Mehr Geld für Griechenland nur von der Politik.
Der Witz dabei? Die Notenbanken (oder besser: Zentralbanken) sind politische Institutionen.
Die Zentralbanken entziehen sich weitgehend demokratischer Kontrolle - das ist die berühmte Unabhängigkeit der Zentralbanken - aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie knallharte politische Entscheidungen treffen. Der Begriff Geldpolitik ist kein Zufall.
Dass Jens Weidmann die Illusion erzeugen will, als wären Zentralbanken unpolitisch ist auch kein Zufall. Dieses Vorgehen ist Teil einer größer angelegten, bei Neoliberalen äußerst beliebten Strategie die darin besteht, das Ende der politischen Ideologie zu verkünden. Politische Entscheidungen sollen sachlich und objektiv sein, nicht ideologisch. So lautet die Ideologie - welch schöne Ironie - von Menschen wie Jens Weidmann.
In Wirklichkeit wird dadurch natürlich nur die neoliberale Ideologie selbst versteckt. Denn jede noch so sachliche und objektive Entscheidungsfindung muss letztlich ein oder mehrere Ziele haben. Aber wer bestimmt, was die Ziele sind?
Indem die öffentliche Diskussion über Ziele mittels geballter Lobbymacht unterbunden wird, gelingt es den neoliberalen Strategen, den Rest der öffentlichen Diskussion so zu framen, dass politische Maßnahmen mit sehr unpopulärem Zweck durchgesetzt werden können.
Eine ganze Reihe weiterer Aussagen von Jens Weidmann halten einem Realitätstest nicht stand. Es folgt eine kleine Auswahl:
Die aktuelle Krise ist keine Krise des Euro. Es handelt sich um eine Staatsschuldenkrise einzelner, kleinerer Länder im Euroraum, die nicht zuletzt durch die Missachtung der Regeln entstanden ist.
Die Frage ist doch, wie es überhaupt zu einer Schuldenkrise in einem dieser Länder kommen konnte - ganz davon abgesehen einmal, dass der Wackelkandidat Spanien nicht unbedingt als klein zu bezeichnen ist.
Die Eurozone ist das einzige Beispiel für Staatsschuldenkrisen in Folge der globalen Finanzkrise. Das legt den Verdacht nahe, dass es eben doch die Konstruktion der Eurozone ist, die an der misslichen Lage Schuld hat. Tatsächlich ist es so: die Staaten der Eurozone sind monetär nicht souverän, sie verschulden sich effektiv in einer Fremdwährung. Und warum das problematisch ist, habe ich anderswo bereits erklärt.
Was wir zur Zeit beobachten ist die natürliche Reaktion eines schlechten Konstrukts auf den ersten größeren asymmetrischen Schock. Dass es ausgerechnet Griechenland, Irland, Portugal und Spanien trifft hat übrigens auch nichts mit Regelverletzungen zu tun - schließlich waren Deutschland und Frankreich die ersten Euroländer, die gegen die Regeln verstoßen haben.
Die Europäische Währungsunion ist eine Gemeinschaft eigenverantwortlicher Staaten. Ihre Mitglieder haben der Geldpolitik politische Unabhängigkeit eingeräumt, ihr aber per Gesetz die Gewährleistung von Geldwertstabilität als vorrangiges Ziel vorgeschrieben.
Genau das ist Teil des großen Konstruktionsfehlers der Eurozone. Langfristig kommt Geldwertstabilität nicht von der Einhaltung pseudo-religiöser Regeln, sondern von einer angemessenen Entwicklung der Produktionskapazitäten der Wirtschaft im Verhältnis zur Gesamtnachfrage. Darauf hat Geldpolitik aber nur sehr geringen Einfluss. Dummerweise gibt die EZB angesichts dieser Faktenlage nicht klein bei und bittet den Rest der Politik um Hilfe. Statt dessen verheddert sie sich EZB in ihren ideologisch motivierten, aber falschen, Wirtschaftsmodellen und nutzt ihre durch die Schuldensituation undemokratisch vergrößerte Macht dazu, einzelnen Mitgliedsländern eine Politik aufzudiktieren, die genau diese Entwicklung der Produktionskapazitäten langfristig beschädigt.
Hier gilt es zu erkennen, dass eine sinnvolle Kombination von Geld- und Fiskalpolitik notwendig ist, es aber auf Euro-Ebene keine Fiskalinstanz gibt, die groß genug ist, um die Eurozone wirtschaftlich langfristig zu stabiliseren. Das ist der grundlegende Konstruktionsfehler der Eurozone.
Im Gegensatz zu einer rein nationalen Geldpolitik wie beispielsweise in den USA kann nämlich die gemeinsame Geldpolitik in einer Währungsunion zu einer Umverteilung von Lasten und Risiken zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsstaaten führen. Die in der EWU verankerte Trennung der Aufgaben verbietet es allerdings, die Geldpolitik hierzu zu nutzen, und behält dies vielmehr – wenn überhaupt – der Fiskalpolitik und den demokratisch gewählten nationalen Parlamenten vor.
Diese Sätze lesen sich so, als wäre Jens Weidmann ziemlich verwirrt. Natürlich kann die Geldpolitik auch in den USA zu Umverteilungen führen, nämlich zwischen den Bundesstaaten der USA. Und wie nationale Parlamente eine Umverteilung zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten erreichen sollen ist mir auch schleierhaft.
Wieder kommen wir zum gleichen Schluss: ohne eine hinreichend große zentrale Fiskalinstanz bleibt die Eurozone instabil.
Die Geldpolitik hat im Frühjahr 2010 zahlreiche konventionelle und unkonventionelle Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystems ergriffen. Die Notenbanken haben dabei beträchtliche Risiken übernommen.
Da fragt man sich, was diese Risiken denn genau sein sollen. Die Bilanz der Zentralbank ist größer geworden. Aber im Gegensatz zu privaten Unternehmen geht für die Zentralbank dadurch - unabhängig von der Zusammensetzung der Bilanz - kein Risiko aus. Schließlich ist die Zentralbank der Betreiber des Eurosystems und - solange sie keine Schulden in einer Fremdwährung aufnimmt - per Definition immer solvent.
Die Gewährleistung der Solvenz Griechenlands war zu diesem Zeitpunkt und ist auch heute mittels eines mehrjährigen konsequenten Konsolidierungs- und Reformkurses auch ohne einen Schuldenschnitt erreichbar.
Das hängt sehr stark davon ab, was Jens Weidmann unter "Reform" versteht. Tatsächlich denke auch ich, dass Griechenland auch ohne Schuldenschnitt wieder auf einen guten Kurs gebracht werden kann. Notwendige Voraussetzung ist aber, dass irgendjemand viel Geld in Griechenland ausgibt - für Güter und Dienstleistungen.
Ich meine also explizit nicht, dass irgendjemand in Griechenland Geld ausgibt, um zu Spottpreisen öffentliche Vermögen zu ergattern. Genau das Umgekehrte müsste passieren: es müsste viel Geld ausgegeben werden in öffentliche Arbeitsprojekte, die genau diese öffentlichen Vermögen vergrößern und erweitern. Auf diesem Weg könnten viele Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Bürgern das Geld in die Hand geben um wieder den privaten Konsum zu aktivieren, wodurch wieder Arbeitsplätze geschaffen werden können, und so weiter. Dadurch steigt das BIP, die Steuereinnahmen steigen wieder, und das Finanzproblem erledigt sich von alleine.
Mit anderen Worten: genau das Gegenteil der Rezepte von Weidmann & friends wäre nötig.
Jens Weidmann hat sich der Geldwertstabilität verschrieben, und betrachtet die Welt aus dieser Perspektive, die aus zwei Gründen problematisch ist.
Erstens ist Geldwertstabilität alleine als politisches Ziel ungeeignet. Das Wirtschaftssystem ist - ganz besonders in einer Demokratie - nur dann legitim, wenn es dem Nutzen der Bürger dient. Ein kleiner, aber wichtiger Aspekt dieses Nutzens ist eine niedrige Arbeitslosigkeit, und eine nachhaltige Entwicklung. In Ländern wie Spanien und Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit zur Zeit über 40%. Das ist ein moralisches Versagen der Politik. Es schädigt aber auch die nachhaltige Entwicklung dieser Länder langfristig, weil die betroffenen jungen Menschen ihre Fähigkeiten nicht in einem normalen Berufsweg verfeinern und festigen können. Fähige Menschen sind aber das wichtigste Kapital, das ein Land langfristig haben kann.
Zweitens ist Geldwertstabilität keine Funktion von Geldpolitik, sondern eine Funktion einer insgesamt gesunden wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Wenn die pseudo-religiösen Entscheidungen der Geldpolitiker - pseudo-religiös, weil sie auf sehr eingeschränkten, ideologisch motivierten und empirisch falsifizierten Wirtschaftsmodellen beruhen - eine breite Klasse von Menschen in den Abgrund stößt, dann wird sich das rächen. Entweder wirtschaftlich - weil durch die Vernachlässigung der Menschen der wichtigste Faktor für langfristige wirtschaftliche Produktivität so grundlegend zerstört wird, dass die Inflation durch einen Kollaps der Produktionskapazität folgt - oder auf direkterem Wege, nämlich politisch.