Hinzu kommt, dass diese explizite Staatsverschuldung nur ein Teil des Problems ist. Die implizite Verschuldung, also etwa die Ansprüche der Rentner und Pensionäre gegen die Sozialsysteme, beträgt ein Vierfaches der expliziten Schuld; macht acht Billionen Euro oder mehr als 300 Prozent des BIP.
Die staatliche Rentenversicherung ist ein Umlagesystem. Jeden Monat werden die hereinkommenden Beiträge nach einem Schlüssel verteilt und direkt wieder herausgegeben. Hier von Schulden zu sprechen ist Quatsch.
Das Umlagesystem ist übrigens sehr sinnvoll, schließlich werden die von den Rentnern gekauften realen Güter und Dienstleistungen ja auch im jeweiligen Zeitraum produziert, und nicht etwa in der fernen Vergangenheit oder gar in der Zukunft. Angesichts der Tatsache, dass also jeweils die Produktion der Gegenwart an realen Gütern und Dienstleistungen auf die Verbraucher aufgeteilt werden muss, ist es nur sinnvoll und pragmatisch, auch das Geld, das bei dieser Aufteilung die Vermittlerrolle spielt, in der jeweiligen Gegenwart zu aufzuteilen, und nicht Jahrzehnte früher oder später.
Aber ganz abgesehen davon ob man jetzt ein Umlagesystem bevorzugt, oder lieber ein instabiles, kapitalgedecktes System (Marc Beise würde sicher Letzteres bevorzugen): Bei den Rentenansprüchen in unserem existierenden System von Schulden zu sprechen ist einfach nur unsachlich. Trotzdem gehört diese Volksverdummung zum Standardrepertoire der Neoliberalen.
Guido Bohsem schreibt auf Seite 19 im Artikel "1 791 300 000 000 Euro Schulden":
Wer in Deutschland lebt, hat Schulden – egal wie reich er ist. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes stand Ende November jeder der etwa 81,7 Millionen Bundesbürger mit 21 882 Euro in der Kreide. Die Bundesbürger schuldeten das Geld nicht als Privatleute, sondern Teil des deutschen Staates.
Wie muss ich mir das vorstellen, wenn ich 1000 Euro in Bundesschatzbriefen besitze? Schulde ich mir selbst dann 1000 Euro? Werde ich irgendwannmal 1000 Euro an Steuern zusätzlich bezahlen müssen, damit ich diese 1000 Euro dann wiederbekomme im Tausch für den Bundesschatzbrief?
Betrachten wir einmal ganz nüchtern, was passiert, wenn mein Bundesschatzbrief ausläuft und ich die 1000 Euro aufs Tagesgeldkonto überwiesen bekomme. Höchstwahrscheinlich kaufe ich mir wieder einen neuen Bundesschatzbrief. Dem Rollover meines Geldvermögens entspricht ein Rollover der Staatsschulden, und im Grunde passiert gar nichts.
Aber was passiert, wenn ich die 1000 Euro ausgebe? Nun, dann fließen sie an andere Personen, von denen sie wieder an andere Personen fließen, und in die Gegenrichtung fließen entsprechende Güterströme. Wenn es auf diese Handelsvorgänge keine Steuern gäbe, dann würde sich durch all diese horizontalen Vorgänge die Summe der Reserven bei der Zentralbank nicht verändern, mit der Folge, dass eben jemand anderes Bundesschatzbriefe im Wert von 1000 Euro kaufen würde, um die überschüssige Liquidität abzuschöpfen. In diesem Fall muss der Staat seine Schulden also auch nicht zurückzahlen.
Beobachtung: Rein funktional betrachtet konnte ich mir von meinem Geldvermögen Dinge im Wert von 1000 Euro leisten. Es ist also unsinnig so zu tun, als wären die Staatsschulden Schulden der Bürger. Im Gegenteil handelt es sich bei den Staatsschulden - genauer: bei den sie repräsentierenden Staatsanleihen - um Vermögen der Bürger.
(Kleiner Einschub: Der Glaube, dass Staatsschulden äquivalent zu Schulden der Bürger sind, erinnert mich sehr an den Denkfehler, der auch diesem Puzzle für Kinder zugrundeliegt.)
Aber wie passt das denn jetzt mit Steuern zusammen? Im Beispiel oben bin ich davon ausgegangen, dass keine Steuern anfallen und deshalb nur horizontale Transaktionen anfallen, was natürlich unrealistisch ist. Wenn die Transaktionen besteuert werden, dann verschwindet zumindest ein Teil der ursprünglich 1000 Euro in Form von Steuern, und weniger Bundesschatzbriefe werden gekauft, weil weniger Liquidität abgeschöpft werden muss. Und siehe da: genau diese Steuern sind es, die mit den reduzierten Staatsschulden verrechnet werden können!
Beobachtung: Die Regierung muss kein Geld eintreiben um ihre Schulden zu begleichen. Es ist gerade umgekehrt: Wenn der private Sektor keine Staatsanleihen mehr halten will, dann entstehen die Steuereinkünfte die nötig werden, um den Rückgang der Staatsanleihen in der Bilanz auszugleichen, ganz automatisch.
Jetzt mag sich manch einer die Frage stellen, wozu dann überhaupt Steuern erhoben werden. Die Erklärung dafür ist, dass durch die Steuerschuld überhaupt erst Nachfrage nach Geld entsteht. Ohne Steuern wäre das Geld also einfach wertlos. Die Höhe der Steuern wirkt gewissermaßen als Thermostat bzw. Bremse für die Wirtschaft. Läuft sich die Wirtschaft heiß, so können Steuern erhöht werden um Geld zu entziehen und so zu vermeiden, dass der Wert des Geldes absinkt. Diese Wirkung ist aber asymmetrisch: niedrige Steuern sorgen nicht unbedingt dafür, dass die Wirtschaft wieder warm läuft, wenn sie sich einmal abgekühlt hat.
Als Anmerkung muss ich fairerweise einwerfen, dass meine Analyse in Wirklichkeit nur für ein vernünftig organisiertes Fiatgeldsystem gilt, wie zum Beispiel für die USA, Großbritannien oder Island. Die Eurozone ist zwar ein Fiatgeldsystem, aber eins mit (hoffentlich: noch) vielen Entwurfsfehlern. In der Eurozone gibt es nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Regierungen, die Staatsanleihen anbieten. Die Liquidität, die durch den Ablauf von Anleihen eines Staates entsteht, wird also womöglich durch die Ausgabe von Anleihen eines anderen Staates abgeschöpft. Dadurch können Ungleichgewichte entstehen, die sich wegen dem Fehlen eines aktiven monetären Souveräns kombiniert mit Gerede über potentielle Staatsinsolvenzen durch höhere Renditen und Zinssätze selbst verstärken, bis die ganze Eurozone durch die entstehenden Fliehkräfte auseinanderzubrechen droht.
Mit anderen Worten, was sich heutzutage abspielt, war mit etwas Nachdenken über Geldsysteme vorhersehbar. Übrigens wird mit etwas weiterem Nachdenken auch klar, dass die Einführung von Eurobonds oder einem äquivalenten Mechanismus absolut notwendig für den langfristigen Erhalt des Euros ist.
Das Geld haben die Deutschen in Form von staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Rente, Kindergeld konsumiert oder in den Bau von Straßen, Schwimmbädern, Schulen und Universitäten gesteckt, obwohl sie sich das eigentlich nicht hätten leisten können.
Auch dies ein typischer Denkfehler. Die Kosten staatlichen Handels kann man nicht losgelöst von der Situation der realen Wirtschaft in reinen Geldgrößen betrachten. Das einzig vernünftige Maß für Kosten ergibt sich aus der Frage, welche realen Güter und Dienstleistungen der Staat dabei in Anspruch nimmt, die andernfalls der private Sektor hätte nutzen können.
Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft in Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr ordentlich ausgelastet ist, und angesichts hoher Arbeitslosenquote ist klar, dass der private Sektor bei weitem nicht alle sinnvollerweise nutzbaren Ressourcen in Anspruch genommen hat. Wenn diese Ressourcen dann vom Staat in Anspruch genommen werden, so fallen in Wirklichkeit überhaupt keine Kosten an (wenn man von ökologischen Überlegungen absieht).
In Wirklichkeit zeigt eine nüchterne Betrachtung der Zahlen also, dass wir Deutschen schon seit sehr langer Zeit unter unseren Verhältnissen leben.
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