die Alten im Land sorgen will, dann kann sie immer genug Geld ausgeben um dies auch zu tun - vorausgesetzt, die dafür nötigen Waren und Dienstleistungen können von der Wirtschaft bereitgestellt werden.
Und genau da liegt der Hund begraben: wenn überhaupt, dann ist die demographische Entwicklung ein realwirtschaftliches Problem.
Die einzige Methode, sich volkswirtschaftlich auf demographischen Wandel einzustellen ist, die Wirtschaft dazu fit zu machen, dass sie auch zukünftig die benötigten realen Waren und Dienstleistungen produzieren kann. Wenn sie dann dazu in der Lage ist, kann eine souveräne Regierung jederzeit genug Geld ausgeben, um die angebotenen Waren und Dienstleistungen für die Alten auch zu kaufen.
Wenn aber umgekehrt die Realwirtschaft zu schwach aufgestellt ist, dann helfen den zukünftigen Rentnern die größten Sparvermögen nichts. Dann werden diese Sparvermögen nämlich höchstens zu einer Nachfrage beitragen, die in Wettkampf um zu wenige Waren tritt.
Die unweigerliche Folge ist - wenn die Regierung nicht handelt - Inflation, wodurch die Sparvermögen deutlich an Wert verlieren gegenüber dem, was die Sparer sich erhofft haben. Wenn die Regierung handelt, indem sie Steuern erhöht, so kann sie die Inflation zwar verhindern. Irgendjemand leidet dennoch darunter, vermutlich dann eben die arbeitende Bevölkerung, wer weiß - das liegt an der genauen Ausgestaltung der Steuern.
Fakt ist jedenfalls: die demographische Entwicklung kann genau dann bewältigt werden, wenn die Realwirtschaft gut genug dafür aufgestellt ist. Die Finanzen haben damit überhaupt nichts zu tun - sie sind nur ein Werkzeug, mit dessen Hilfe der Output der Realwirtschaft auf die Menschen verteilt wird. Ein souveräner Staat unterliegt im Einsatz dieses Werkzeugs keinen Beschränkungen, wenn denn nur der politische Wille da ist.
Und jetzt kommt die Ironie der Geschichte: wie können wir dafür sorgen, dass die Realwirtschaft gut dasteht? Am besten geht das, indem wir für eine weitgehende Auslastung der Realwirtschaft bei fortlaufendem Wettbewerb sorgen, denn dann sind die Voraussetzungen für Investitionen und Forschung und Entwicklung ideal.
Die geradezu idiotische, wenn nicht gar bösartige, neoliberale Politik (das Komma ist wichtig - oder kennt irgendjemand gutartige neoliberale Politik?) erreicht genau das Gegenteil. Der Sparkurs der Regierungen würgt die Realwirtschaft ab, verschlechtert also unsere Zukunftschancen. Gleichzeitig fördert sie eine private Versicherungswirtschaft, von der nur die Akteure des Finanzmarkts profitieren, um Sparvermögen aufzubauen, die - wenn sie nicht durch Finanzkrisen sowieso zerstört werden - womöglich angesichts einer schwächelnden Realwirtschaft äußerst enttäuschend sein werden.
Und wenn ich gerade dabei bin, auszuteilen: wie kann man nur so dumm und verlogen sein, in einem Land mit 9,8% Arbeitslosenquote das Rentenalter auf 67 Jahre anzuheben - wie es in Frankreich geschehen ist? Dadurch wird das Problem der Arbeitslosigkeit logischerweise nur noch weiter verschärft, weil sich noch mehr Menschen für eine gleichbleibende Anzahl Arbeitsplätze bewerben.
Gleichzeitig werden effektiv dadurch die Renten gekürzt. Gut, man kann eine Rentenkürzung politisch wollen - auch wenn es objektiv gesehen dafür in Frankreich nun überhaupt keinen Grund gibt. Aber dann sollte man wenigstens die Cojones haben, öffentlich dazu zu stehen. Aber daran mangelt es dem Petit Président ganz offensichtlich.
Im Wirtschaftsteil wird es dann nicht unbedingt besser. Auf Seite 21 behauptet Claus Hulverscheidt in "Warum 61 Milliarden Euro wenig Geld sind":
Anschaulicher wird die Situation, wenn man sie auf eine Familie überträgt, die ein Haus gebaut hat und deshalb hoch verschuldet ist. Weil es seinem Unternehmen besser geht als erwartet, erhält der Familienvater überraschend einen Bonus. Was wird er tun? Das Geld im Spielkasino verjubeln? Oder wird er zur Bank gehen und sein Sondertilgungsrecht in Anspruch nehmen, um die drückende monatliche Zinslast wenigstens ein bisschen abzumildern?
Und täglich grüßt die idiotische Analogie von Staatshaushalt und Privathaushalt. Man beachte auch die unglaublich parteiische Nennung des "Spielkasinos". Das ist schon ein sehr dreister Fall von tendenziöser Berichterstattung - man beachte: es handelt sich hier nicht um einen Kommentar, sondern um den Leitartikel des Wirtschaftsteils! - und die einzige brauchbare Botschaft, die darin enthalten ist, ist die ideologische Grundhaltung des Autors.
Es ist nun tatsächlich richtig, dass Deutschland kein souveräner Staat ist und daher - im Gegensatz zu den USA - finanziellen Beschränkungen unterworfen ist. Aber da hört die Analogie auf. Denn die Vorstellung, man könne die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Verhaltens der Bundesregierung einfach so ignorieren ist vollkommen absurd. Die Ausgaben der Bundesregierung stellen einen signifikanten Teil des BIP, und wenn diese Ausgaben steigen oder sinken ist dies ein unübersehbares Signal an die Wirtschaft zu wachsen bzw. zu schrumpfen. Das ist der Grund, weshalb jeder klar denkende Mensch zu dem Schluss kommt, dass sich eine Regierung antizyklisch verhalten muss.
Das ist auch der Grund, weshalb die ganzen Sparpakete, die zur Zeit weltweit umgesetzt werden, nach hinten losgehen werden. Die Sparpakete werden die schwächelnde Erholung abwürgen, und am Ende werden die Defizite eher größer als kleiner. Schließlich haben Regierungen keinen nennenswerten Einfluss auf ihre Defizite, die in Wirklichkeit zu einem ganz wesentlichen Teil durch automatische Stabilisatoren - also an die Konjunktur gekoppelte Steuern und Sozialsysteme - bestimmt werden.
Aber bis zu den neoliberalen Hohlköpfen unserer Zeit dringt diese Botschaft nicht.
Eine kleine Notiz am Rande steht auf Seite 23 unter dem Titel "Brüderle ruft 'Dekade der Industrie' aus".
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will sich mehr um die Industrie kümmern. „Der deutschen Industrie dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden“, sagt er bei der Vorstellung eines Grundsatzpapiers aus seinem Hause.
Bei Ex-Kanzler Schröder hat sich das so ähnlich angehört. Was folgte waren viele Jahre der Zerstörung unserer Sozialsysteme und damit indirekt des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Das ist doch mal zukunftsweisendes Denken!
So richtig abartig und ungeil wird's aber erst danach:
Schließlich hätten insbesondere Industrieunternehmen der deutschen Wirtschaft den Weg aus der Krise gebahnt.
Geht's noch? Erstens ist die Krise noch längst nicht vorbei - wobei natürlich auch irgendwie verständlich ist, dass der Jubelrainer seine Augen gegenüber der Realität so lang wie womöglich verschließen will. Zweitens ist die Behauptung, deutsche Industrieunternehmen hätten auch nur einen Finger für die wirtschaftliche Erholung gekrümmt, ein schlechter Witz. Wahr ist, dass die deutsche Wirtschaft extrem exportabhängig ist. Dadurch war der Einsturz bei uns besonders tief, und die vorläufige Erholung naturgemäß auch besonders groß. Aber das ist einfach im ersten Fall Pech und im zweiten Fall Glück, und wenn die Exportwirtschaft, die ursächlich an den strukturellen Problemen Deutschlands Schuld ist, dafür auch noch gelobt wird, dann fehlen einem dafür doch irgendwie die Worte.
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