Dienstag, 14. Juni 2011

Jens Weidmann: Zurücktreten bitte!

Ich war vor kurzem wieder einmal in München, und so ergibt sich ein passender Titel für diesen Eintrag, in dem es mal wieder an der Zeit ist, auf einen klassischen Fall von Irreführung hinzuweisen. Heute bekam Jens Weidmann eine ganze Seite für seinen Artikel "Die Notenbanken übernehmen keine weiteren Risiken" auf Seite 18. Die Probleme fangen bereits im Untertitel an:

Mehr Geld für Griechenland nur von der Politik.

Der Witz dabei? Die Notenbanken (oder besser: Zentralbanken) sind politische Institutionen.

Die Zentralbanken entziehen sich weitgehend demokratischer Kontrolle - das ist die berühmte Unabhängigkeit der Zentralbanken - aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie knallharte politische Entscheidungen treffen. Der Begriff Geldpolitik ist kein Zufall.

Dass Jens Weidmann die Illusion erzeugen will, als wären Zentralbanken unpolitisch ist auch kein Zufall. Dieses Vorgehen ist Teil einer größer angelegten, bei Neoliberalen äußerst beliebten Strategie die darin besteht, das Ende der politischen Ideologie zu verkünden. Politische Entscheidungen sollen sachlich und objektiv sein, nicht ideologisch. So lautet die Ideologie - welch schöne Ironie - von Menschen wie Jens Weidmann.

In Wirklichkeit wird dadurch natürlich nur die neoliberale Ideologie selbst versteckt. Denn jede noch so sachliche und objektive Entscheidungsfindung muss letztlich ein oder mehrere Ziele haben. Aber wer bestimmt, was die Ziele sind?

Indem die öffentliche Diskussion über Ziele mittels geballter Lobbymacht unterbunden wird, gelingt es den neoliberalen Strategen, den Rest der öffentlichen Diskussion so zu framen, dass politische Maßnahmen mit sehr unpopulärem Zweck durchgesetzt werden können.

Eine ganze Reihe weiterer Aussagen von Jens Weidmann halten einem Realitätstest nicht stand. Es folgt eine kleine Auswahl:

Die aktuelle Krise ist keine Krise des Euro. Es handelt sich um eine Staatsschuldenkrise einzelner, kleinerer Länder im Euroraum, die nicht zuletzt durch die Missachtung der Regeln entstanden ist.

Die Frage ist doch, wie es überhaupt zu einer Schuldenkrise in einem dieser Länder kommen konnte - ganz davon abgesehen einmal, dass der Wackelkandidat Spanien nicht unbedingt als klein zu bezeichnen ist.

Die Eurozone ist das einzige Beispiel für Staatsschuldenkrisen in Folge der globalen Finanzkrise. Das legt den Verdacht nahe, dass es eben doch die Konstruktion der Eurozone ist, die an der misslichen Lage Schuld hat. Tatsächlich ist es so: die Staaten der Eurozone sind monetär nicht souverän, sie verschulden sich effektiv in einer Fremdwährung. Und warum das problematisch ist, habe ich anderswo bereits erklärt.

Was wir zur Zeit beobachten ist die natürliche Reaktion eines schlechten Konstrukts auf den ersten größeren asymmetrischen Schock. Dass es ausgerechnet Griechenland, Irland, Portugal und Spanien trifft hat übrigens auch nichts mit Regelverletzungen zu tun - schließlich waren Deutschland und Frankreich die ersten Euroländer, die gegen die Regeln verstoßen haben.


Die Europäische Währungsunion ist eine Gemeinschaft eigenverantwortlicher Staaten. Ihre Mitglieder haben der Geldpolitik politische Unabhängigkeit eingeräumt, ihr aber per Gesetz die Gewährleistung von Geldwertstabilität als vorrangiges Ziel vorgeschrieben.

Genau das ist Teil des großen Konstruktionsfehlers der Eurozone. Langfristig kommt Geldwertstabilität nicht von der Einhaltung pseudo-religiöser Regeln, sondern von einer angemessenen Entwicklung der Produktionskapazitäten der Wirtschaft im Verhältnis zur Gesamtnachfrage. Darauf hat Geldpolitik aber nur sehr geringen Einfluss. Dummerweise gibt die EZB angesichts dieser Faktenlage nicht klein bei und bittet den Rest der Politik um Hilfe. Statt dessen verheddert sie sich EZB in ihren ideologisch motivierten, aber falschen, Wirtschaftsmodellen und nutzt ihre durch die Schuldensituation undemokratisch vergrößerte Macht dazu, einzelnen Mitgliedsländern eine Politik aufzudiktieren, die genau diese Entwicklung der Produktionskapazitäten langfristig beschädigt.

Hier gilt es zu erkennen, dass eine sinnvolle Kombination von Geld- und Fiskalpolitik notwendig ist, es aber auf Euro-Ebene keine Fiskalinstanz gibt, die groß genug ist, um die Eurozone wirtschaftlich langfristig zu stabiliseren. Das ist der grundlegende Konstruktionsfehler der Eurozone.


Im Gegensatz zu einer rein nationalen Geldpolitik wie beispielsweise in den USA kann nämlich die gemeinsame Geldpolitik in einer Währungsunion zu einer Umverteilung von Lasten und Risiken zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsstaaten führen. Die in der EWU verankerte Trennung der Aufgaben verbietet es allerdings, die Geldpolitik hierzu zu nutzen, und behält dies vielmehr – wenn überhaupt – der Fiskalpolitik und den demokratisch gewählten nationalen Parlamenten vor.

Diese Sätze lesen sich so, als wäre Jens Weidmann ziemlich verwirrt. Natürlich kann die Geldpolitik auch in den USA zu Umverteilungen führen, nämlich zwischen den Bundesstaaten der USA. Und wie nationale Parlamente eine Umverteilung zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten erreichen sollen ist mir auch schleierhaft.

Wieder kommen wir zum gleichen Schluss: ohne eine hinreichend große zentrale Fiskalinstanz bleibt die Eurozone instabil.


Die Geldpolitik hat im Frühjahr 2010 zahlreiche konventionelle und unkonventionelle Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystems ergriffen. Die Notenbanken haben dabei beträchtliche Risiken übernommen.

Da fragt man sich, was diese Risiken denn genau sein sollen. Die Bilanz der Zentralbank ist größer geworden. Aber im Gegensatz zu privaten Unternehmen geht für die Zentralbank dadurch - unabhängig von der Zusammensetzung der Bilanz - kein Risiko aus. Schließlich ist die Zentralbank der Betreiber des Eurosystems und - solange sie keine Schulden in einer Fremdwährung aufnimmt - per Definition immer solvent.


Die Gewährleistung der Solvenz Griechenlands war zu diesem Zeitpunkt und ist auch heute mittels eines mehrjährigen konsequenten Konsolidierungs- und Reformkurses auch ohne einen Schuldenschnitt erreichbar.

Das hängt sehr stark davon ab, was Jens Weidmann unter "Reform" versteht. Tatsächlich denke auch ich, dass Griechenland auch ohne Schuldenschnitt wieder auf einen guten Kurs gebracht werden kann. Notwendige Voraussetzung ist aber, dass irgendjemand viel Geld in Griechenland ausgibt - für Güter und Dienstleistungen.

Ich meine also explizit nicht, dass irgendjemand in Griechenland Geld ausgibt, um zu Spottpreisen öffentliche Vermögen zu ergattern. Genau das Umgekehrte müsste passieren: es müsste viel Geld ausgegeben werden in öffentliche Arbeitsprojekte, die genau diese öffentlichen Vermögen vergrößern und erweitern. Auf diesem Weg könnten viele Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Bürgern das Geld in die Hand geben um wieder den privaten Konsum zu aktivieren, wodurch wieder Arbeitsplätze geschaffen werden können, und so weiter. Dadurch steigt das BIP, die Steuereinnahmen steigen wieder, und das Finanzproblem erledigt sich von alleine.

Mit anderen Worten: genau das Gegenteil der Rezepte von Weidmann & friends wäre nötig.

Jens Weidmann hat sich der Geldwertstabilität verschrieben, und betrachtet die Welt aus dieser Perspektive, die aus zwei Gründen problematisch ist.

Erstens ist Geldwertstabilität alleine als politisches Ziel ungeeignet. Das Wirtschaftssystem ist - ganz besonders in einer Demokratie - nur dann legitim, wenn es dem Nutzen der Bürger dient. Ein kleiner, aber wichtiger Aspekt dieses Nutzens ist eine niedrige Arbeitslosigkeit, und eine nachhaltige Entwicklung. In Ländern wie Spanien und Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit zur Zeit über 40%. Das ist ein moralisches Versagen der Politik. Es schädigt aber auch die nachhaltige Entwicklung dieser Länder langfristig, weil die betroffenen jungen Menschen ihre Fähigkeiten nicht in einem normalen Berufsweg verfeinern und festigen können. Fähige Menschen sind aber das wichtigste Kapital, das ein Land langfristig haben kann.

Zweitens ist Geldwertstabilität keine Funktion von Geldpolitik, sondern eine Funktion einer insgesamt gesunden wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Wenn die pseudo-religiösen Entscheidungen der Geldpolitiker - pseudo-religiös, weil sie auf sehr eingeschränkten, ideologisch motivierten und empirisch falsifizierten Wirtschaftsmodellen beruhen - eine breite Klasse von Menschen in den Abgrund stößt, dann wird sich das rächen. Entweder wirtschaftlich - weil durch die Vernachlässigung der Menschen der wichtigste Faktor für langfristige wirtschaftliche Produktivität so grundlegend zerstört wird, dass die Inflation durch einen Kollaps der Produktionskapazität folgt - oder auf direkterem Wege, nämlich politisch.

Freitag, 8. April 2011

Wir werden von Unmenschen regiert

Im Leitartikel "In Europa steigen die Zinsen wieder" wird heute berichtet, dass die EZB ihren Leitzins auf 1,25% anhebt. Die wichtigere Botschaft des Artikels ist aber, dass wir von Unmenschen regiert werden. Oder zumindest von Menschen, die derart weltfremd sind, dass sie vollkommen untragbar sind. Und leider - was noch viel schlimmer ist - plappern die Medien deren Weltsicht unkritisch nach:

Damit reagiert sie auf die gute Konjunktur im Euro-Raum und auf Sorgen vor einer hohen Inflation.

Ich frage mich, was die mehr als 20% Arbeitslosen in Spanien von der "guten Konjunktur" halten. In Wirklichkeit sind die realen Resultate europäischer Wirtschaftspolitik ein Desaster, das die Legitimation des Gemeinschaftsprojekts unnötigerweise langfristig beschädigt. Und welche Sorgen sie vor Inflation haben, wenn sie doch sowieso praktisch keine Geldwerte besitzen, die an Wert verlieren könnten. Das Fabulieren von der guten Konjunktur ist an Realitätsferne kaum zu überbieten.

Im Übrigen wird zwar jetzt viel über diese Zinserhöhung geschrieben, letztlich handelt es sich dabei aber nur um eine Randnotiz. Ja, die Zinserhöhung wird die prekäre Konjunktur weiter schädigen. Ja, es gibt gute Gründe dafür, auf Dauer den Zinssatz auf de facto 0% sinken zu lassen, wie es z.B. Japan seit langer Zeit erfolgreich macht.

Aber das eigentliche Problem der Eurozone ist, dass die Fiskalpolitik fehlt. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist zur Zeit nun einmal objektiv zu gering, um für Vollbeschäftigung und somit breiten Wohlstand zu sorgen. An dieser Stelle muss der monetäre Souverän ansetzen. Geldpolitik ist hier noch machtloser als sonst.

Die Ursachen dafür, wie wir in diese Situation gekommen sind, stecken sehr, sehr tief im institutionellen Aufbau der Eurozone. Ganz am Ende des Artikels klingt das sogar ein wenig an:

Die Fed hat anders als die EZB neben der Preisstabilität auch Vollbeschäftigung als Ziel.

Nun ist die amerikanische Wirtschaftspolitik kein Deut besser als das, was bei uns passiert. Aber man muss sich nicht wundern, dass wir von Unmenschen regiert werden, wenn die institutionellen Richtlinien der Eurozone vorgeben, dass die Geldpolitik unmenschlich sein soll - Geld ist Gott, Menschen zählen nichts. Ich habe darüber andernorts bereits ausführlicher geschrieben.

Europa kann als Gemeinschaftsprojekt und als Ort der Menschlichkeit aus diesem ganzen Morast nur herauskommen über die Einsicht, dass finanzielle Größen irrelevant sind. Was sind schon Budgets außer großen Tabellenkalkulationen? Was nützt selbst Preisstabilität, wenn die Wirtschaftspolitik zur Folge hat, dass es Millionen Jobs zu wenig gibt, und in der Folge dann Millionen arbeitswillige Menschen in eine wahre Irrenhaus-Situation geschickt werden: es wird von ihnen verlangt, ihren Arbeitswillen unter Beweis zu stellen, aber gleichzeitig wird ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, genau dies zu tun.

Finanzielle Größen sind irrelevant. Auf die reale Wirtschaft kommt es an, und auf den realen Lebensstandard, den sie den Menschen ermöglicht. Wenn diese Einsicht wieder Einzug in die Politik findet - nicht nur in Sonntagsreden, sondern in knallharten Gesetzen - dann wird die Eurozone sich erholen können. Anders sehe ich langfristig keine Hoffnung.

Naturgemäß findet sich in dieser Ausgabe der SZ noch viel mehr Unfug, aber nichts wirklich Neues. Ich habe die Schnauze davon ziemlich voll und verzichte daher auf weitere Kommentare.

Samstag, 2. April 2011

Die Weimar-Lüge und mehr Unsinn

Wenn den Hyperventilatoren, die die Funktionsweise moderner Geldsysteme nicht verstehen, die Argumente ausgehen, dann fällt sehr gerne ein Stichwort: "Weimar". So gesehen im heutigen Kommentar "Sündenfall der Geldpolitik" von Catherine Hoffmann:

Indem die Zentralbank griechische, irische und portugiesische Staatspapiere kauft, versorgt sie die Haushalte der Länder mit Geld. Es ist der Sündenfall der Geldpolitik, den Deutschland in der Weimarer Republik mit hoher Inflation bezahlt hat.

Am Rande: wenn Autoren auf emotional geladene Worte wie "Sündenfall" zurückgreifen sollte man immer hellhörig werden - dieses Vorgehen korreliert relativ gut mit schlechter Argumentationsqualität.

Was hat in der Weimarer Republik zu Hyperinflation geführt? Eine Kombination von

  1. einem plötzlichen Kollaps der Produktionskapazitäten durch die Ruhrbesetzung und den darauf folgenden passiven Widerstand, wodurch

  2. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die Kapazitäten deutlich überschritten hat, und

  3. den immensen Schulden, die der Weimarer Republik in Folge des Ersten Weltkriegs aufgezwungen wurden, da diese entweder in ausländischer Währung oder in Sachwerten denominiert waren.


Die ersten beiden Punkte allein würden jede Regierung in eine unmögliche Situation bringen. Die im Vergleich zur Produktionskapazität hohe Nachfrage führt zu einer massiven Preissteigerung, auch wenn die Regierung gar nichts tut. Ein Nichtstun der Regierung ist allerdings unrealistisch: die Staatsausgaben werden zu einem großen Teil quantitativ in realen Mengen festgelegt. Sie muss den Preissteigerungen also folgen, stößt dann aber natürlich weiter an die realen Kapazitätsgrenzen und fördert weitere Preissteigerungen. Die "Alternative" wäre, den Staat als solchen kollabieren zu lassen. Aus einem plötzlichen Kollaps der Produktionskapazität gibt es einfach keinen schönen Ausweg.

Fakt ist jedenfalls: Hyperinflation wird nicht durch Geldpolitik ausgelöst, zumindest nicht in realistischen Szenarien. Auch in Zimbabwe wurde die Hyperinflation letztlich durch die gleichen drei Punkte ausgelöst, die auch in der Weimarer Republik verantwortlich zeichneten: Kollaps der Produktionskapazität, dramatischer Nachfrageüberhang, und Schulden in ausländischer Währung. Die Hyperinflation endet erst, wenn die Produktionskapazität wiederhergestellt ist (Weimar) oder sich die notwendigen Anpassungen der Nachfrage auf einem deutlich niedrigeren Niveau - im Klartext: eine dramatische Verschlechterung des Lebensstandards der Bevölkerung - eingependelt haben (Zimbabwe).

Und jetzt vergleichen wir die Situation mit der Eurozone, in der seit Jahren eine deutliche Nachfragelücke zu beobachten ist, und in der es keine signifikanten Schulden gibt, außer den in Euro denominierten. Auch ein plötzlicher Kollaps der Produktionskapazitäten ist vollkommen undenkbar - es kommt höchstens zu einem langsamen Verfall, der durch die mangelnde Auslastung der Kapazitäten begünstigt wird (Stichwort: Hysterese). Es wird also keine Hyperinflation kommen.

Catherine Hoffmann versteht das alles aber nicht:

Dass sich die Politik des Gelddruckens nicht katastrophal auf den Außenwert des Euro auswirkt, liegt allein daran, dass die amerikanische Notenbank denselben gefährlichen Kurs verfolgt.

Wenn sich "Gelddrucken" auf den Wert einer Währung auswirken würde, dann müssten - wenn man der Logik der Autorin folgt - sowohl der US$ als auch der Euro gleichzeitig gegenüber allen anderen Währungen "katastrophal" an Wert verlieren. Das passiert aber nicht. Folglich ist die "Logik" der Autorin empirisch eindeutig widerlegt. Sie ist das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist.

Die Wechselkurse werden durch Transaktionen auf den Devisenmärkten bestimmt. Grob gesagt, wenn viele Menschen US$ kaufen, und dafür mit Euro bezahlen, dann wird der US$ relativ zum Euro teurer. Das passiert aber nicht, obwohl die EZB Staatsanleihen kauft. Warum sollte es auch? Dadurch, dass die EZB Staatsanleihen kauft, haben die Menschen, die lieber US$ besitzen, nicht mehr Euro, mit denen sie diese US$ kaufen könnten. Die europäischen Staaten (die von der EZB Geld gegen Staatsanleihen bekommen) kaufen keine US$, sondern sie bezahlen ihre Angestellten und Beamten, sie zahlen Arbeitslosengeld, und so weiter. All das sind Zahlungsströme, die rein in Euro ablaufen. Natürlich geben Menschen Geld auch für Importe aus, aber die Importe verändern sich ja nicht dadurch, dass die Staaten ihre Staatsanleihen nun an die EZB verkaufen anstatt an private Anleger. Aber über all das haben Frau Hoffmann und ihre Kollegen wahrscheinlich noch nie nachgedacht.

Auf Seite 24 lässt die SZ Hans-Werner Sinn mit "Tickende Zeitbombe" fast eine ganze Seite für einen Forum-Beitrag.

Die Probleme der nach ihren Anfangsbuchstaben GIPS-Länder genannten Staaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien) rühren daher, dass diese Länder schon bei der Ankündigung des Euro Mitte der neunziger Jahre in den Genuss extrem niedriger Zinsen kamen, sich deshalb hemmungslos verschuldeten und Kapital aus anderen Gebieten des Euroraums, vornehmlich aus Deutschland, absogen. Der Kapitalfluss erzeugte in den GIPS-Ländern einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung mit hohen Lohn- und Preissteigerungen, der die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie unterminierte und die Importe ankurbelte.

Der gute Herr scheint die Länder mit ihrer jeweiligen Privatwirtschaft zu verwechseln. Richtig ist, dass besonders die deutsche Privatwirtschaft z.B. in Spanien einen irrsinnigen Bauboom ausgelöst hat durch private Investitionen. Die genannten Länder hatten aber noch vor wenigen Jahren keine besonders hohe Staatsschuldenquote (bezogen aufs BIP), die zitierte Darstellung ist also zutiefst irreführend.

Richtig zynisch ist die direkte Nebeneinanderstellung der fallenden Zinsen dieser Länder mit dem "Absaugen" von Kapital. Anleger lockt man nicht mit fallenden Zinsen - das zu behaupten ist vollkommener Quark. Investoren in Deutschland wussten einfach nicht wo investieren in Deutschland, also haben sie sich Investitionsmöglichkeiten anderswo gesucht - und sind so zum Beispiel trotz der niedrigen Zinsen in Spanien gelandet und haben den genannten Bauboom ausgelöst. (Nebenbei bemerkt entstehen die Zinsen nicht durch marktwirtschaftliche Effekte, sondern werden de facto durch die EZB festgelegt.)

Seht ihr, wie man aus der gleichen oberflächlichen Zahlenlage sehr unterschiedliche Bilder von Kausalität und "Schuld" zeichnen kann? Interessant finde ich dieses Zitat:

Die Länder hätten nun eigentlich aufhören müssen, über ihre Verhältnisse zu leben.

Ob Sinn mir wohl zustimmen würde, dass Deutschland seit vielen Jahren unter seinen Verhältnissen lebt? Das ist zumindest der logische Schluss, den man angesichts der jeweiligen Nettoexporte bzw. -importe ziehen muss.


1. Zuerst kamen die Kredite von der Europäischen Zentralbank, die im Zuge ihrer „Vollzuteilungspolitik“ bereitwillig Geld druckte und verlieh.

Genau das ist die Aufgabe von Zentralbanken! Die ersten modernen Zentralbanken wurden als Reaktion auf häufige Bankruns als "Lender of Last Resort" gegründet. Es ist ihre wohl fundamentalste Aufgabe, zur Stabilisierung des Geldsystems an Banken unbegrenzt Geld zu verleihen, solange die Banken die regulatorischen Kapitalanforderung erfüllen. Offenbar hat Sinn es nicht besonders mit der geschichtlichen Entwicklung der modernen Geldsysteme. Die EZB dafür zu kritisieren, dass sie ihren ureigensten Job macht, ist jedenfalls etwas fehl am Platz.


2. Die Zentralbank finanzierte ferner die Staatsbudgets der GIPS-Länder, indem sie Staatspapiere kaufte, was Bundesbankpräsident Axel Weber veranlasste, von seinem Posten zurück zu treten. Ein solches Verhalten war der Bundesbank früher wegen der Inflationserfahrungen aus der Weimarer Republik verboten.

Ich denke, zum Thema Weimar habe ich oben schon genug geschrieben.


3. Damit nicht genug, erlaubte die EZB den nationalen Notenbanken, außerhalb der normalen Geldschöpfung neues Geld zu schöpfen und gegen mindere Sicherheiten an die jeweiligen Geschäftsbanken zu verleihen (ELA, Emergency Liquidity Assistance).
4. Vor allem aber gaben einzelne Zentralbanken, an erster Stelle die Bundesbank, den Zentralbanken der GIPS-Länder über die EZB in gigantischem Umfang Kredite, um den versiegenden privaten Kreditfluss zu ersetzen. Dies geschah unter der technischen Bezeichnung „Target-2-Salden“ von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ohne Mitwirkung parlamentarischer Gremien und ohne Spuren in der Bilanz der EZB zu hinterlassen.

Es fasziniert mich immer wieder, wie viel Aufmerksamkeit orthodoxe Ökonomen darauf legen, wie und wo die Betreiber eines Geldsystems ihre Buchhaltung intern durchführen. Dabei ist das einzige Wichtige, welche Transaktionen mit dem privaten Sektor durchgeführt werden.

Zur sinnvollen Analyse eines Geldsystems muss man den monetären Souverän - im Fall der Eurozone also die EZB mit all ihren Zweigfilialen, im Falle der US die gesamte US-Regierung inklusive Fed - als Einheit betrachten und dann untersuchen, wie dieser Souverän mit privaten Akteuren interagiert. Wie die Tabellenkalkulationen des Souveräns intern aussehen ist dabei völlig unerheblich.


5. Und nun gibt es die neuen EU-Beschlüsse zur Ausweitung des Rettungsfonds in Luxemburg, die der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen zu Recht als „Besorgnis erregend“ bezeichnet. Der Fonds wird die europäischen Ungleichgewichte, die durch die überbordende Entwicklung der Preise und Einkommen zustande kamen, verlängern und die Auslandsschulden der GIPS-Länder immer weiter anwachsen lassen. Mit jedem Jahr, während dessen die Kredite der Staatengemeinschaft die versiegenden privaten Kredite ersetzen, entfernt sich das Eurosystem weiter von der Lösung seiner Probleme.

Was Sinn hier verschweigt ist, dass er selbst ein großer Freund deutscher Nettoexporte ist, und genau hier liegt der Hund begraben. Letztlich sind die ungewöhnlich hohen Schulden der anderen Euroländer nichts anderes als die rechnerische Kehrseite der kontinuierlichen deutschen Nettoexporte in den Rest der Eurozone.

Man muss sich das klarmachen: die "Peripheriestaaten" der Eurozone haben jahrelang mehr Güter von Deutschland gekauft als umgekehrt, und dementsprechend Euro nach Deutschland geschickt. Wegen der euphemistisch so genannten "Lohnzurückhaltung" in Deutschland floss dieses Geld dann an Kapitalbesitzer, die dieses Geld nicht für Konsum ausgeben, sondern anlegen wollten. Wegen des stagnierenden Konsums in Deutschland (siehe auch: Lohnzurückhaltung) gab es in Deutschland aber wenig attraktive Investitionsmöglichkeiten. Also wurde das Geld als Kapital zurück in die "Peripheriestaaten" geschickt - wohlgemerkt aber im Gegenzug für Forderung der deutschen Kapitalbesitzer ans Ausland. Es hat sich also der private Sektor dieser Länder verschuldet. Es entstand ein Kreislauf zugunsten der Vermögen der deutschen Kapitalbesitzer, aber zulasten der deutschen Bevölkerung, die unter ihren Verhältnissen gelebt hat und immer noch lebt.

Inzwischen trauen sich private Kapitalbesitzer in Deutschland nicht mehr zu Investitionen in den "Peripheriestaaten". Dadurch ist eine Hälfte dieses Kreislaufs kollabiert, aber die andere Hälfte bleibt bestehen, weil sich internationaler Handel nur relativ träge wandelt. Die jetzige Kreditvergabe auf staatlicher Ebene ist der Ersatz für die privaten Investitionen.

Sinn hat durchaus Recht, wenn er kritisiert, dass eigentlich die Ungleichgewichte, die diesem Kreislauf zugrunde liegen, behoben werden müssen. Aber er hat offenbar nicht die intellektuelle Integrität um klar auszusprechen, was dies bedeutet. Entweder deutsche Exporte müssen zurückgehen, oder deutsche Importe müssen wachsen. Ersteres wäre auf vielen Ebenen unklug, und letzteres geht nur über extrem stark wachsenden Konsum. Aber dafür müssen Löhne sehr, sehr deutlich steigen (wir reden hier, wenn ich mich richtig erinnere, von Lohnsteigerung um 15-20%) - etwas, wogegen sich die orthodoxe Wirtschaftswissenschaft in Deutschland, inklusive Sinn, sträubt. Wenn Sinn wirklich so intellektuell integer wäre wie sein Professorentitel suggeriert, dann müsste er diese Dinge lautstark einfordern. Aber anscheinend gehört er zur deutschen Elite, die sich mit aller Kraft dagegen sträubt, die offensichtliche unangenehme Wahrheit endlich einzusehen.


Während die Haftung für fehlende Sicherheiten für ELA-Kredite früher bei der jeweiligen nationalen Notenbank lag, ist sie inzwischen im Eurosystem vergemeinschaftet worden.

Es ist verrückt so zu tun, als könnte man mehrere Zentralbanken für eine Währung haben. Organisatorisch ist es natürlich sinnvoll, die nationalen Notenbanken als Filialen der EZB weiter zu betreiben, aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Effektiv ist das gesamte EZB-System eine einzige Zentralbank. Es ist nur konsequent, diese Tatsache weiter zu formalisieren an Stellen, wo dies bisher nicht der Fall war.

Überhaupt verläuft sich Sinn im dritten Teil seiner Artikels in Details darüber, wie die Buchführungsabläufe im EZB-System intern aussehen. Es ist zwar durchaus interessant, über solche Themen zu lesen. Ich empfehle zum Beispiel auch aus diesem Grund Randall Wrays Buch "Understanding Modern Money", das allein deswegen lesenswert ist, weil es ein Kapitel mit einer detaillierten Erklärung der täglichen Zahlungsmechanismen im US-System zwischen Fed und Treasury enthält. Das Problem ist nur, dass Sinn im Habitus des durchgedrehten Verschwörungstheoretikers hinter jedem Detail einen Skandal sehen zu wollen scheint und eine entsprechend geladene Sprache verwendet. Dabei handelt es sich um vollkommen gutartige Details, die eben im Zuge des Alltagsgeschäft bei der EZB sinnvoll sind. Auf ihnen herum zu reiten lenkt von den eigentlichen makroökonomischen Problemen im Zusammenhang mit Handelsungleichgewichten ab, die ich oben kurz skizziert habe. Letztlich würde ich daher eher davon abraten, ihn zu lesen.

In seinem Fazit stellt Sinn jedenfalls noch einmal klar, dass er das Problem entweder nicht verstanden hat oder nicht verstehen will:

Nicht die weitere Öffnung des Geldhahns, sondern allein eine Prozedur, die seine allmähliche, kontrollierte Schließung sicherstellt, kann Europa jetzt noch retten. Der Pakt für den Euro und der sogenannte Europäische Stabilitätsmechanismus aber schwächen den Euro, unterminieren den Zusammenhalt Europas und gefährden das europäische Einigungswerk.

Der Geldfluss in Form von Forderungen ist nur das Spiegelbild der Exportüberschüsse Deutschlands. Er kann nur enden, wenn die Exportüberschüsse enden.

Es gibt zwei Wege, dies zu erreichen. Entweder, man "dreht den Geldhahn zu" und würgt deutsche Exporte ins europäische Ausland dadurch ab. Damit schneidet man sich nur ins eigene Fleisch.

Oder man gibt genügend Geld an deutsche Bürger, damit diese über Importe die Exportüberschüsse ausgleichen können. Dann hört der Geldfluss ganz von alleine auf.

Es ist offensichtlich, dass der zweite Weg der bessere ist, aber trotzdem beharren alle - leider auch die deutschen Bürger selbst - darauf, dass der erste Weg gegangen wird. Es ist zum Heulen, wenn man untätig dabei zusehen muss, wie sich die gesamte europäische Politik auf einem Selbstzerstörungskurs befindet und dabei auch noch von sogenannten Wissenschaftlern angefeuert wird. Wenigstens ist Sinn inzwischen laut Profil 63 Jahre alt. Mit etwas Glück geht er bald in Ruhestand.

Mittwoch, 30. März 2011

Rationalität und Inflationsängste

Ein schönes Beispiel für mangelnde Qualität in der Berichterstattung und die Absurdität der allgemeinen Vorstellung von wirtschaftlichen Zusammenhängen liefert heute auf Seite 21 der Artikel "Kauflaune sinkt erstmals wieder":

Die Inflation drückt auf die Stimmung der deutschen Verbraucher. Das GfK-Barometer für das Konsumklima trübte sich erstmals seit zehn Monaten ein und sank um 0,1 auf 5,9 Punkte. Als Hauptgründe dafür nannten die GfK-Marktforscher am Dienstag wachsende Inflationsängste und ein „unsicherer gewordenes internationales Umfeld“ etwa durch die Krisen in der arabischen Welt.

Blitzumfrage: Wenn man Angst vor Inflation hat, sollte man dann lieber sparen oder lieber Geld ausgeben?

Die kurze Antwort: Geld ausgeben. Die lange Antwort: Inflation, also Preisanstiege, bedeuten, dass man mit der gleichen Menge an Geld weniger reale Güter oder Dienstleistungen erwerben kann. Sollte die Inflation höher sein als die Zinsen, die man mit einer Geldanlage erzielen kann, dann verliert das Gesparte real an Wert. Wenn die Menschen rational agieren, müssten sie also auf Inflationsängste reagieren, indem sie mehr Geld ausgeben.

Aber laut Titel der Nachricht sinkt die Kauflaune. Dafür fallen mir spontan drei mögliche Erklärungen ein:

  1. Die Menschen agieren nicht rational.

  2. Das GfK-Barometer misst nicht, wie sehr die Menschen dazu bereit sind, Geld auszugeben.

  3. Es gibt keine Inflationsängste.


Die erste Möglichkeit halte ich für die plausibelste. Sie bedeutet aber, dass ein Großteil der orthodoxen Wirtschaftslehre - die von rational handelnden Menschen ausgeht - schlicht und einfach falsch ist. Ganz besonders gilt das für den Mythos vom effizienten freien Markt.

Die zweite Möglichkeit ist sicherlich auch plausibel, schließlich basiert dieser Index meines Wissens auf Umfragen - und dass die Menschen es nicht so toll finden, wenn die Preise steigen, ist irgendwie logisch und schlägt sich sicherlich in den Antworten nieder. Daraus auf einen Rückgang des Konsums zu schließen ist allerdings nicht unbedingt zuverlässig. Sicherlich gibt es Korrelationen, die aber - weil es keine direkt zugrunde liegende Kausalität gibt - nicht besonders belastbar sind. Für die Jubelperser, die in Zeiten von rückgängigem Konsum ein Konsumwunder heraufbeschwören wollen, ist das natürlich sehr nützlich.

Die dritte Möglichkeit ist auch denkbar, schließlich denken die meisten Menschen sicher nie über die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge nach. Allerdings ist es in Deutschland sehr beliebt, Inflationsängste zu schüren, was ein gefährliches Achtel- bis Viertelwissen zur Folge hat und diese letzte Möglichkeit eher unwahrscheinlich macht.

Letztlich ist hier, denke ich, eine Mischung der ersten beiden Faktoren am Werk. Leider ist weder in der Berichterstattung der Medien, noch bei den Menschen vom GfK, die die Verbindung zu Inflationsängsten überhaupt erst hergestellt haben, ein Hauch von Reflexion darüber zu erkennen, was die oben genannten Widersprüche eigentlich für unser Verständnis der Wirtschaft bedeutet. Das ist, gelinde gesagt, schade. Man könnte es auch gefährlich nennen.

Übrigens, nebenbei zum Thema Inflation:

Die Verbraucher sorgen sich, dass das Leben wegen steigender Energie- und Rohstoffpreise teurer wird. Die Inflationsrate stieg im Februar auf 2,1 Prozent und so auf den höchsten Stand seit fast zweieinhalb Jahren. Im März verharrte die Jahresteuerung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf dem Niveau. „Die Inflationsrisiken in Deutschland haben zugenommen“, so Ulrike Rondorf von der Commerzbank.

Zweieinhalb Jahre sind eine sehr kurze Zeit. Historisch gesehen sind 2,1% sehr wenig. Wir haben lange Zeit mit deutlich über 2% Preissteigerungsraten gut gelebt. Davon einmal abgesehen ist 2% das offizielle Ziel der EZB. Es wird in den Mainstream-Medien kein Wort darüber verloren, wenn die Inflation lange Zeit deutlich zu niedrig ist, also bei 1,5% und weniger, aber sobald sie nur eine Winzigkeit über dem Zielwert liegt wird verbal die Apokalypse heraufbeschworen. Diese Verlogenheit muss man sich auch immer wieder klar vor Augen führen.

Besonders kritisch an der Hyperventilation zum Thema Inflation ist die Tatsache, dass die Inflation ohne Energiepreise nur bei 1,0% lag, also noch viel deutlicher unter dem eigentlich erwünschten Zielwert.

Warum ist das kritisch? Nun, demnächst wird immer mehr die Rede davon sein, dass die EZB wegen zu hoher Inflation die Zinsen anheben wird, um die Inflation zu bekämpfen. Der Haken an der Sache ist, dass die EZB an den Energiepreisen rein gar nichts ändern kann. Vermutlich wird eine Zinssteigerung also gar nichts gegen die Inflation auswirken, zumal die Preissteigerung ja nicht durch exorbitante Kreditvergabe der Banken angetrieben wird. Sollte es der EZB trotzdem gelingen, die Inflation trotz steigender Energiepreise durch eine Anhebung des Leitzins zu drücken, dann geht dies auf Kosten einer Kerninflation ohne Energiepreise, die immer mehr sinkt, bzw. sich in Richtung Deflation bewegt. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Konjunktur aus. In einer Situation, in der viele Länder der Eurozone mit zweistelligen Arbeitslosenquoten zu kämpfen haben, wird das schnell zu politisch brenzligen Situationen führen.

Das besonders Fatale dabei ist, dass die Wut der Arbeitslosen sich dann gegen die EZB richten müsste, sich aber wegen mangelndem Wissen über die Zusammenhänge vermutlich an anderer Stelle auf hässliche Weise entladen wird. Ich hoffe, dass unsere Europapolitiker rechtzeitig einsichtig werden.

Donnerstag, 17. März 2011

Prof. Markus Kerber und Hans-Olaf Henkel verstehen die Welt nicht

Im Artikel "Die Angst vor der Transferunion" auf Seite 24 der heutigen SZ wird über einen offenen Brief von Prof. Markus Kerber und Hans-Olaf Henkel an die Bundestagsabgeordneten berichtet:

Er enthält den dringenden Aufruf an die Volksvertreter, die Zustimmung zur Erweiterung des Rettungspaketes zu verweigern. „Das Votum des Deutschen Bundestags ist historisch: Er entscheidet darüber, ob Deutschland seine finanzwirtschaftliche Souveränität behält [...]

Tja, ihr Lieben, da habt ihr wohl die letzten zwei Jahrzehnte verschlafen. Seine Souveränität hat Deutschland nämlich aufgegeben, als es dem Euro beigetreten ist.

Sehr enttäuscht bin ich über die niedrigen journalistischen Standards im Interview "Es könnte Domino-Effekte geben" und dem passenden Kommentar "Mut der Verzweiflung" von Catherine Hoffmann zu den wirtschaftlichen Folgen der Japan-Katastrophe, beide auf Seite 17. Damit meine ich gar nicht so sehr, dass natürlich keiner der Beteiligten den Zusammenhang zwischen der hohen Staatsverschuldung Japans und dem Sparverhalten des japanischen Privatsektors versteht - das gehört schließlich zum Standardrepertoire. Was mich stört, ist das hier:

200 Milliarden Euro hat die Notenbank schon in die Banken geschleust.

Oder auch das hier:

[...] nun hat die Notenbank innerhalb kurzer Zeit 180 Milliarden Dollar in die Märkte gepumpt.

Solche Statements werfen mit großen Zahlen um sich, sind aber vollkommen nichtssagend. Was verbirgt sich denn hinter den schwammigen Verben "schleusen" und "pumpen"?

Jede Zentralbank gibt den ihr angeschlossenen Banken die Möglichkeit, regelmässig Geld bei ihr zu leihen, solange die regulatorischen Anforderungen erfüllt sind. Dies gehört zu den Werkzeugen, mit denen die Zentralbank ihre Geldpolitik realisiert. Ob solche Transaktionen durchgeführt werden oder nicht liegt aber nicht in der Hand der Zentralbank: die Zentralbank setzt lediglich den Leitzins und damit auch die daran gekoppelten Zinssätze, zu denen Geld verliehen wird. Ob die Banken davon Gebrauch machen oder nicht entscheiden sie selbst. Die Zentralbank hat darauf keinen Einfluss. Wenn es sich bei den genannten Summen um Transaktionen zur Stabilisierung des Leitzins handeln sollte, dann ist dies eine absolute Nullmeldung, da die japanische Zentralbank den Leitzins seit der Katastrophe nicht geändert hat (der japanische Leitzins liegt unverändert bei 0%, Banken zahlen bei der Zentralbank einen Zinssatz von 0,3%). Es ist dann also nicht die Zentralbank, die aktiv ins Geschehen eingreift. Sie reagiert lediglich passiv auf die sich änderenden Anforderungen des japanischen Bankensystems.

Andererseits haben Zentralbanken auch die Möglichkeit, aktiv ins Geschehen einzugreifen, wie es zur Zeit zum Glück die EZB mit dem Aufkauf von Staatsanleihen macht. Prinzipiell können sie auch einfach Geld an Unternehmen überweisen, zumindest rein technisch - die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind natürlich von Land zu Land unterschiedlich. Es würde sich dann jedenfalls qualitativ deutlich von den oben skizzierten passiven Handlungen unterscheiden.

Aber von all dem findet sich in der Berichterstattung der SZ kein Wort - sie belässt es bei vagen, nichtssagenden Verben wie "pumpen" und "schleusen". Wahrscheinlich wissen die Autoren gar nicht, worüber sie da eigentlich schreiben. Hauptsache, sie können mit großen Zahlen um sich werfen.

Mittwoch, 9. März 2011

Euro-Rettung - was tun?

Auf Seite 26 skizziert Catherine Hoffmann in "Kollaps oder Rettung: Europa in der Schuldenkrise" aus ihrer Perspektive ganzseitig fünf "Fluchtmöglichkeiten" aus der Euro-Krise und übersieht dabei den Elephanten im Raum: eine stabile Währung verleitet die Menschen dazu, netto finanzielle Ersparnisse ansammeln zu wollen. Diesen Ersparnissen müssen, rein rechnerisch, Schulden gegenüberstehen (auch das heraufbeschworene "Geld drucken" ändert daran nichts, denn Geldscheine sind im Grunde einfach nur unverzinste Schuldscheine). In der Eurozone gibt es keine starke souveräne Institution, die die Rolle des Schuldners übernehmen kann. Das ist eine fundamentale Fehlkonstruktion, und solange dieser Fehler nicht behoben wird, kann die Euro-Krise nicht langfristig bewältigt werden.

In diesem Kontext ist folgende Behauptung zu lesen:

Nach Prognosen der EU wird der Schuldenstand der Griechen schon im nächsten Jahr auf mehr als 150 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, eine Last, die dauerhaft nicht zu tragen ist.

Wahr ist, dass eine geldsouveräne Regierung so eine "Last" (ist es denn überhaupt eine Last?) problemlos tragen kann. Das folgt aus einer klaren Analyse der Funktionsweise von Fiatgeldsystemen, und wird empirisch durch Japan belegt. Das Problem ist natürlich, dass die griechische Regierung nicht geldsouverän ist. Folglich ist die logische Konsequenz, dass eine geldsouveräne Euro-Regierung geschaffen werden muss, die direkt oder indirekt die Schulden der griechischen Regierung übernimmt.

Vollkommen weltfremd ist dieser Abschnitt:

Noch ist die Hilfe eine endliche Größe, doch der Rettungsfonds lässt sich aufstocken, die lebenserhaltenden Maßnahmen können verlängert werden. Damit sichergestellt ist, dass Wackelkandidaten zu jedem Zeitpunkt Geld bekommen – und zwar zu günstigen Zinskonditionen. Als Gegenleistung geloben die Schuldensünder dann Besserung. Resolute Haushaltsdisziplin sorgt dafür, dass auch Länder wie Griechenland, Portugal, Irland und Spanien in wenigen Jahren die Neuverschuldung unter die Drei-Prozent-Marke drücken – am besten auf null.

Hier wird über das fiskale Defizit einer Regierung geredet, ohne den Kontext der realen Wirtschaft zu berücksichtigen. Das ist der fundamentalste Denkfehler, den man in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen begehen kann. Es ist offensichtlich, dass die Defizite der genannten Länder ganz wesentlich durch steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Steuereinnahmen entstanden sind, und durch irregeleitete Bankenrettungen. Weitere Ausgabenkürzungen würden diese Effekte nur noch verstärken. Das Sparen kann gar nicht gelingen, und zerstört nebenbei auch noch jede Hoffnung auf eine realwirtschaftliche Erholung - siehe Großbritannien.

Vor allem aber setzt die Transferunion falsche Anreize, Ökonomen sprechen von „Moral Hazard“: Hochverschuldete Länder werden dazu eingeladen, sich auf den Krisenmechanismus zu verlassen.

Dass das Unfug ist sieht man schon daran, dass genau dieser Mechanismus innerhalb föderal organisierter Staaten wie z.B. Deutschland problemlos funktioniert. Selbst wenn man das nicht glauben sollte gibt es eine einfache Abhilfe: da ja, wie oben bereits gesagt, das Grundproblem ist, dass die Schulden nicht bei einer geldsouveränen Regierung liegen, könnte man einfach eine Euro-Regierung schaffen, die über die nächsten Jahre einfach pauschal jährlich 1000€ pro Kopf an die Mitgliedsstaaten der Eurozone zahlt. Damit lässt sich das Problem ganz ohne Moral Hazard beseitigen. Noch besser wäre natürlich ein zentral finanziertes Programm zur direkten Schaffung von Arbeitsplätzen, denn das hätte einen direkteren positiven Effekt auf die Arbeitslosenrate, die in Europa aus realer Perspektive zur Zeit das Hauptproblem ist.

Aus diesem Grund droht souveränen Staaten nicht so schnell der Bankrott: Sie haben Macht über die Druckerpresse. Unter Ökonomen wie Charles Blankart ist der Trick als Ponzi-Spiel bekannt, benannt nach dem italienischen Finanzjongleur Charles Ponzi.

Richtig erkannt hat die Autorin die Funktionsweise von Geldsystemen leider nicht. Es ist falsch, dass souveräne Staaten nicht so schnell bankrott gehen können. Richtig ist, dass souveräne Staaten gar nicht bankrott gehen können. Manchmal verweigern sie aus politischen Gründen die Zahlung - so z.B. Japan im Zweiten Weltkrieg aus naheliegenden Gründen - aber das ist ein anderes Thema. Bankrott zu gehen bedeutet, eingegangenen monetären Verpflichtungen nicht mehr nachgehen zu können. Ein souveräner Staat kann eingegangenen monetären Verpflichtungen immer nachgehen, solange sie in der eigenen Währung notiert sind. Der Vergleich mit Ponzi-Spielen, besser bekannt als Schneeballsystemen, ist daher grundfalsch.

Alles Hyperventilieren über Hyperinflation kann nichts daran ändern, dass Inflation nichts mit Geldmenge zu tun hat, sondern mit Angebot und Nachfrage. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, wie z.B. vor einigen Jahren in Zimbabwe, und soll Inflation vermieden werden, dann muss die Regierung einschreiten und die Angebotssituation verbessern (der konkrete Fall wurde durch einen Kollaps der Agrarwirtschaft ausgelöst) oder die Nachfrage drosseln, entweder durch gezielte Steuererhöhungen oder durch Ausgabenverminderung. Aber ob es so weit ist erkennt man eben nicht am Staatsdefizit, und erst recht nicht an der Höhe der Staatsschulden. So sehr es den monetaristischen Ideologen auch missfallen mag, nur der Blick in die reale Wirtschaft hilft hier weiter.

Der Weg aus der Euro-Krise ist klar. Durch von einer zentralen Euro-Regierung finanzierten (aber durchaus lokal umgesetzten) fiskalische Expansion müssen direkt Arbeitsplätze geschaffen werden und dadurch die Wirtschaft angeschoben werden. Dies geschieht durch ein Public Works-Programm, in dem jeder Regierungsinstanz in der Eurozone und jeder gemeinnützigen Organisation die Möglichkeit gegeben wird Arbeitsplätze auszuschreiben, die zu einem festgesetzten Mindestlohn bezahlt werden, für jeden zugänglich sein müssen, und deren Lohnkosten zu 100% von der zentralen Euro-Regierung finanziert werden. Gleichzeitig sollte diese Regierung die Zinsen für langfristige Anleihen aller Euro-Staaten für die nächsten Jahre auf höchsten 3% beschränken. Zudem muss das Potential für schädigendes Verhalten der Finanzmärkte eingedämmt werden, zum Beispiel indem durch progressive Vermögens- und Erbschaftsteuern die Ungleichverteilung der Vermögen etwas zurückgedreht wird.

Wenn alle diese Ansätze umgesetzt würden, stünde Europa ein goldenes Zeitalter bevor. Ich bitte darum alle Leser, diese Konzepte zu durchdenken, mit Bekannten zu diskutieren, und anderweitig an die Öffentlichkeit zu tragen.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Blindheit in großem Stil: Jobs fehlen

Ein besonders faszinierendes Phänomen kann man in der SZ am heutigen 16.2. wieder auf der Seite 1 im Artikel "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV" von Thomas Öchsner beobachten.

Die Hartz-Reformen haben für knapp eine halbe Million Menschen bisher nichts gebracht. [...] Ziel der Arbeitsmarktreformen unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung war es, unter dem Motto „Fördern und fordern“ die Zahl der Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben, möglichst gering zu halten. [...] Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, sagte: „Die Aktivierung, Förderung und Vermittlung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern ist bisher nicht optimal.“ Der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy kritisierte, dass den Hartz-IV-Beziehern in den Jobcentern oft „stabile Ansprechpartner“ fehlten. Auch reichten die arbeitsmarktpolitischen Hilfen meist nicht aus.

Folgt man diesem Text, so sieht selbst ein Vertreter des DGB die Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit am Versagen der Verwalter der Arbeitslosigkeit. Der Grundtenor ist immer der gleiche: die Vermittlung klappt nicht, die Förderung klappt nicht, die Menschen sind zu faul oder unfähig. Dabei gibt es einen ganz offensichtlichen Grund für die hohe Arbeitslosigkeit, der ungeschrieben bleibt, ja, der dem Verfasser des Artikels vermutlich nicht einmal ansatzweise durch den Kopf gegangen ist: Es gibt zu wenig Arbeitsplätze.

Machen wir einmal ein Gedankenexperiment. Nehmen wir an, von heute auf morgen wären alle Deutschen plötzlich hochmotivierte, körperlich perfekte Intelligenzbestien mit Doktortitel. Sicher hätten wir dann auf einmal noch mehr promovierte Taxifahrer und Kellner, aber würde sich an der Zahl der Arbeitsplätze etwas ändern? Nein - die Nachfrage nach Arbeitskraft ändert sich ja nicht dadurch, dass sich das Angebot ändert. Zwangsläufig würde sich also auch an der Zahl der Arbeitslosen nichts ändern.

(In eingeschränkten Einzelfällen stimmt das natürlich nicht. In bestimmten Bereichen wie z.B. in der Forschung kommt es schon einmal vor, dass ein Arbeitsplatz speziell für einen begehrten Bewerber geschaffen wird. Makroökonomisch ist das aber nicht relevant, da sich ja dadurch nicht das Gesamtbudget für Forschung verändert. Zudem fällt der derart variable Anteil des Arbeitsmarkts sowieso nicht ins Gewicht.)

Sicherlich wäre die Zusammensetzung der Arbeitslosen eine andere. Logischerweise finden sich unter den Arbeitslosen überwiegend gering qualifizierte Menschen, da diese bei Bewerbungen in der Regel hinten anstehen. In unserem Gedankenexperiment wären die Arbeitslosen dann eben diejenigen, die ihre Promotion nicht summa cum laude abgeschlossen haben. Aber die Anzahl der Arbeitslosen wäre die gleiche. Das ist die wichtige makroökonomische Einsicht, an der das überwiegende mikroökonomische Denken versagt.

Fazit: Der offensichtliche Grund für die hohe Arbeitslosigkeit ist ein Mangel an Arbeitsplätzen. Aber dieser Gedanke wird nicht einmal im Ansatz erwähnt. Dieses Maß an Blindheit ist faszinierend.

Bitterböse zynisch ist im gleichen Artikel diese Stellungnahme:

Darin enthalten seien aber auch „Aufstocker“, die wegen ihres geringen Arbeitseinkommens zusätzlich Hartz IV benötigen. [Arbeitgeberpräsident] Hundt sprach hier von Fehlanreizen, welche die Regierung bei der Reform der Hinzuverdienst-Regeln nicht abgebaut habe. „Diese Regeln machen es nach wie vor für viele attraktiv, nur mit einem Minijob in der Fürsorgeleistung zu verharren.“

Der eigentliche Skandal des Aufstockens ist, dass es dadurch für Arbeitgeber attraktiv wird, Menschen zu Dumpinglöhnen einzustellen. Der Staat subventioniert Arbeitgeber, die aktives Lohndumping betreiben. Aber statt die Finger auf diese Wunde zu legen, schiebt Thomas Öchsner den Schwarzen Peter auf die Arbeitnehmer.

Seine Tiraden gegen die Arbeitslosen werden übrigens auf der Meinungsseite im Kommentar "Nach der Einigung ist vor der Aufgabe" noch deutlicher:

Die bittere Erkenntnis, die Jobvermittler zumindest intern aussprechen, ist: Vielen lässt sich nicht mehr helfen. Sie werden selbst in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, weil sie weder psychisch noch physisch einen 35-Stunden-Job aushalten.

Woher weiß er denn bitte, dass diese Menschen einen solchen Job weder psychisch noch physisch aushalten würden? Es wurde ihnen doch niemals die Chance gegeben, sich unter Beweis zu stellen! Und darüber zu spekulieren, was im Fall eines Fachkräftemangels geschehen würde ist müßig. Vom Fachkräftemangel sind wir schließlich Welten entfernt, wie die Zusammensetzung der Arbeitslosigkeit sowie die zurückhaltende Lohnentwicklung zeigt - siehe auch den diesbezüglichen DIW-Skandal im November letzten Jahres.

Irreführendes verbreitet Simone Boehringer im Kasten "Bundesbanker gestern und heute" auf Seite 20:

Dazu wandelt sich mehr und mehr der Rettungsfonds ESFS, der neue Kredite an klamme Staaten vergibt, nach dem Willen der Franzosen jedoch bald auch Staatsanleihen kaufen soll.

Zwischen der Vergabe von Krediten und dem Kauf von Staatsanleihen in Primärauktionen gibt es keinen Unterschied. Der Kauf von Staatsanleihen im Sekundärmarkt hat dagegen auf die finanzielle Situation eines Staates keinen direkten Einfluss, weil ja lediglich Papiere, die nicht mehr im staatlichen Besitz sind, den Besitzer wechseln. Er kann aber natürlich die Zinsstruktur von Anleihen beeinflussen.