Freitag, 3. Dezember 2010

Unwissen und Ideologie auf der Meinungsseite

Eigentlich hatte ich ja vor, zu pausieren. Nach dem heutigen Eintrag werde ich das auch wieder versuchen, aber es hat mich schon in den letzten Tagen in den Fingern gejuckt. Was die SZ-Wirtschaftsredaktion zur Zeit aus ihren Federn fließen lässt gefährdet den Frieden in Europa, da durch die Verbreitung falscher Behauptungen eine sinnvolle Wirtschaftspolitik unterbunden wird. Beim heutigen Kommentar "Die leise Krise" von Marc Beise auf Seite 4 ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Ich muss also wieder einmal Dampf ablassen.

Die Krise der Realwirtschaft war kurz, der Aufschwung ist phänomenal. Die Unternehmen produzieren und verkaufen wie im Fieber.

Die Realität ist, dass die Wirtschaftsleistung den Stand vor der Krise noch nicht wieder erreicht hat, und von einem selbsttragenden Aufschwung ist weit und breit nichts zu sehen - im Gegenteil. Marc Beise scheint, seiner Schreibe nach zu urteilen, jedenfalls ziemlich gut von der Realität isoliert zu sein.


Die Einkommen steigen.

Schön wär's.

Technisch gesehen steigen die Einkommen natürlich, schließlich ist das BIP ein Maß für die Summe aller Einkommen in einer Volkswirtschaft. Allerdings spielt die Einkommensverteilung dabei eine kritische Rolle, und die Lohnentwicklung hat sich in Deutschland bekanntermaßen aufgrund politischer Entscheidungen schon vor vielen Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt.


Nie waren mehr Menschen in Beschäftigung, und weniger Arbeitslose gab es lange nicht.

In der Tat. Aber knapp 3 Millionen Arbeitslose nach der offiziellen Statistik, wohl eher 4 Millionen bei einer ehrlicheren Betrachtung, zusammen mit weiteren Millionen Menschen, die bei gleichem Stundenlohn gerne mehr arbeiten würden, aber nur Teilzeitjobs finden, sind wahrlich Grund zur Sorge.

Danach widmet er sich der absurden Idee von Nord-Euro und Süd-Euro.

Nun propagieren sie (nur) eine Zweiteilung des Euro in einen harten Nord-Euro (mit Deutschland) und einen weichen Süd-Euro – als wäre das so einfach. Eine solche Änderung hätte beinahe revolutionäre Konsequenzen.

...

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären die schwachen Staaten ohne Deutschland oder gar den ganzen Norden verloren. Ihre Zinskosten würden nach oben schnellen, ein Bankrott wäre die Folge.

Ich persönlich halte die Idee von Süd- und Nord-Euro auch für Unsinn. Dass sie Idee nicht gesundem volkswirtschaftlichen Verstand, sondern dumpfen innereuropäischen Ressentiments entspringt erkennt man bereits daran, dass sich der ganz offensichtlichen Frage, wo denn dann Irland dazugehören sollte, niemand so richtig stellen will.

Aber dass die "Südstaaten" ohne Deutschland verloren wären ist vollkommener Unfug und beweist einmal mehr, dass Marc Beise keine Ahnung von der Funktionsweise eines Fiatgeldsystems hat. Denn wenn die "Südstaaten" nach einer solchen hypothetischen Teilung kooperieren würden, könnten sie dem Markt die auf Anleihen bezahlten Zinsen aufdiktieren. Dazu müssten sie sich natürlich wie eine geschlossene geldsouveräne Regierung verhalten, dem diverse politische Hürden entgegenstehen. Aber wenn die jeweiligen nationalen Regierungen die Sachverhalte verstehen würden, könnten diese Hürden schneller verschwinden als Amazon Wikileaks die Serverfarm zudreht. Dann wäre auch ein Bankrott kein Thema mehr, sofern die "Südstaaten" darauf beharren, bestehende Anleihen entweder gar nicht, oder ausschließlich in "Süd-Euro" zu bedienen - was sie in einer solchen Situation vernünftigerweise tun sollten.

Selbstverständlich wäre eine Konsequenz einer Teilung, dass der "Süd-Euro" im Vergleich zum "Nord-Euro" deutlich an Wert verlieren würde. Aber das wäre einfach nur eine natürliche Anpassung an realwirtschaftliche Gegebenheiten. Die südeuropäische Exportwirtschaft würde davon profitieren.

Natürlich basiert der von mir skizzierte Optimismus darauf, dass die "Südstaaten" im Fall der Fälle die ihnen offen stehenden Handlungsmöglichkeiten erkennen und auch wahrnehmen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich eine solche Euro-Teilung für eine Idiotie halte. Denn wenn der Euro gespalten wird, die "Südstaaten" sich aber nach wie vor Sparprogramme aufschwatzen lassen, so ist ihnen auch nur marginal geholfen. Wenn aber umgekehrt die Regierungen ihre Handlungsmöglichkeiten erkennen und einfordern würden, könnten sinnvolle konjunkturfördernde Maßnahmen auch ergriffen werden ohne den Euro aufzulösen.

Deutschlands Exportwirtschaft würde übrigens wegen der Währungsanpassung unter einer Auflösung des Euro massiv leiden - einer der wenigen Fakten, die die Realitätsbarriere in Marc Beises Schädel durchbrochen haben:

... die Währung der Deutschen würde dramatisch aufgewertet, und es wäre bald vorbei mit Wachstumsphantasie und Jobwunder. Zwar kann man theoretisch über eine zu starke Exportabhängigkeit lamentieren, allein: Die Deutschen haben sich noch kein anderes Wohlstandsmodell einfallen lassen.

Tatsächlich würde dann auch die Bevölkerung leiden, weil die Politik in ihrem Exportwahn versuchen würde, die nominale Währungsaufwertung real durch noch schärferes Lohndumping auszugleichen. Die Politik würde also vollkommen unnötig größeres Leid erzeugen.

Der zuletzt zitierte Satz ist nämlich dreiste Geschichtsfälschung. Die Exportfixierung Deutschlands ist eine eher junge Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Bis hinein in die 1970er Jahre wurde in Deutschland der Wohlstand recht erfolgreich durch eine aktive Konjunkturpolitik gewährleistet. Diese wurde dann aus rein ideologischen Gründen aufgegeben. Man müsste lediglich zu diesem Wohlstandsmodell zurückkehren.

Wirtschaftlich ist das problemlos machbar. Allein die herrschende Ideologie steht im Weg.

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