Samstag, 20. November 2010

Scheuklappen

Nach seinem Kommentar "Seil für Europa" auf Seite 23 müssen wir wohl auch Martin Hesse zu den Menschen in der SZ-Redaktion, deren Blick für die eigentlichen Probleme und Möglichkeiten in der jetzigen Situation verstellt ist, zählen.

Die Notenbank aber muss politisch unabhängig agieren können, um ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen: für einen stabilen Euro zu sorgen.

Das Mantra eines stabilen Euros als oberstes Ziel in der Wirtschaftspolitik ist tief verwurzelt und ein großer Teil des Problems. Man vergleiche diese dogmatisch einseitige Ausrichtung mit der deutlich weiseren Zielsetzung des Magischen Vierecks.

Staaten wie Portugal, Griechenland und Irland sind ... nicht wettbewerbsfähig. Um es zu werden, müssten sie Preise, Pensionen und Löhne drastisch senken – oder aus der Euro-Zone austreten, um die Währung abwerten zu können.

Ein typischer Fall von Scheuklappen der Angebotsökonomen. Würde die deutsche Regierung dafür sorgen, dass in Deutschland der Lohnanteil am Gesamteinkommen wieder steigen und dadurch die Nachfrage im Binnenmarkt anregen, so würde das über deutsche Importe aus den betroffenen Staaten ganz wesentlich zur Entschärfung der Situation beitragen. Aber dazu müsste man auf die Nachfrageseite schauen - ein pragmatischer Schritt, dem sich die Mainstreamökonomen aber aus ideologischen Gründen widersetzen.

Immerhin, was die politische Zielsetzung angeht bin ich mit dem Autor einig:

Statt die Währungsunion aufzugeben, sollte die EU die Fiskal- und Wirtschaftspolitische Union folgen lassen.

Wenn er nur auch die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge richtig verstehen würde!

Ziemlich unsympathisch ist der Artikel "Drei Männer, eine Krise" auf Seite 25. Man kann von sachlichen Diskussionen durchaus ablenken, indem man sie zu Diskussionen ums Personal macht, aber Qualitätsjournalismus sieht anders aus. Dominique Strauss-Kahn vom IWF ist jedenfalls hoffnungslos im Gedankenkäfig der Neoliberalen gefangen:

Europa, so Strauss-Kahn weiter, solle auch die Reform des Jobmarktes voranbringen, da es unter einer chronisch hohen Arbeitslosigkeit leide. „Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir eine verlorene Generation haben – vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt.“

Das Gefahr der "verlorenen Generation" ist sehr real. Aber Reformen des Jobmarktes haben damit überhaupt nichts zu tun, es sei denn, man würde z.B. das Renteneintrittsalter senken.

Das Problem ist im Grunde sehr einfach. Es gibt weniger Arbeitsplätze als arbeitende Menschen. Als Beispielrechnung: wenn die gesamte arbeitende Bevölkerung aus 40 Millionen Menschen besteht, es aber nur 35 Millionen Arbeitsplätze gibt, dann gibt es logischerweise 5 Millionen Arbeitslose.

Die typischen neoliberalen Reformkonzepte ändern daran nichts. Durch größere Stigmatisierung der Arbeitslosen oder verstärkte Schulungsmaßnahmen werden keine Arbeitsplätze geschaffen (gut, irgendjemand muss die Schulungen durchführen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein).

Die einzigen Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, und damit zur Vermeidung einer "verlorenen Generation", sind die Größe der arbeitenden Bevölkerung zu reduzieren (durch längere Schulzeit oder ein früheres Renteneintrittsalter) oder die Anzahl der Arbeitsplätze zu vergrößern.

Letzteres erreicht man am Besten durch expansive Fiskalpolitik.

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