Freitag, 22. Oktober 2010

Renten, Wechselkurse, und das Euro-System

Über Schulhofdramen in der großen Politik wird heute auf Seite 1 im Artikel "Westerwelle fühlt sich von Merkel übergangen" berichtet.

Der FDP-Chef sagte, um die Existenz des Euro dauerhaft zu sichern, sei „ein Stabilitätspakt mit Autorität, mit Durchsetzungskraft“ vonnöten. Dazu gehört nach seinem Dafürhalten, dass EU-Staaten mit zu großen Haushaltslöchern künftig automatisch mit Geldstrafen belegt werden und Kungeleien der Defizitsünder untereinander nicht mehr möglich sind.

Wie wäre es mit einem Gedankenspiel: Deutschland vor dem Euro, aber ohne Bundesregierung und ohne Länderfinanzausgleich. Das ist so ziemlich genau die Situation der Euro-Zone heutzutage. In diesem Gedankenspiel wäre Bayern ungefähr in der Position von Deutschland, und Griechenland in der Situation von Bremen. Würde ernsthaft jemand argumentieren, automatische Geldstrafen einzuführen?

Nein, viel vernünftiger ist ein geregelter Finanzausgleich, da in einem solchen System die Krisenanfälligkeit vorprogrammiert ist - die Regierungen trifft da gar nicht unbedingt eine Schuld. Solange die Regierungen ein Defizit über die Aufnahme von Schulden finanzieren müssen, konkurrieren sie gegeneinander in einem zwangsläufigen Nullsummenspiel. Wenn ein Land erfolgreich auch nur ein wenig mehr Schulden aufnimmt als es eigentlich müsste (was aus einzelwirtschaftlicher Sichtweise sinnvoll ist, da es sich dadurch für die Zukunft absichern kann), dann bedeutet das zwangsläufig, dass ein anderes Land bei der Aufnahme von Schulden in Schwierigkeiten gerät - unabhängig davon, wie umsichtig es wirtschaftet.

Damit stürzt dieses Land ohne eigenes Verschulden in eine Abwärtsspirale: das Vertrauen der Geldgeber in die Sicherheit der Schuldpapiere des Landes sinkt, weshalb es höhere Zinsen bezahlen muss, was es natürlich in eine noch schwierigere Situation bringt. Zudem wird der Regierung damit in einer Rezession verwehrt, eine effektive anti-zyklische Politik umzusetzen, wodurch sich die ganze Situation noch weiter verschärft.

Diese Instabilität ist fest im Euro-System verankert und kann nur durch eine grundlegende Veränderung der Spielregeln repariert werden. Das mikroökonomische Denken unserer Politiker ist dabei leider wenig hilfreich:

Außerdem habe Merkel Sarkozy im Gegenzug das Zugeständnis abgerungen, dass beide Länder gemeinsam dafür eintreten, ein Insolvenzrecht für Staaten einzuführen. Dies sei für die Stabilität des Euro viel bedeutender, schone die Steuerzahler in der EU und nehme stattdessen
die Krisengewinner in die Pflicht.

Ginge es wirklich um die "Schonung der Steuerzahler", dann müsste die Politik die EZB darauf drängen, für die Schulden der Euro-Staaten garantieren. Nur so kann es Staaten wie Irland und Griechenland wirksam gelingen, ihre Zinszahlungen - die letztendlich nichts weiter als eine massive Umverteilung zu Gunsten von Wohlhabenden sind - wieder zu reduzieren.

Zudem ist ein Insolvenzrecht genau die falsche Richtung. Es würde die Aufgabe von Souveränität der Mitgliedsstaaten weiter zementieren, ohne gleichzeitig auf Euro-Ebene eine souveräne Regierung zu etablieren.

Dabei kann die Stabilität der Euro-Zone nur durch eine handlungsfähige souveräne Regierung gewährleistet werden: entweder durch die Stärkung der Souveränität der Mitgliedsstaaten, oder durch Schaffung einer neuen souveränen Regierung auf Euro-Ebene.

Halbwegs erfreut war ich über den Kommentar "Seehofers Tabubruch" auf der Meinungsseite, denn er benennt endlich einmal viele der Kritikpunkte an der Rente mit 67, zum Beispiel:

Nötig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, welche Chancen ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben. Und hier sieht es teilweise noch düster aus: Obwohl viele Unternehmen verstärkt Ältere einsetzen, hat nur ein Viertel der 60- bis unter 65-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job.

Danach geht es aber leider mit den ewig gleichen neoliberalen Floskeln weiter:

Die Unternehmen sollten deshalb noch mehr für die Weiterbildung und Förderung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun.

Nichts gegen Weiterbildung und Gesundheitsmaßnahmen. Aber diese Maßnahmen lösen das eigentliche Problem nicht: es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze! Solange Deutschland eine so enorm hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung hat, ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, die Menschen so lange arbeiten zu lassen. Lasst sie in Ehren ergrauen, denn verdient haben sie es, und ganz offensichtlich werden sie im regulären privaten Arbeitsmarkt nicht unbedingt gebraucht.

Sollte irgendwann in der Zukunft einmal wieder Vollbeschäftigung erreicht werden (d.h. unter 2% Arbeitslosigkeit ohne Unterbeschäftigung), und die vorhandene Arbeitskraft nicht zur Versorgung aller Menschen in Deutschland mehr ausreichen, dann kann man darüber nachdenken, das Rentenalter anzuheben. Aber erst dann - vorher ist das höhere Rentenalter nichts anderes als ein politisches Werkzeug um versteckt die Renten zu kürzen und um die Arbeitslosenquote zu vergrößern.

Nachdenklich stimmen sollte auf Seite 19 so manches im Artikel "Atempause im Währungsstreit":

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle [FDP] [...] werde beim Treffen in Südkorea drauf dringen, dass die Wechselkurse die ökonomischen Fundamentaldaten widerspiegeln müssten.

Zur Erinnerung: die FDP, das ist die Partei, die immer sagt, man müssen den Markt alles regeln lassen. Und einer deren Spitzenleute behauptet jetzt de facto, man müsse die Wechselkurse explizit steuern, anstatt einfach den Markt machen zu lassen. Also, wem das nicht sauer aufstößt...

Tatsache ist, dass es irreführend ist zu behaupten, der Yuan, um den es hauptsächlich geht, sei unterbewertet. Zu Zeiten von Bretton Woods, oder auch im EWS - siehe die Geschichte zum Black Wednesday - hatte man sich politisch auf feste Wechselkurse geeinigt, die irgendwann die Realität des Marktes nicht mehr widergespiegelt haben - und dementsprechen unter- oder überbewertet waren.

Heute gibt es aber keinen festen Wechselkurs zwischen Yuan und US$. Der Wechselkurs reflektiert einfach den relativen Preis der Währungen auf dem Weltmarkt, und da die chinesische und übrigens auch andere Regierungen - aus welchen Gründen auch immer - gerne in US$ sparen anstatt sich mit ihren US$ amerikanische Güter zu kaufen, bleibt der US$ im Vergleich teuer. Das ist ganz normales Marktverhalten.

Die US-Regierung könnte sich einfach darüber freuen, dass die Chinesen ihnen ihre Waren schicken wollen, und könnte mittels vernünftiger Fiskalpolitik dafür sorgen, dass die US-Bürger sowohl die von China produzierten Waren als auch in den USA produzierte Güter und Dienstleistungen genießen können. Stattdessen setzt sie auf kontraproduktives Säbelrasseln und lässt nebenbei die eigene Bevölkerung verarmen. Meine Güte.

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